Thread by @HerrTinnbart

CN rape
Unter #nichtmeinemännlichkeit kündigen wir Männer unsere default-Solidarität mit Männern wie Luke #Mockridge auf. Mockridge wird von mehreren Frauen Vergewaltigung vorgeworfen, er hat eine berüchtigte Anwaltskanzlei beauftragt, die die Opfer unter Druck setzt und

Berichterstattung unterdrückt.

Hier meine Sicht auf die Dinge, als Mann:

Wir haben gelernt: "Im Zweifel für den Angeklagten!" Das ist sehr bequem, wir können uns zurücklehnen, bis ein Richter urteilt: "Ja, er hat vergewaltigt, ja, das war schlimm".

Für die Opfer (und Täter) ist es der zweite Layer, der das Verbrechen unsichtbar macht. Als ich im Geschäft einen Raubüberfall erlitten habe und die Polizei rief, war ich verblüfft, dass mir alle sofort glaubten. Es war ja nichts zu sehen. Die Polizei kam, sicherte Spuren,

rief eine Fahndung aus, befragte mich geduldig und geschult und ließ keinen Zweifel daran, dass sie auf meiner Seite war. Ausgehend von dem, was ich von Vergewaltigungen wusste, war ich eigentlich gefasst auf:

"Sind Sie sicher, dass Sie sich das nicht nur ausgedacht haben, um Versicherung zu kassieren? Wieviel wurde 'geraubt', und welches Vermögen haben Sie? Naja, im Vergleich scheint mir die geraubte Sume nicht besonders schlimm zu sein. Warum hatten Sie das Geld überhaupt da,

und nicht auf der Bank? Zeigen Sie mal Ihre Bücher, ob das von den Zahlen her auch übliche Summen sind. Dürfen wir uns umsehen, ob wir das 'geraubte' Geld nicht in einer Schublade finden?

Aber all diese Sätze fielen nicht und wurden nicht gedacht. Lediglich ein junger Polizist

schaute sich in meinen Räumen (persönliches Flair) um und fragte vermeintlich schlau: "Haben Sie Ihr Geschäft überhaupt angemeldet?"

Die anderen ignorierten ihn, aber selbst das bisschen Misstrauen verletzte mich.

Die Anmeldung kann ich mit einem Steuer-Zettel beweisen,

und ich habe davon Tausende. Dennoch Schmerz.

Diese eine Frage nun mal Tausend, mit Polizeikollegen drumherum, die sie nicht abwinken, sondern aufmerksam zuhören. Lauter ungeschulte Fragen von lauter ungeschulten Leuten, die nicht genug über das Thema Vergewaltigung wissen:

ständige Pflicht zu beweisen, wo die Vernehmenden gar nicht wissen, wie Indizien aussehen:

Das ist der erste Layer, der das Verbrechen unsichtbar macht.

Wer das einmal durchmacht, will danach nie wieder hinterfragt werden. Wer es schafft, sich da durchzuarbeiten, ist schon

viel stärker als ich (durchschnittlicher Mann).

Dann muss man Anzeige stellen, vielleicht geht man an die Presse, dann redet man dir ins Gewissen, ob du das Leben des mUTmAsSLiChEN Täters wirklich zerstören willst, wo du dir doch in dem 27. Details, über das dich schon 12 Leute

gasgelighted haben, nicht mehr ganz sicher bist - wie kannst du dir da sicher sein, dass du nicht doch Signale ausgesendet hast? Spoiler: Auch Signale rechtfertigen keine Vergewaltigung. Oder ob du nicht missverständlich warst, vielleicht hatte er dich missverstanden?

Auch das rechtfertigt keine Vergewaltigung.

Und war es wirklich so schlimm? Oder mochtest du es vielleicht auch? Du mochtest ihn doch vorher, warum nicht währenddessen, das musst du mir, dem männlichen psychologischen Laien, glaubhaft machen, dass ichs verstehe. Antwort:

All das rechtfertigt keine Vergewaltigung. All das ist nicht Aufgabe des Opfers. All das entsteht, weil Leute sich zu urteilen anmaßen, die nicht geschult sind.

(kurz Pause, mir ist schlecht, darum sag ich so selten was zum Thema rape)

Wer etwas Heilsames sehen möchte, eine Utopie, wie Polizeiarbeit aussehen kann, eigentlich: aussehen MUSS, wenn jemand, egal in welchem Zustand, egal wann, zu einer Polizeiwache stolpert und dissoziiert "ich wurde vergewaltigt" murmelt:

Netflix Broadchurch, Staffel 3.

Immer an der Seite des Opfers, immer unterstützend.

In unserer Gesellschaft eine Vergewaltigung überhaupt anzuzeigen, sei es im ersten Schock, sei es nach Jahren und Jahren, erfordert mehr Mut als ich habe.

Die ersten 2 Layer durchzustehen, dieses "war es wirklich so?" und

die furchtbare allgegenwärt Geste "wir stellen uns erstmal auf die Seite des Angeklagten" braucht mehr Kraft, als ein durchschnittlicher Mann hätte.

