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Apr 25, 2022, 39 tweets

Das ist die Familie Labe. Die jüdische Familie Labe lebte in den 1930er Jahren in #Glambeck, einem Dorf im Löwenberger Land. In den Osterferien verfilmten Kinder der 6. Klassen der Libertasschule Löwenberg das Leben der Familie Labe. #Erinnerung #Verfolgung #JüdischesLeben

In diesem Thread möchten wir über den Tag hinweg die Entstehung des Filmes sowie Fragen und Gedanken der Kinder im Projekt darstellen. Im Anschluss wird der Film digital zugänglich gemacht. #HistorischeBildung

Ziel des Projektes war es, mit Kindern zur Familiegeschichte der Labes und Erinnerungskultur zu arbeiten. Ihr Film stellt in der Gemeinde einen wichtigen Beitrag zu dieser Erinnerungskultur dar.

Die Kinder nahmen in ihrer Freizeit am Projekt teil.

Dieses Ferienprojekt fand im Rahmen unseres Projektes "Ins Bild gesetzt. Meine Kunst ganz groß." statt. Gefördert im Programm "Künste öffnen Welten" des @BKJeV im Rahmen des Bundesprogramms "Kultur macht stark" des @BMBF_Bund.

Glambeck hat heute ca. 120 Einwohner:innen und ist landwirtschaftlich geprägt. Vor einigen Jahren begann eine Anwohnerin - Simone Arndt - die Geschichte der Familie Labe zu erforschen und die wenigen Spuren zusammenzutragen. Ohne diese Arbeit, wäre das Projekt nicht mgl. gewesen.

Das ist Rosalie Labe (geb. 1895 in Kowalewo). Zusammen mit ihrem Mann Julius Labe (geb. 1895 in Berlin) führte sie in Glambeck einen Kolonialwarenladen, bis Julius 1927 mit 32 Jahren verstarb. Sie führte das Geschäft alleine fort und versorgte ihre drei Kinder.

Eine Nachbarin erinnerte sich daran, dass Rosalie blonde Locken hatte. Diese Angabe haben die Kinder im Erklärfilm und beim Zeichnen der Figur übernommen. Auf dem einzigen erhaltenen Foto von Rosalie erscheinen die Haare dunkler, dies wurde von den Kindern lange diskutiert.

Zwei Zeitzeug:innen erinnerten sich noch daran, dass man im Laden von Rosalie Labe als Kind immer einen Sahnebonbon bekam, etwas Besonderes zu dieser Zeit. Dies stellt eine der wenigen Erinnerungen an den Alltag der Familie dar und wurde im Film von den Kindern aufgegriffen.

Dies ist Paul Labe. Er war das älteste Kind der Familie Labe. 1937 ging er auf einen Bauernhof nach Seebeck, wenige Kilometer von Glambeck entfernt. Dort arbeitete er als Knecht. Seine Kleidung wurde aufgrund seiner Arbeit von den Kindern bewusst mit Flicken dargestellt.

Dora und Theo Labe, Letzter war das jüngste Kind der Familie, gingen auf die Dorfschule in Glambeck, die nur aus einer Klasse bestand. Die Filmemacher:innen fragten sich: Wollte die 13-jährige Dora mit ihrem 11-jährigen Bruder nach Hause gehen?

Haben sich die Geschwister gut verstanden oder gab es auch mal Streit? Haben die Geschwister gerne Zeit miteinander verbracht oder brauchten sie auch einmal eine Auszeit und waren lieber mit Freunden oder Freundinnen unterwegs?

Mit Erna ist Dora von der Schule nach Hause gegangen. Wie häufig das der Fall war, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Sie kamen dabei an der Dorfkirche vorbei. Die Laufrichtung konnten die Filmemacher:innen nach einer Exkursion nach Glambeck im Film korrekt darstellen.

Erna erinnerte nicht mehr viel von Dora. Eine kleine Schilderung vom Nachhauseweg, erzählte sie aber:
Wenn Dora zu Hause ankam und den Laden der Familie betrat, schellte die Türglocke. Dora rief dann laut "Ich." ins Haus, damit ihrer Rosalie Labe Bescheid wusste.

Dora Labe wurde am 5. November 1923 in Glambeck geboren. Ihre Bruder Paul 1922 noch in Berlin. Es ist anzunehmen, dass die Familie zwischen den Geburten der beiden älteren Kinder nach Glambeck gezogen ist. Nach der Schule arbeitete Dora auf dem Hof eines Bauern als #Hausmädchen.

Theo Labe, war das jüngste Kind der Familie. Als die Filmemacher:innen sich vorgestellt haben, wie Dora, seine Schwester, ihn vor der Schule stehen ließ, um nicht mit ihrem kleinen Bruder nach Hause zu gehen, könnte er Fußball spielen gegangen sein, so die Idee der Kinder heute.

Hatte er 1936 mit 11 Jahren noch Freunde im Ort? Wollten andere Kinder mit ihm, einem jüdischen Jungen, noch spielen? - Am 06. Oktober 1925 geboren, war er in der #Reichspogromnacht gerade 13 Jahre alt. Wie sehr Antisemitimus und Verfolgung ihn zuvor betrafen, ist unklar.

