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Was ihr wegen Corona verpasst: Die größte geopolitische Verschiebung seit 75 Jahren. In den Hauptrollen: Dollar, Öl, Euro & Gold. Nebendarsteller: Trump, Putin, MBS, Xi und Merkel/Macron (MM). Honorable mentions: Nixon, Kissinger, Duisenberg.

Ok, let's go.
Die Idee einer Reservewährung/Leitwährung lässt sich hunderte Jahre zurückverfolgen. Nimmt man Gold dazu, sind es sogar tausende Jahre. Aber die Systeme hinter diesen Währungen wechseln ständig und dynamisch. Alle 70 bis 100 Jahre wechselt die dominante Reservewährung.
Diese Geschichte fängt 1944 in Bretton Woods an. Dort wurde der Grundstein für das heutige $-zentrische Weltsystem gelegt. In einer letzten Erinnerung an den Goldstandard des 19. Jahrhunderts wird der 💵 an 🏅 gebunden, die übrigen Währungen an den Dollar.
Keynes war damals als Vertreter des abgelösten Vereinten Königreichs dort. Er wußte, dass ein so ein System, in dem eine nationale Währung quasi zeitgleich als internationales Geldsystem fungiert, viele Probleme mit sich bringt. Keynes hatte eine andere Idee, den "Bancor".
Aber Keynes scheiterte an seinem 🇺🇸-Gegenüber Harry Dexter White. Die USA wollten sich die Macht und das Prestige nicht nehmen lassen, das ihnen als Weltwirtschaftsnation und Herausgeberin der Leitwährung zustand. White wurde auch 1. Chef des IWF, der in BW erfunden wurde.
Gegen 1950 hatten die USA noch ca. 24k Tonnen Gold, 1971 waren es nur noch 8k. Zwar häuften viele Länder brav Dollars als Reserven an, da die ja "so gut wie Gold" waren, aber die Europäer (allen voran 🇫🇷) trauten dem nie so richtig. Sie wußten: Das System hat ein Ablaufdatum.
Es funktionierte aber aus der Sicht der USA prächtig. Zum Teil bis heute. Paris hat das von Anfang an durchschaut. In den 1960ern spricht Finanzminister Valéry Giscard d'Estaing vom "exorbitanten Privileg", dass Bretton Woods den 🇺🇸 einräumen würde.
Der belgisch-amerikanische Ökonom Robert Triffin warnte früh vor der Diskrepanz zwischen nationalen und internationalen Interessen bei der Geldpolitik und davor, dass die 🇺🇸 permanent Defizite fahren muss, um die Welt mit 💵 zu versorgen. Das "Triffin-Dilemma" war geboren.
Als Reaktion auf Triffins Warnungen wurden in den 1960ern beim IWF die Sonderziehungsrechte geboren (Special Drawing Rights SDR), inspiriert von Keynes Bancor-Vorschlag. Aber die Europäer hatten genug gesehen. SDRs verspotteten die Franzosen als "monetäres LSD".
Das System erlaubt es den USA, Papier zu bedrucken und dafür echte Produkte zu kaufen. Das ist das "exorbitante Privileg", das sonst niemand hat.

1965 tritt Charles de Gaulle vor die Kamera, erklärt das ganze Problem und präsentiert die Lösung: Gold.
"It costs only a few cents for the Bureau of Engraving and Printing to produce a $100 bill, but other countries had to pony up $100 of actual goods in order to obtain one." - Barry Eichengreen
Im BW System konnten nur Länder und Zentralbanken ihre Dollars zu einem fixen Kurs in Gold eintauschen. Viele verzichteten darauf. Nicht de Gaulle. Er schickte nach seiner Rede Ende der 1960er die Kriegsmarine nach New York um Frankreichs Gold zu holen. Andere Länder folgten.
Die Deutschen waren weniger forsch. Sie versprachen 1967 von einem Eintausch ihrer Dollars in Gold abzusehen. In einem Brief schrieb Bundesbank Präsident Karl Blessing, dass er das als Zahlung für den militärischen Schutz durch die USA betrachtet.

