Rechnungsprüfer Friedrich des Weisen Profile picture
archiv- und bibliotheksbleicher akademischer Proletarier, chronischer Besserwisser, renitent und stolz darauf, Seendurchschwimmer, Eisenfresser und Sprungtänzer

May 2, 2021, 20 tweets

Totgesagte leben länger 1/n
Fabian von Auerswald zählt zu den Urvätern des Ringens. 1539 erschien sein reich mit Holzschnitten von Cranach d. J. verziertes Ringerbuch (bit.ly/3gWBrTU).
Trotz seiner Prominenz sind in den Biogrammen des Ringers irrige Angaben zu finden.

2/n
Im Vorwort seines Ringerbuches äußert sich Auerswald zu seinem Lebensweg: Er war 1462 geboren, hatte am Hof Kurfürst Ernsts (1441–1486) von Sachsen zusammen mit dessen Söhnen sowie dem Hofadel das Ringen erlernt. 1537 wollte er diese Kunst weitergeben
bit.ly/3t8zoyl

3/n
Das Ringen gehörte – wie das Fechten, Schießen, Werfen, Laufen, Ballspiel, Rennen und Springen – in den 1530ern zur Prinzenausbildung und wurde von Ring- & Fechtmeistern unterrichtet (d-nb.info/1052073484, S. 63; sowie d-nb.info/1008742651, S. 220...

4/n
...bit.ly/3vFVD0t, Reg. A 351, fol. 2v, bit.ly/3nR1MnT, S. 390 f).
Sucht man in seriellen Quellen der 1480er Jahre nach einem Auerswald am sächsischen Hof, findet man einen Edelknaben dieses Namens, der dem Kurprinzen Friedrich (III.), zugeordnet war.

5/n
Später ist er eindeutig als Fabian (von) Auerswald verzeichnet.
Bis Anfang der 1490er Jahre sind zudem Meister Hans u. Heinz Ringer als Ringlehrer am Hof nachzuweisen. (bit.ly/3gVIaxo, Reg. Bb 4138, fol. 75v, 80r; Reg. Bb 5909, fol. 8r; vgl. bit.ly/3ubY76j)

6/n
1490 ist Auerswald vom Edelknaben zum Einrösser, also zum Mitglied der adligen Leibgarde, aufgestiegen. Ausgestattet mit Rüstung, Schwertern, Armbrust und Pferd begleitete er den sächsischen Kurfürsten u. a. in die Niederlande oder Burgund, nach Worms, Nürnberg oder Köln.

7/n
Neben geringem Gehalt und hohem Trinkgeld, erhielt er um 1500 die Zinsen einiger Bauerngüter um Gotha. Bis 1513 ist er als Einrösser am Hof nachweisbar.
In diesem Jahre übertrug ihm der Kurfürst die Verwaltung des Jagdhauses und Vorwerks Weidenhain. bit.ly/3xJJSYK

8/n
Ein Kopialbuch mit der ausführlichen Verschreibung (bit.ly/3xAoNzT, Kopial F 38, fol. 84r-95r), zeigt, dass Auerswald dieses Vorwerk im Nov. 1512
verschrieben und er im Juli 1513 eingeführt wurde. Zudem erhielt er 220 Gulden, um sich das Haus wohnlich einzurichten.

9/n
Das fortgeschrittene Alter und Ehepläne werden mit Auszug vom Hof im Zusammenhang stehen. 1514 erhielt Auerswalds Frau Geschenke vom Hof.
1513-1522 war Auerswald zusammen mit kriegserfahrenen Landsknechten für die Musterung des Landesaufgebots in Torgau zuständig.

10/n
Ein erfolgreicher Verwalter war A. vermutlich nicht. 1522/23 entzog ihm der Kurfürst das Vorwerk Weidenhain („abekundigen lassen“, Bestallung, fol. 3r), entschädigte ihn aber mit 50 Gulden jährlichem Zins und einem Hofgewand (bit.ly/3xIjVJ1, Kopial F 16, fol. 21r-v)

11/n
Für den Empfang der halbjährlich fälligen Zinsen (je 25 Gulden) existieren in der Bestallungsakte eigenhändige Quittungen bis 1542 (!). Die Akte enthält zudem noch jüngere Schriftstücke Auerswalds... (bit.ly/3xF9KVv, Reg. Rr, Erg. Reg., Nr. 65, unfol.)

12/n
In den einschlägigen Publikationen zu Auerswald (deutsche-biographie.de/ppn118838253.h…, d-nb.info/921448082, S. 162-169, d-nb.info/881092894, Kommentar, S. 3-12) und damit auch bei Wikipedia (bit.ly/3eKNmBh) fehlen die älteren Angaben, von Geburt & Belehnung abgesehen.

13/n
Außerdem ist bereits im kommentierten Nachdruck von Auerswalds Ringerbuch von 1987/88 ist der Zeitpunkt der Verleihung von Weidenhain (1513) mit Aufkündigung des Vorwerks (1523) und dem Ersatz durch Zinszahlungen verwechselt worden.
Alle späteren Werke übernehmen den Irrtum

14/n
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet im HEMA-Lexikon „Wiktenauer“ sogar die Angaben aus dem Ringerbuch sehr eigentümlich interpretiert wurden (bit.ly/3nE7ngS).

15/n
Aus Auerswald, der mit den Prinzen und späteren Kurfürsten Friedrich (III., 1463–1525) und Johann (1463–1532) vor 1486 das Ringen erlernt hatte, wird auf einmal jener, der die Söhne Kurfürst Johann Friedrichs (1503–1554) also die Urenkel Kurfürst Ernsts unterrichtete.

16/n
Belege bleibt der Wiktenauer schuldig, eine Verlesung ist nicht auszuschließen.
Die genannten Urenkel, Johann Friedrich II. und Joh. Wilh., waren 8/7 Jahre alt und scheinen noch zu jung, um vor dem Manuskript von 1537 vom 75-jährigen Auerswald unterrichtet worden zu sein.

17/n
Auerswalds Schrift ist eher eine Erinnerung an die Verbindung des Seniors mit den Wettinern und als Einstiegshilfe für einen seiner Enkel an den Hof gedacht gewesen. 1539-1547 ist dann der Edelknabe (Hans Friedrich) Auerswald am Hof belegt. Vmtl. ein Erfolg des Ringerbuchs.

18/n
Den Edelknaben Auerswald schickten man u. a. nach der verlorenen Schlacht bei Mühlberg 1547 zum gefangenen Kurfürsten ins befeindete Lager Kaiser Karls V. (bit.ly/3gVIaxo, Reg. Bb 5590, fol. 55r; Reg. Bb 4595, fol. 15r; Reg. Bb 5612, fol. 335r, 452r, 422v, 591r).

19/n
In der GND (d-nb.info/gnd/118838253) & allen Biogrammen (s. o.) ist angegeben, dass Auerswald 1537/39 o. 1540 verstorben sei.
Dabei wird auf die Bestallungsakte verwiesen. Diese enthält jedoch ein eigenhändiges Schriftstück aus dem Jahr 1544. Tote schreiben keine Briefe!

@gndnet Falls von Interesse eine Detailkorrektur im Thread

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