Nach zweieinhalb Wochen in Georgien geht es jetzt noch für ein paar Tage nach #Armenien.
Nach kurzer Nachtzugfahrt in Jerewan angekommen
Da der Zug sehr früh ankam und ich noch nicht ins Quartier konnte, hab ich mich noch etwas im Bahnhof umgeschaut und ein paar (illegale) Fotos gemacht.
Schon im Bahnhof zeigt sich die große Abhängigkeit Armeniens von Russland. Der einzige Geldautomat hier gehört der russischen VTB-Bank, die mit Sanktionen belegt ist, weshalb meine Kreditkarte nicht funktioniert. Konnte dann aber noch anderswo Geld für den Morgenkaffee ziehen.
In postsowjetischen Städten ein bestimmtes Haus und darin eine bestimmte Wohnung zu finden, kann manchmal echt ein Abenteuer sein. 😅
Erstmal wieder raus aus Jerewan, aber zum Glück nicht mit diesem Bus.
Alter Busbahnhof hier
Mein Ziel ist die Kathedrale von Etschmiadsin. Der ursprüngliche Bau wurde zwischen 301 und 303 geweiht und gilt als älteste Kirche Armeniens und überhaupt als erste von einem Staat errichtete Kirche.
Der heutige Bau stammt aus dem 5. Jahrhundert und wurde im 17. Jahrhundert grundlegend renoviert (etwa durch Anbau des Glockenturms. Derzeit ist die Kathedrale wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.
Wenige Hundert Meter entfernt liegt die Gajane-Kirche, erbaut 630 bis 634. An diesem Ort wurde die Heilige Gajane enthauptet. Die Nonne war vor der Christenverfolgung des römischen Kaiser Diokletian nach Armenien geflohen.
Der dortige König Trdat III. wollte sie heiraten, sie weigerte sich aber und wurde daraufhin getötet. Ironischerweise war es Trdat III. der später zum Christentum übertrat, wodurch Armenien das erste christlich geprägte Land wurde.
Kleiner Stilbruch: Direkt nebenan liegt ein alter sowjetischer Sportplatz
Auch hier wird Solidarität mit den armenischen Brüdern und Schwestern in #Arzach gezeigt.
Danach die Überreste der Swartnoz-Kathedrale besucht. Diese wurde im 7. Jahrhundert errichtet und im 10. Jahrhundert zerstört. Erst im 20. Jahrhundert wurden die Ruinen freigelegt.
So sah die Swartnoz-Kathedrale wohl ursprünglich aus.
Sie wirkt erstaunlich modern wenn man sie etwa mit Otto Bartnings Auferstehungskirche in Essen von 1929 vergleicht
Das Jerewan eines der Ziele der russischen Wehrdienstverweigerer ist, zeigt sich, wenn man im Restaurant den Gesprächen am Nachbartisch lauscht. Da geht es darum, auf welchen Wegen man Russland entkommen ist und wie es jetzt weitergehen soll.
Gestern das sehr beeindruckende Mahnmal für den Völkermord an den Armenier:innen besucht
Ein halbes Jahrhundert wurde der Völkermord von den sowjetischen Behörden verschwiegen. Erst Massenproteste zum 50. Jahrestag des Genozids 1965 sorgten für den Bau der Gedenkstätte die 1968 eingeweiht wurde.
Zentrales Element der Gedenkstätte auf dem Berg Zizernakaberd ist eine ewige Flamme, die von zwölf Pylonen umgeben ist. Sie stehen für die zwölf verlorenen Provinzen im Westen Armeniens, die heute in der Türkei liegen.
Ein geteilter Obelisk symbolisiert die heutige Trennung von West- und Ostarmenien.
Zudem befindet sich auf dem Gelände eine 100 Meter lange Mauer mit den Namen der Gemeinden aus denen die Opfer kamen.
Auf der anderen Seite der Mauer werden ausländische Personen geehrt, die den Armeniern während des Genozids halfen. Etwa der deutsche Theologe Johannes Lepsius.
Ausländische Ehrengäste können bei einem Besuch in der Gedenkstätte einen Baum pflanzen.
Auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte die Gedenkstätte 2018 besucht. (Es dabei jedoch vermieden, die damaligen Ereignisse einen Völkermord zu nennen.)
Seit den 90er-Jahren gibt es hier auch ein Museum, das über die Hintergründe und Geschichte des Völkermords an den Armeniener:innen informiert.
Armenische Kultur im Osmanischen Reich. Schon damals wurden die Armenier:innen systematisch diskriminiert und verfolgt.