bundesbank.de/en/tasks/topic…
Heute beschwert sich Trump, dass diese Unterstützung ausbleibt. Mit Einführung des Euro 1999 hat Europa dem US-System den strukturellen Support entzogen. Aber bis dahin war es ein weiter Weg, der wohl erst durch das Ende der Sowjetunion und die Wiedervereinigung frei wurde.
Zurück zur Timeline: Im August 1971 platzt die Bombe. Richard Nixon beendet die Konvertabilität des Dollars in Gold endgültig. Allerdings nur "temporär". Ein Provisorium, das bis heute anhält. Der "Nixon-Schock" kam einer Abwertung des 💵 gleich.
Es folgten Chaos-Jahre. Die fixen Wechselkurse von BW brachen zusammen, die Ölproduzenten (allen voran 🇸🇦) waren fuchsteufelswild, es kam zu mehreren Ölkrisen und einer starken Inflation. Diese Phase dauerte ca. 10 Jahre.
In Europa kommt jetzt erstmals die Idee einer eigenen Währung auf. Im Stillen beginnen die Arbeiten am Euro. Ironischerweise in der Schweiz bei der Bank of International Settlements in Basel. Aber das ist ein Hinweis: Der Euro war immer ein europäisches Projekt, aber für die Welt
Jetzt treffen wir auch Robert Triffin wieder. Statt sich in den USA weiter den Mund fusslig zu reden, geht er zurück in seine Heimat Belgien und unterstützt die Europäer beim Aufbau des Euro. 1979 startet das European Monetary System, der Vorläufer der EZB.
Aber die Amerikaner sind in dieser Zeit nicht unttätig. Der Nixon-Schock hat den Dollar als Leitwährung kaum beschädigt. Es gab einfach keine echten Alternativen damals. Auch die Europäer unterstützten das System indem sie USD-Reserven anhäuften. Niemand wollte einen Kollaps.
Nixon und Kissinger gelingt es, zwei Deals zu schließen, die die Rolle des Dollars bis heute zementieren sollten. Der erste ist die Allianz mit Saudi Arabien 🇸🇦. Öl sollte weiterhin nur in Dollar gehandelt werden, damit jeder Staat 💵-Reserven braucht. Der Petrodollar war geboren
1972 fliegt Richard Nixon selbst nach China, vollzieht eine 180-Grad-Wende in der amerikanischen China-Politik und läßt dafür Taiwan fallen. Die USA werden China noch brauchen. Das war damals schon klar.
1999 geht der Euro online, die Europäer entziehen dem Dollar-System ihre Unterstützung. Viele dachten damals (Dot-Com-Bubble) an die Ablösung des Dollars als alleinige Leitwährung. Aber Washington wusste: Solange Öl in Dollar gehandelt wird UND teuer bleibt, braucht die Welt 💵.
Was damals auch in Europa wohl niemand kommen sah: China springt massiv ein und fängt an, US-Staatsanleihen aufzutürmen. Das Ziel: Das aktuelle System zu unterstützen während man sein eigenes aufbaut. Für die USA ist das teuer aber alternativlos. Die Produktion wandert endg. ab.
Nach 9/11 schreitet Amerika massiv im Nahen Osten ein, was wichtige Ölförderländer vom Markt fern hält und den Preis nach oben treibt. Dass Saddam Hussein sein Öl auch noch gegen Euro verkaufen will, geht Washington entschieden zu weit, denn das sägt am Petrodollar.
Anfang der 00er-Jahre sieht sich Europa (auch dank dem Euro) politisch im Aufwind. 🇫🇷 & 🇩🇪 verweigern dem Nato-Parnter 🇺🇸 die Unterstützung im Irak-Krieg. Stattdessen verstehen sich Chirac und Schröder gut mit Putin. Eine heikle Situation.
Putin ist übrigens seitdem eine Art Fixstern in dieser Story, weil er einfach schon so lange an der Macht ist. Kaum jemand seit de Gaulle kritisiert das 💵-System so laut und direkt wie er. Er macht kein Geheimnis daraus, was er bevorzugt: Euro & Gold

Die Phase der chinesischen Unterstützung für den 💵 währt von 2000 bis 2013. Schon 2009, also nach der letzten Finanzkrise, beschwert sich der Chef der chinesischen Notenbank in Worten, die auch von de Gaulle, Triffin oder Putin sein könnten.

ft.com/content/785192…
2013 sagt China dann, dass man keine neuen 💵-Reseven auftürmen möchte. Stattdessen wird der Yuan massiv ausgebaut. Es folgt ein Yuan-Ölpreis und ein Yuan-Goldpreis. Was bedeutet, dass 🇸🇦 & 🇷🇺 Öl für Yuan verkaufen können und dann in Gold eintauschen.