Das ganze System, alle default-Einstellungen, unsere ganze gesellschaftliche Sozialisation sagt zwar vordergründig "Vergewaltigung

ist schlimm", schützt dann aber mit aller Energie den Beschuldigten.

"in dubio pro reo" ist ein Rechtsgrundsatz vor Gericht, er gilt nicht bei der Ermittlungsarbeit, und er muss schon gar nicht von uns random Dudes jeder Frau ins Gesicht gesagt werden, die sich endlich äußert.

Der dritte Layer, der eine Tat unsichtbar macht, ist "Ach SO was, das ist keine richtige Vergewaltigung". Gemeint ist: Wenn ein Fremder im Stadtpark hinter einem Busch hervorspringt und das Opfer penetriert, das ist eine richtige Vergewaltigung. Analog dazu Kindesmissbrauch:

Wenn ein Mann mit Süßigkeiten lockt, dann ins Auto zerrt, dann dann" - das ist Kindesmissbrauch, da empört sich die Gesellschaft.

Im Umkehrschluss wird alles, was sich im Privaten, Partnerschaftlichen, Familiären abspielt, freigestellt: das war keine RICHTIGE Vergewaltigung.

Der vierte Layer, der eine Tat unsichtbar macht, ist das Absprechen von Leid. Sehr einfach aus cis-männlicher Perspektive: Für uns cis Männer ist Sex etwa wie Essen: man ist hungrig, man nimmt sich was, später ist man wieder hungrig. Empörung höchstens, wenn man dieses "was"

jemandem weggenommen hat: Wenn er "jemandes Freundin" oder "jemandes Tochter" vergewaltigt hat.

Damit nehmen wir ganz automatisch, wieder gesellschaftlich anerzogen und der default-Zustand, die Täterperspektive ein:

Das Opfer wird nicht gefühlt.

Ich könnte hier jetzt Absätze schreiben über das jahrzehntelange Leid, das eine "einzige" Vergewaltigung auslöst, den Schrecken, der sich einnistet, die Verdunkelung der Gefühle, die Einsamkeit und die Beziehungsunfähigkeit, die daraus resultieren kann.

Für den Täter ist es eine kurze Sache, er sieht sich danach immer noch als okayen Typen, nicht als Vergewaltiger, denn "das da" hat er sich in seiner Erinnerung längst auf Linie gelogen.

Für das Opfer ist es Schmerz für Jahrzehnte.

Wenn die Frau sich nun zusammenreißt, ordentlich anzieht, ihre Gefühle unterdrückt und klar und deutlich erklärt, was geschehen ist, dann sehen wir die äußere Erscheinung und sagen uns: So schlimm kann das ja gar nicht gewesen sein. Ist ja jetzt auch vorbei.

Nichts ist vorbei.

Wir Männer müssen solidarisch mit den Opfern sein. Wenn sie sich öffnen, müssen und müssen wir unzweifelhaft auf ihrer Seite stehen.

Wir sollten uns auch ein bisschen weiterbilden: was ist Dissoziation, was sind die Auswirkungen, warum diese scheinbaren Widersprüche,

warum wirkt sie in Gegenwart des Täters ausgesprochen lässig, bricht im geschützten Rahmen aber zusammen, was ist Übertragung, was ist Maske usw.

Das Opfer muss nichts beweisen, erklären oder herleiten. Es muss keine logischen Schlüsse ermöglichen, es muss schon gar nicht

erklären, was daran schlimm war.

Das ist unsere Aufgabe, die Aufgabe derer, denen sie sich öffnen. Wir müssen die default-Einstellung ändern, "in dubio pro reo" im Zweifel zum Beschuldigten zu stehen. Wir dürfen niemals "du musst den Täter aber auch verstehen" sagen. Wir müssen

einen geschützten Raum halten, in dem aller Schmerz und alle Widersprüchlichkeit unhinterfragt sein dürfen. Auf gar keinen Fall dürfen wir selbst Schritte unternehmen, wie den Täter anzuzeigen, denn, s.o., das wird eine Tortur, nicht für uns, sondern für den ohnehin verletzten

Menschen. Der wichtigste Satz ist "ich stehe auf deiner Seite". Der selbstverständliche muss sein "ich glaube dir". Und ansonsten zuhören.

Und im fcking social media die Menschen supporten, die sich für die Opfer stark machen.

Nochmal zu social media: Man sieht sofort, wer Tätermensch ist. Ganz zugrundeliegend ist oft sowas wie "wenn man mir Sex vorenthält, ist das genauso schlimm". Das ist die toxische, menschenverachtende Grundeinstellung vieler cis Männer in der Gesellschaft.

Disclaimer: hab nicht überall cis geschrieben. trans Männer sind genauso oft Opfer 💔 und cis Männer können auch Opfer, cis Frauen auch Täterinnen sein.

Und cis Frauen schützen leider auch allzuoft die Täter, Täterschutz ist auch deren default-Zustand.