Der von der seit 1908 regierenden Partei der Jungtürken geplante Genozid startete 1915 nach den ersten verheerenden Niederlagen des Osmanischen Reiches im 1. Weltkrieg (wofür die Armenier:
innen verantwortlich gemacht wurden).
Einige der armenischen Intellektuellen die während des Genozids ermordet wurden.
Diese Frau wurde 1915 von einem türkischen Soldaten angeschossen. 60 Jahre lang steckte die Kugel in ihr, bis sie nach ihrem Tod entfernt wurde, damit sie nicht zusammen mit ihr beerdigt wird.
Viele Armenier:innen wehrten sich gegen die Deportationen. So verschanzten sich etwa 4.000 Menschen auf dem Berg Musa Dagh in der Südtürkei und verteidigten sich erfolgreich gegen die türkische Armee bis sie von französischen Kriegsschiffen evakuiert wurden.
Auch die Mitverantwortung des Deutschen Kaiserreichs für den Völkermord wird thematisiert. In diesem Brief stellt etwa der damalige deutsche Konsul in Istanbul die Berichte über die Verbrechen an den Armenier:innen als „antitürkische Stimmungsmache“ dar.
Auch viele armenische Kulturschätze wurden durch den Genozid vernichtet.
Der Theologe Johannes Lepsius war einer der wenigen Deutschen, der sich für die Armenier:innen einsetzte.
Für alle Fußballfans:
Der FC Ararat Jerewan gewann 1973 die Meisterschaft der Sowjetunion. Darauf ist man hier bis heute stolz, wie dieses Denkmal zeigt.
In Jerewan steht die derzeit einzige Moschee Armeniens. Die sogenannte Blaue Moschee wurde 1766 fertiggestellt. Zu Sowjetzeiten befand sich hier das Stadtmuseum. 1995 erwarb dann die iranische Regierung die Moschee und ließ sie in eine schiitische Moschee umbauen.
Am Ende des Tages ein Besuch im Cafesjian Center for Arts. Mit dem Bau der riesigen Treppe wurde bereits in den 80er-Jahren begonnen, allerdings wurde er 1988 eingestellt.
Schließlich finanzierte der armenisch-amerikanische Philanthrop Gerard Cafesjian die Fertigstellung und richtete dort ein mehrgeschossiges Kunstmuseum ein.
Von oben hat man einen grandiosen Blick auf Jerewan und den Ararat.
Wenn ich schon über einem Jazzclub wohne, gehe ich auch hin.
Hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Wie wird eigentlich in Armenien über die letzten Attacken aus Aserbaidschan diskutiert? Eine gewisse Anspannung ist zu spüren, denn auch wenn das Leben in Jerewan normal weiter geht, macht sich der Krieg bemerkbar. Hier sammeln Studierende Hilfsgüter für Soldaten an der Front.
Einer von ihnen sagt mir: „Das was wir hier erleben ist das gleiche wie in der Ukraine. Wir verteidigen uns nur und dafür brauchen wir dringend Waffen.“ Aber auch Erste-Hilfe-Sets und andere wichtige Güter werden dringend gebraucht, sagte er.
Dieses Denkmal „ohne Worte“ ist wohl erst vor einigen Tagen entstanden.
Das Kloster Geghard wurde bereits im 4. Jahrhundert gegründet, wurde jedoch durch die Araber zerstört und im 12. Jahrhundert wieder aufgebaut. Nach einem Erdbeben 1679 wurde es verlassen und erst Ende des 19. Jahrhunderts kamen hier wieder ein paar Mönche hin.
Ein antiker Tempel in Armenien? Ja, auch das gibt es. Der Tempel von Garni wurde im 1. Jahrhundert im hellenistischen Stil gebaut und war dem Sonnengott Mithras geweiht. Auch dieses Gebäude wurde durch das Erdbeben 1679 zerstört und erst im 20. Jahrhundert wieder aufgebaut.
Etwas fragend sah mich der Taxifahrer schon an, warum ich denn zu einem Militärfriedhof wolle. Doch dieser Besuch war mir noch wichtig: Vor genau zwei Jahren griff Aserbaidschan Arzach an. Fast 4.000 armenische Soldaten starben.
Heute kamen Familien mit Blumen, um ihrer gefallenen Söhne zu gedenken. Und es ist ein merkwürdiges Gefühl zwischen den mit Weihrauchschwaden umgebenen Gräbern entlangzugehen, während über einem Militärjets kreisen. Der nächste Krieg könnte wohl bald kommen.
Eine weitere Beobachtung die ich mitbekommen habe, ist, dass wir uns vom Narrativ von Russland als "Schutzmacht" Armeniens trennen müssen. Viele, mit denen ich geredet habe, haben nicht das Gefühl, dass Russland gerade hilft, sondern im Gegenteil sogar Aserbaidschan unterstützt.
