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Chefreporterin Debatte @niusde_ | Newsletter „Der Tag beginnt mit NIUS“ | Autorin @EuropaVerlag: Generation Krokodilstränen | zuvor @nzz | 📸©Joël Hunn

Apr 5, 2024, 21 tweets

Eine Meldung und ihre Instrumentalisierung:

400 Polizisten in Deutschland sollen rechtsextrem sein oder Verschwörungstheorien anhängen.

Ein Paradebeispiel für unkritischen Journalismus, der die Regierung bei der Verunglimpfung der Opposition unterstützt. Ein Thread 🧵👇

In einem ersten Schritt wird der Verdacht umgewandelt in einen scheinbaren Tatbestand. Nancy Faeser etwa spricht in ihrem Statement nicht mehr von "Verdachtsfällen", sondern von "Fällen von Extremismus".

Beim Bundespolizeibeauftragten Uli Grötsch (SPD) klingt das so: "Mehr als 400 Fälle, das ist mehr als 400 Mal akuter Handlungsbedarf. Extremistisches Gedankengut hat im öffentlichen Dienst (...) nichts zu suchen."

Verdachtsfälle werden also als Belege für eine Radikalisierung innerhalb der Polizei gewertet.

Dabei könnte eine hohe Zahl von Verdachtsfällen theoretisch auch dadurch entstanden sein, dass ein Klima des Verdachts herrscht. Diese Möglichkeit wird jedoch gar nicht erst erwähnt.

Worum handelt es sich beispielsweise bei den "Verschwörungstheorien", die Grund für einige der Disziplinar- und Ermittlungsverfahren sein sollen? Darüber erfahren wir in keinem der Medienberichte etwas.

Während der Pandemie z.B. galten völlig legitime Meinungen als "Verschwörungstheorien". Die staatlich finanzierte Bundeszentrale für politische Bildung hat noch immer einen Artikel online, laut dem man Verschwörungstheoretiker ist, wenn man sich nicht so oft die Hände wäscht.

Fun fact am Rande: Laut demselben Artikel sind Informationen besonders glaubwürdig, wenn sie von einer "Wissenschaftlerin in der Tagesschau" stammen.

bpb.de/themen/politis…

Das Programm "Demokratie leben" des Familienministeriums wiederum bewirbt auf seiner Seite noch immer ein Video, in dem ein allgemeiner Impfzwang als Mythos dargestellt wird.
demokratie-leben.de/magazin/magazi…

Es gebe "keine derartigen Überlegungen der Regierung im Zuge der Corona-Krise", heißt es in dem Video aus dem November 2020. Zudem erfährt man: "Experten gehen davon aus, dass es noch sehr lange dauert, bis ein Impfstoff entwickelt ist." Jaja, Experten...

Der Bergriff der "Verschwörungstheorie" ist also extrem schwammig und kann dafür verwendet werden, unliebsame Meinungen zu diffamieren.

Ist dies im Falle der polizeiinternen Disziplinarverfahren geschehen? Wir wissen es nicht.

Gerade deshalb sollten Journalisten mit Vorsicht reagieren, wenn die Sicherheitsbehörden ihren Mitarbeitern vorwerfen, "Verschwörungstheorien" zu vertreten.

Das Gegenteil aber geschieht: Viele Medien nutzen die Schwammigkeit des Begriffs, um das Klima des Verdachts anzuheizen.

Die Tagesschau lässt den Experten Tobias Singelnstein zu Wort kommen, der bereits das Bedürfnis nach "Hierarchie" sowie "Recht und Ordnung" in einem verdächtigen Licht erscheinen lässt.

Gegenüber dem Stern erklärt der Professor Rafael Behr, dass Radikalisierung sich etwa darin zeige, dass Polizisten lieber Liegestützen machten als Demokratie- oder Antirassismuskurse zu besuchen.

stern.de/gesellschaft/r…

Randnotiz: Wer immer mich je einstellen möchte, sollte wissen, dass ich eher Liegestütze mache, als Demokratiekurse zu besuchen.

Aber zurück zum Thema.

Nachdem also Experten durch Medien so ausgewählt wurden, dass legitime Einstellungen als Anzeichen einer Radikalisierung gewertet werden können, dürfen Politiker ungestört die Gelegenheit nutzen, um die Opposition auf undemokratische Weise zu schwächen.

Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) spekuliert, ob man als AfD-Mitglied bald seinen Job im öffentlichen Dienst verlieren könnte.

Er nutzt also seine Position als Teil der Regierung, um Anhänger des politischen Gegners einzuschüchtern.
rtl.de/cms/extremismu…

Der erwähnte Grötsch will Entscheidungen des Verfassungsschutzes gar nicht erst abwarten und urteilt eigenmächtig, dass AfD-Unterstützer nicht das Gewaltmonopol des Staates ausüben könnten. Auch hier eine Einschüchterung der Opposition durch die Regierung.
stern.de/gesellschaft/r…

Experte Hajo Funke hat offenbar übersinnliche Fähigkeiten und kann dem Stern schon jetzt voraussagen:

"In dem Maße, in dem der Einfluss der Partei (AfD) steige, sagt Funke, nehme auch die Bereitschaft der Anhänger zu, auf Gewalt zu setzen."

Derweil nehmen auch die Grünen die Meldung zum Anlass, um die Daumenschrauben anzuziehen: Ein strengeres Disziplinarrecht auf Länderebene soll her.
zeit.de/gesellschaft/z…

Was bleibt von solch einer Berichterstattung hängen?

Vor allem eine scheinbare Notwendigkeit, staatlich noch härter durchzugreifen, um Polizisten auf die richtige Gesinnung zu überprüfen und auf politisch erwünschtem Kurs zu halten.

Dabei wäre es für Journalisten ebenso dringend geboten, zu überprüfen, ob die Polizeibehörden mit ihren internen Ermittlungen nicht übertreiben. Und herauszuarbeiten, wie undemokratisch es ist, wenn Regierungspolitiker fordern, Anhängern der Opposition den Job zu kündigen.

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