Auch hier arbeiten die Kinder im Film mit dem wenigen Wissen, das aus einzelnen Fotografien und wenigen Zeitzeug:innenerzählungen zu gewinnen ist.
Bspw. tragen die Jungen im Film alle kurze Hosen und klobige Schuhe, wie auf den Fotos. #historischeBildung

Das ehemalige Schulhaus ist noch heute an einem Schild über der Tür zu erkennen. Das Pflaster vor dem Haus ist auf einem alten Foto zu sehen und laut heutiger Bewohnerin besteht es aus den original Steinen, die neu verlegt wurde. Im Filmbild durften die Steine nicht fehlen!

Die folgenden Szenen im Film zeigen die Ereignisse in der #Reichspogromnacht in Glambeck. Die Kinder hatten sich keinen festen Text für die Szenen aufgeschrieben. Sie wurden basierend auf den Auseinandersetzungen und Diskussionen der Tage zuvor improvisiert.

Zeitzeug:in Erna erinnert als über 80-jährige Frau, dass sich der Mopp, der das Haus der Labes überfallen sollte, in der Kneipe gegenüber ihres Hauses traf und zur Tat verabredete. Der Anführer der Gruppe: Ihr Nachbar.

Die Kinder stellten sich eine Männerrunde in einem dunklen Raum vor, es wird gepöbelt, angestachelt und Bier getrunken. Das Feindbild der Männer, Bewohner des Dorfes, ist klar: Gegen die Juden müsse man vorgehen. All ihren Besitz verbrennen. Sie schreiten zur Tat.

Vieles von dem, was an diesem Abend geschah, ist unklar. Im Film vermuten die Kinder die Familie beim Abendessen. Es wummert an der Tür. Die Kinder haben Angst. Nazis dringen in das Haus der Familie ein. So stellen sich die Kinder heute die Situation vor.

Es ist auch möglich, dass die Familie beim Dorflehrer Müller Schutz gesucht hatte. Hatten die Labes geahnt oder mitbekommen, das sie an diesem Abend angegriffen werden sollten? Gesichertes Wissen hierüber gibt es nicht.

Mit Sicherheit wissen wir, dass die Nazis in das Haus der Labes eindrangen. Fast alles an Besitz der Familie wurde auf der Kreuzung vor dem Haus auf einen Haufen geworfen. Das Haus wurde nicht beschädigt. Es war gemietet und gehörte einem ansässigen Bauern.

Zerstört wurde nur der Besitz der Familie Labe. Die Kinder hatten für den Film unterschiedlichste Möbel und Pflanzen gemalt und ausgeschnitten. Sie hatten das Haus der Labes schön eingerichtet.

Fast der gesamte Besitz der Familie Labe wurde in der Reichprogromnacht verbrannt. Die Kinder haben sich für den Film vorgestellt, was die Personen um das Feuer herum wohl gesagt und gedacht haben könnten.

"Oh Gott!" könnte jemand geflüstert haben. "Endlich macht mal jemand was gegen die Juden," könnte jemand gesagt haben.
Erna erinnert sich, dass eine Frau gesagt hat: "Guckt mal, wie schön das brennt."

Erna und ihre Mutter haben das Feuer gesehen, sie waren auf der Straße und haben das Geschehen mitbekommen. Mit ihrer Mutter, so Erna, ist sie dann zurück ins Haus. Mehr hat sie nicht mitbekommen.

Nach der Reichspogromnacht scheint die Familie Labe Glambeck nicht direkt verlassen zu haben. Die damals fünfjährige Helga erinnert, dass ihre Mutter mit Rosalie Labe im Garten - von der Straße ungesehen - redete. Bei einer Volkszählung 1939 wurden die Labes noch erfasst.

Theo Labe wurde im April 1939, mit dreizehn Jahren, in Glambeck abgemeldet. Danach lebte er bei einer Pflegemutter der jüdischen Gemeinde in Berlin und besuchte die siebente Klasse einer jüdischen Schule. Danach verlieren sich seine Spuren.

Paul Labe musste im Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde Zwangsarbeit leisten. Er wurde 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert, es ist mgl., dass er von hier weiter nach Treblinka deportiert und dort ermordet wurde. Letzteres ist nicht gesichert.

Dora Labe zog im Sept.1939 ins Hachscharah Lager nach Schniebienchen, um sich auf eine Auswanderung ins damalige Palästina vorzubereiten. Dies schaffte sie nicht mehr. Nach 2 1/2 Jahren Zwangsarbeit in Bielefeld wurde sie 1943 nach Auschwitz deportiert und dort mit 19 ermordet.

Rosalie Labe bezog ab November 1939 eine Bettstatt in Berlin. Am 17. November 1941 wurde sie nach Kowno in Litauen deportiert. Dort wurde sie am 25.11.1941 in einer Massenerschießung ermordet.

Der Gedenkstein für die Familie Labe wurde an der Stelle verlegt, an der ihr Besitz in der Reichspogromnacht verbrannt wurde.

Der komplette Film der sechs Kinder, die mit uns vier Tage der Osterferien geforscht und gedreht haben ist auf unserem Vimeo-Kanal zu finden:
vimeo.com/702953021

Wer unsere Arbeit und damit auch solche Projekt in Zukunft unterstützen möchte. Wir freuen uns über jede Spende.
betterplace.org/de/projects/78…

Unterstützen kann man uns auch direkt über paypal: paypal.com/donate/?hosted…

Unerwähnt darf auch nicht die mit dem #Grimmepreis ausgezeichnete Dokumentation über die Familie Labe aus 2020 "Vernichtet. Eine Familiengeschichte aus dem Holocaust" von @A_Chr_Schmidt bleiben.

Die Dokumentation kann man hier sehen:
rbb-online.de/doku/u-w/verni…

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