bloomberg.com/news/articles/…
Was wir seitdem sehen ist der Ausbau von bilateralen Agreements, nationale Währungen zu nutzen. Auch Alternativen zum US-hörigen Swift-System werden geschaffen: In Russland, China und zuletzt sogar in Europa (INSTEX, wo auch 🇬🇧 dabei ist).
Gleichzeitig kaufen Russland, China und andere Schwellenländer massiv Gold um auf Augenhöhe mit dem Westen zu kommen. Wir wissen: USA hat noch 8000 Tonnen. Was aber gerne übersehen wird: Gemeinsam hat die Eurozone mehr als 11000 Tonnen.
Was hat de Gaulle 1965 gesagt? Ein neues Geldsystem wird auf Gold "aufgebaut". Viele denken da an den Gold-Standard, also die fixe Bindung einer Währung an Gold. Aber 🇪🇺 hat eine elegantere Lösung gefunden: Das Gold wird 4x im Jahr nach Marktwert bewertet...
...und damit auch wirklich jeder kapiert, dass Gold das Reserveasset der Zukunft sein wird, hat es die EZB auch in der Ersten Zeile ihrer Bilanz stehen. In a way hat Nixon schon 1971 verstanden, dass er das Gold nochmal brauchen wird. Deswegen wurde der Abfluss ja gestoppt!
Hier nochmal Putin, weil er sich mit solchen Stichelein nicht zurückhalten kann. Man muss verstehen: Auch die russische und chinesische Zentralbank bewerten ihr Gold nach Marktwert. Sie profitieren von einem steigenden Preis und sind schon im System, das der Euro begründet hat.
Unter Obama sehen 🇪🇺 🇷🇺 🇨🇳 et. al. ihre nächste Chance. Der Iran-Deal soll die Gelegenheit zu einem geordneten Übergang von einem reinen Dollar-System in ein multipolares System mit mehreren Ölwährungen bieten. Kerry erklärt es sogar relativ offen.

reuters.com/article/us-ira…
Aber wenn man eines nie darf, dann den Einfallsreichtum und den Pragmatismus Amerikas unterschätzen. 2016 kommt die Kehrtwende: Donald Trump, der "Amokläufer" im Weißen Haus. Während alle glauben, er spinnt, stellt er Amerika auf die nächsten Schritte ein.
Make America Great Again ist (meiner Meinung nach) nichts anderes als die Einsicht, dass man das Triffin Dilemma auch irgendwan auflösen muss - und zwar zum Vorteil aller. Der Rest der Welt bekommt sein neues, faires Währungssystem - und Amerika bekommt seine Industrie zurück.
Jetzt spulen wir vor nach 2020, weil das schon viel zu lange geht: Russland & China wollten Öl völlig dem Markt überlassen. Jetzt gibt es zwar Cuts, aber das alleine wird den Ölpreis kaum heben. Entscheidend sind die Saudis. Was machen die?
Sie haben den US-Ölpreis gerade stark angehoben. Europäer und Asiaten zahlen weniger. Gleichzeitig kaufen sie sich massiv in Europa ein: Billionen in Ölfirmen und sogar Newcastle United haha
Saudi Arabien ist der größte Öllieferant Chinas. Peking hat (genauso wie Europa) kein Interesse, für Ölimporte Dollars zu nutzen. Wozu auch? Die Saudis wissen, dass sie irgendwann (auch offiziell) Yuan akzeptieren müssen.
Es stimmt: Das Ende des Petrodollar-Systems wurde schon oft vorhergesagt. Ich will das auch nicht tun. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Aber zum ersten mal bewegen sich jetzt die wichtigsten Player: Trump und MBS. Corona hat es noch beschleunigt.
Wenn wir den Weg weitergehen, dürfte Öl billig bleiben - vor allem in EUR und RMB. Gold sollte weiter steigen, auch weil der USD abgewertet wird. Die Corona-Krise bietet das perfekte "Cover" für solche dramatischen Schritte.

Aber, bitte: Nichts ist fix! We watch!
Literaturliste:

@LukeGromen schreibt einen tollen Newsletter: FFTT-LLC.com
@TheSuperBubble hat ein großartiges E-Book gemacht: ebook.superbubble.money
@FOFOA999 bloggt über diese Dinge seit 12 Jahren
@IGWTreport hat jedes Jahr ein Kapitel dazu und Interviews
THE END

for now :)
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