Eine Frau gab Russland sogar für die territoriale Aufteilung Armeniens schuld. Womit sie auf die Verträge von Moskau und Kars 1921 und 1922 verwies, bei denen unter anderem Westarmenien an die Türkei abgetreten wurden
Inzwischen wieder in Berlin - hatte in den vergangenen Tagen nicht mehr geschafft, alle Erlebnisse aus Armenien hier zu posten, deswegen hole ich das jetzt fix nach.
Ich hatte ja schon ein paar mal das große Erdbeben von 1679 erwähnt. Die Kapelle im Vordergrund ist die einzige Kirche in Jerewan, die dieses Erdbeben überstand. Und dann überstand sie auch noch den Zerstörungswahn der Sowjets.
Jetzt noch ein kleiner Einblick in die vielfältige Kunstwelt Armeniens. Etwa hier im ehemaligen Wohnhaus des Malers Martiros Sarjan, in dem sich heute ein Museum befindet.
In der armenischen Diaspora in Südrussland geboren, unternahm Sarjan zahlreiche Reisen nach Konstantinopel, in den Iran, Ägypten und auch nach Paris, bevor er dann ab den 20er-Jahren in Armenien lebte.
Sein Sohn Ghasaros Sarjan wurde als Komponist bekannt.
Sehr interessant ist auch das etwas skurrile Museum für den Regisseur Sergei Paradschanow. Seine Filme wurden international ausgezeichnet, in der UdSSR hingegen fielen die oft der Zensur zum Opfer. Paradschanow selbst war auch häufiger wegen seiner Homosexualität in Haft.
Paradschanows bekanntester Film war „Sayat Nova“ oder „Die Farbe des Granatapfels“. 1969 gedreht, durfte er aufgrund der Zensur erst 1984 in der Sowjetunion gezeigt werden.
Bei einem seiner Aufenthalte in einem sibirischen Straflager ritzte Paradschanow mit seinen Fingernägeln Gesichter in die Deckel von Milchflaschen und nannte sie „Taler“. Eine Replik dieser Taler wird heute beim internationalen Filmfestival in Jerewan verliehen.
Und danach noch durch Zufall auf eine Ausstellung des erst im vergangenen Jahr gestorbenen armenischen Fotografen Gagik Harutyunyan gestoßen.
Ich finde ja die Jerewaner Metro architektonisch ansprechender als die in Tbilisi. Leider ist das Liniennetz sehr klein: Es gibt nur eine Linie mit 10 Stationen.
Und jetzt zum letzten Teil meiner Reise nach Armenien: Dem Kloster Chor Virap. Der Legende nach sperrte hier der schon erwähnte König Trdat III. den heiligen Gregor ein, um ihn vom Christentum abzubringen.
Nach einigen Jahren erkrankte Trdat aber an einem als unheilbar geltenden Augenleiden. Dieses heilte Gregor, worauf der König zum Christentum konvertierte. (Historiker:innen vermuten allerdings, dass der König das Christentum wohl eher aus strategischen Gründen annahm).
Der Weg dahin war nicht ganz einfach, aber der Blick auf den Ararat lohnt.
Diese Armenienerfahrung habe ich dann auch gemacht und bin in den Keller gestiegen, in dem der Heilige Gregor 13 Jahre gelebt haben soll.
Der Blick auf den Ararat sieht friedlich aus, doch nur wenige Kilometer entfernt verläuft die schwer bewachte Grenze zur Türkei
An der Passkontrolle am Flughafen Jerewan prüfen sie aber sehr genau das schon lange abgelaufene russische Visum in meinem Pass. 😅
Am Ende habe ich doch quasi den gesamten Südkaukasus bereist: Der Flieger, der mich die letzte Etappe von Frankfurter nach Berlin brachte, kam aus Baku. Allerdings muss ich hier ganz klar betonen, dass Aserbaidschan für mich in den kommenden Jahren kein Reiseziel ist.
Und damit endet meine Thread aus Armenien. Sicher habt ihr es schon bemerkt, dass es in den letzten Tagen nicht mehr ganz chronologisch war (war einfach abends zu müde um noch alles zu tippen).
Am Ende war es aus Zeitgründen auch nur Jerewan und Umgebung, aber sicher komme ich nochmal für längere Zeit wieder. Und vielen Dank für das zahlreiche Interesse hier an meiner Reise.
Ab morgen gibts hier Konferenzgetwittere von der #nr22-Konferenz in Hamburg und damit Threadende. @threadreaderapp umrollt
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