Thread by @Baraghir

Super Kampagne, dieses #fahrrunter - ja doch, wirklich.
Hier kann man beobachten, wie das Problem verlagert wird: Das ist nicht mehr die Problematisierung des Regelverstoßes, sondern die Art und Weise, wie das kommuniziert wird. Es zementiert die Rolle des Autos -
Ein Thread: 1/x

https://twitter.com/RathausHB_news/status/1268897292247085059

Die ganze Kampagne suggeriert, dass die Ausdrucksweise der Beteiligten das Problem sei, nicht das ursprüngliche Fehlverhalten, auf den dann mittels Invektive hingewiesen wird. So steht es ja schon im Titel: "Auch wenn du Recht hast – #fahrrunter" 2/x

Was bedeutet das im Konkreten? Nehmen wir Motiv Nummer 9: Dooring.
Die Person auf dem Fahrrad ruft der Person im Auto zu, die Türe zu schließen; diese reagiert mit einer Invektive.
Was bedeutet das? 3/x

1. Lassen wir das "Alter" in der Ansprache (ist ein Grenzfall, zugegeben) mal außen vor, geht die Eskalation hier maßgeblich von der Person im Auto aus, also jener, die das Problem durch Fehlverhalten erst hervorruft: Die Kommunikation ist hier: "Dein Anliegen ist mir egal." 4/x

2. Die Darstellung ist schon an sich schon ärgerlich, da sie für sich schon eine Missachtung der Person auf dem Fahrrad beinhaltet: Sie benennt ein Fehlverhalten, sie wird dafür beleidigt.
Problematisch wird es nun, wenn in der Folie auf das + rechts unten geklickt wird. 5/x

Tun wir das, finden eine Erläuterung zum Motiv.
Lesen wir den Text, findet hier eine Normalisierung von Fehlverhalten statt: Zunächst heißt es, dass dies aus Unachtsamkeit, nicht mit Absicht geschehe. Mag sein, ist aber keine Entschuldigung. 6/x

Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme gilt auch für den ruhenden Verkehr. Weiterhin die Überschrift: Eine sich öffnende Autotür ist kein "plötzliches Hindernis", das unvorhersehbar auftritt, sondern Folge der Handlungen anderer Verkehrsteilnehmenden, hier im Auto 7/x

So geht der Text weiter: Kein Wort über die massive Gefährdung der Person auf dem Rad durch die Unachtsamkeit der Person im Auto. Angesichts der Gefahr, die damit einhergeht, halte ich die Ansprache noch für zurückhaltend, noch geradezu freundlich. 8/x

Jedenfalls nicht unangemessen. Die Reaktion der Person im Auto jedenfalls sehr. Und die Folgerung der Kamapgne? Lässt sich übersetzen mit "Runterschalten, Fresse halten." Der Text weist quasi an, den Hinweis - in einer hochgradig emotionalen Situation - zu unterlassen. 9/x

Das finde ich hochgradig problematisch, das ist ein gutes Beispiel für #framing, genauer gesagt: es ist perfides re-framing.
Wie absurd dieses Re-Framing ist, erkennt man, wenn sich Folie 4 + Erläuterung anschaut. 10/x

Hier vollendet sich das Motto #fahrrunter tatsächlich in Perfektion: KFZ-Lenker*in eröffnet die Situation mit einer Invektive. 11/x

Die Radfahrer*in weist völlig sachgerecht und _ohne jede Beleidigung_ (der angebliche Sinn und Zweck der Kampagne) auf die geltende Rechtslage hin. Aber: Das interessiert den Erläuterungstext nicht im Geringsten. Dieser sagt unmissverständlich: #fahrrunter von der Fahrbahn. 12/x

Ob man hier als Radfahrer*in im Recht ist? Egal. Dass die Aggressivität durch die Autofahrer*in in die Situation gebracht wurde? Egal. Dass die Autofahrer*in im Unrecht ist? Auch egal. Hauptsache, das Rad verschwindet von der Straße. 13/x

Was bleibt: Die Benennung von Fehlverhalten wird sanktioniert und delegitimiert, die Positionierung des KFZ im Verkehrsgefüge als Platzhirsch mittels re-framing zementiert, das Fahrrad auf die Randplätze verwiesen. Die Verkehrshierarchie bleibt unangetastet. 14/x

Verstärkt wird dieses Narrativ übrigens durch die Auswahl der Motive, die Regelverstöße von Radfahrenden und ihr Verhalten problematisieren: Deren Regelverstöße werden narrativ nicht aufgehoben, sondern verstärkt, ihre Fehlverhalten zementiert, statt relativiert. 15/15