Thread by @Kleckerwingeln

In der Kita. Ich will die Kinder abholen, als eine Erzieherin mich fragt, ob ich beim Kita-Grillfest in der Küche helfen könne. Ich schlucke. Kita-Küchendienst ist in etwa so attraktiv wie eine kombinierte Darm- und Magenspiegelung mit ein und demselben Endoskop.

Ich versuche das Dilemma charmant wegzulächeln. Mein geschocktes Gehirn gibt meinem Mund jedoch eher einen „Öffne Mund unkontrolliert und zeige alle Zähne“-Befehl. Mit so einem Gesichtsausdruck kann man normalerweise in ARD-Arztserien die Irre in der Neurologie spielen.

Ich möchte der Erzieherin antworten, dass ich es mir überlege, sage aber aufgrund der unnatürlichen Gesichtsverformung so etwas wie: „Mmsch gmm no gugge“. Eventuell beherrsche ich, ohne es gewusst zu haben, die Urform der hessischen Sprache.

Die Erzieherin guckt wie ein rasiertes Eichhörnchen im Kühlschrank. Ich nutze ihre offensichtliche Verwirrung und laufe gaaanz langsam rückwärts. Eventuell bemerkt sie meine Flucht gar nicht. Ist ja schließlich dunkel im Kühlschrank.

Kurz vor der Tür versperrt mir Leo aus der gelben Gruppe den Weg. Er zieht die Nase hoch und schreit: „WEGZOLL ZWEI EUROS!“. Strecke ihm 20€ entgegen und frage, ob er wechseln kann.

Suche draußen K1 und K2. Kinder haben ja viele Talente. Einige können toll singen, andere gut malen, wieder andere beeindruckend laut rülpsen. Meine haben eine angeborene Tarnfunktion und werden für das menschliche Auge unsichtbar, zum Beispiel wenn man schnell nach Hause möchte.

Ich erspähe K2. Genauer gesagt sehe ich nur ihren Kopf. Die Kinder aus der blauen Gruppe haben sie auf ihren Wunsch hin bis zum Hals im Sandkasten eingebuddelt und Matschklumpen mittels einer alt-tibetanischen Wurftechnik in ihre Haare geklöppelt.

Ich überschlage grob, dass wir etwa drei Liebherr-Bagger benötigen werden, um das Kind rechtzeitig vorm ersten Weihnachtsfeiertag auszubuddeln, und ca. vier Liter Shampoo, damit sie nicht als fleischgeworden Fangopackung ihre Geschenke auspacken muss.

Beauftrage die blaue Gruppe mit der Bergung meiner Tochter. Instruiere sie freundlich mit: „ICH GLAUB ET HACKT, IHR BLÖDBACKIGEN POPELHONKS.“

Ernte ehrfürchtigen Szenenapplaus der älteren Kita-Kinder wegen meiner ausgefuchsten Beleidigungsskills.

Während K2 ausgebuddelt wird, saust K1 auf dem Roller vorbei. Er ist so schnell, dass er problemlos auf einer deutschen Autobahn einfädeln könnte. Ich brauche irgendetwas, um ihn bei der nächsten Runde zu stoppen.

Sehe einen dicken Ast auf dem Boden liegen, verwerfe aber die Idee. Der Roller war schließlich teuer.

K2 steht nun breit grinsend vor mir. „Mama, war das cool!?!“ fragt sie. Ich ringe um Fassung, man möchte ja nicht dem Kind in einer pädagogischen Einrichtung eine unpädagogische Szene machen. Ich antworte daher diplomatisch-neutral auf Urhessisch mit „Gma, bdallesubbe schming.“

Klopfe das Kind grob ab. Innerhalb kürzester Zeit entsteht so unter ihren Füßen ein Sandhaufen in der Größe von Amrum.

Da kommt K1 wieder um die Ecke. Werfe mich in den Weg, ziehe die Nase hoch und brülle „WEGZOLL ZWEI EUROS!“.

Es funktioniert, K2 stoppt. Er kramt in seiner Hosentasche und bezahlt grummelnd mit zwei unreifen Kastanien, einem Kronkorken und einer Nacktschnecke.

Ich weise beide Kinder an, auf schnellstmöglichem Wege die Rucksäcke zu holen und den Heimweg anzutreten. K2 hinterlässt dabei eine imposante Sandspur, die Hänsel und Gretel damals viel Ärger erspart hätte.

Um das Ganze zu beschleunigen helfe ich den Kindern beim Zusammensuchen ihrer Sachen. Zwei Rucksäcke, ein Roller, ein Laufrad, zwei Helme, ein Kuscheltier, zwei Fleecejacken, 17 gemalte Bilder, zwei Elterninformationsbriefe und vier beklebte Klorollen später stehen wir am Tor.

Ich will gerade die Tür öffnen, da kommt eine Mutter mit weit aufgerissenen Augen aus dem Gebäude. Entweder sie hat soeben die Bestätigung erhalten, dass ihre Magen- und Darmspiegelung mit nur einem Endoskop stattfinden wird, oder aber ich habe am Samstag Hilfe in der Kita-Küche.

Wir lächeln uns sonderbar zahnlastig zu. So wie wir zwei aussehen wird das Beginn einer großartigen Freundschaft. Oder aber der Anfang einer steilen Karriere in einer ARD-Arztserie mit Schwerpunkt Neurologie.