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Aug 25, 2019 18 tweets 3 min read Read on X
Alltag in der Kleinstadt: Muttis gute Bekannte aus der katholischen Kirchengemeinde fragt sie, ob die neue Wohnung tatsächlich in dem Haus läge, für dessen Bezug sich eine Menge Menschen beworben hätten. Mutti bejaht dies. (1/x)
Die gute Bekannte, die sich mangels eigenem Führerschein und verstorbenem Gatten regelmäßig von Mutti mit dem Auto ins Grüne oder zum Gottesdienst bei dem ach so netten Pfarrer in der 30 km entfernen Partnergemeinde fahren lässt, ist verwundert, wenn nicht gar entsetzt. (2/x)
Schließlich habe ihr eine Bekannte erzählt, in dieses Haus seien - zum Unmut aller - ausschließlich Ausländer eingezogen. Man wüsste ja, wie das so laufe. Immer zuerst alles Gute für „diese Ausländer“. (3/x)
Meine Mutter ist verwundert. Noch sehr amüsiert berichtet sie mit einem Augenzwinkern, dass sie bereits alle Namen an den Briefkästen gecheckt habe - da sei zumindest nicht offensichtlich ein „ausländischer“ Name dabei, mehr so Müller/Maier/Schulze. (4/x)
Die gute Bekannte ist offensichtlich nicht überzeugt, aber sagt nichts mehr. Die Geschichte könnte hier enden und hätte dann nichts schlimmes an sich. Behauptung ausgesprochen, mit Fakten widerlegt und gut. Doch ihr ahnt schon: Tut sie leider nicht. (5/x)
Eine Woche später (Kirchgangzeit!) hört Freundin Elke, wie die gute Frau erneut davon berichtet, dass in das neue Haus ausschließlich Ausländer eingezogen seien. Elke, die beim vorigen Gespräch dabei war, wundert sich laut, warum diese Geschichte erneut erzählt wird. (6/x)
Meine Mutter kommt dazu & wundert sich. Ganz Mutter ihrer Tochter fragt sie die gute Bekannte, ob die wisse, was „Fake News“ sind, also „das was da im Internet verbreitet wird, von diesem Trump und so“. Ich gestehe, in diesem Moment der späteren Erzählung bin ich verblüfft. (7/x)
Doch die ältere Dame bleibt hart. Schließlich hätte sie diese Information einer Freundin, die „Akademikerin“ sei. Sie würde das ja auch gar nicht selbst behaupten mit den Ausländern, sondern eben die Freundin. Und auf diese lasse sie „nichts kommen“. (8/x)
Selbst für meine herzensgute Mama wird das Gespräch im Kirchenvorraum nun etwas surreal. Sie weist daraufhin, dass tatsächlich ein „ausländischer Mensch“ in dem genannten Haus wohne: Sie selbst. Seit 1980 deutsche Staatsbürgerin, geboren in Indien. Ob das ein Problem sei? (9/x)
Die gute Bekannte schiebt trotzig die Unterlippe vor. Das Gespräch dreht sich plötzlich um kriminelle ausländische Männer, die Ausnutzung des Sozialstaats und unterdrückte ausländische Frauen (10/x).
Mama ist sprachlos, verweist nur noch auf die „Fake News“ - und dann legt Elke los mit einer flammenden Rede über die Vorteile anderer Kulturen, dem Zuzug junger Menschen, die später in die Rentenkassen einzahlen & über die Vorteile für die ansonsten überalterte Kleinstadt (11/x)
Mama greift am Ende nochmal die „unterdrückten ausländischen Frauen“ auf, verweist darauf, dass sie als Inderin als einzige in der Kirchenfrauentruppe einen Führerschein & ein Auto besitzt (mit dem sie im Austausch für einen (!) Kaffee alle herumfährt) und rauscht davon. (12/x)
In der späteren Erzählung wird deutlich: Mama ist enttäuscht und hätte mir das am liebsten gar nicht erzählt. Es war Elke, die mich mit „Sie sind doch auch Akademikerin?“ ins Bild setzt über die Geschehnisse - auch nach Tagen noch sauwütend darüber. (13/x).
Was bleibt? Ich bin wütend auf diese dumme Frau, ich bin entsetzt, was meine Mama mir alles nicht erzählt und ich bin dankbar für Frauen wie Elke, die weit gereist ist und solche Aussagen nicht einfach stehen lassen kann, sondern sich entschlossen entgegenstellt (14/x).
Am liebsten würde ich ja selbst am Samstagabend nach Preetz in die Messe gehen, der Dame auflauern, die mich seit Jahrzehnten kennt, und sie fragen, ob sie mir als „Akademikerin“ auch alles glaubt & weiterverbreitet, was ich sage. Aber das ist wohl kindisch, hm?
Stattdessen wirke ich auf meine Mama ein, die Dame nicht mehr herumzufahren. Die fragt mich direkt: „Nur weil sie so dumm ist? Das ist doch kein Grund, die auszuschließen.“ Komme mir ein wenig schäbig vor. Hoffentlich bin ich irgendwann auch so entspannt wie meine Mama.
Und die Geschichte, dass „eine Frau aus Peru“ seit neuestem mit einem silbernen Auto einfach auf dem Genossenschaftsparkplatz parke, erzähle ich euch ein anderes Mal 😄Da kenne ich bisher nur Mamas kurze Zusammenfassung, warte auf Treffen mit der Nachbarin, von der sie das hat.
Ich merke halt immer wieder, dass meine Mama die richtig schlimmen Stellen solcher Geschichten immer weglässt. Aber da sie quasi nur ein Haus weiter gezogen ist, ist die Nachbarschaft seit 1985 fast dieselbe und ich kann beim „Heimatbesuch“ einfach mal herumfragen :)

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