Im Allgemeinen und Speziellen bin ich ganz persönlich jedes FRAUEN-Förder-Zähl-Sichtbar-Mach-Projekt verdammt leid. Warum?

Kurzer Flashback zu den Wetzlarer Phantastiktagen mit dem Thema: „Frauen in Scifi“. (23 Tweets)

[CN im Thread für Geschlechtsbinarität, Gatekeeping]
Anfang September fand die jährliche Tagung der Phantastischen Bibliothek, die Wetzlarer Phantastiktage, mit dem Thema „Frauen in Science Fiktion“ statt. Hoffnungsvolles, queeres Ding, das ich grundsätzlich bin, las ich die Ankündigung und das Programm und dachte:
1/
„Na, klingt schon alles sehr binär hier, aber ich geb der Veranstaltung die Chance mich zu überraschen. Schließlich ist die Bibliothek auch mit Menschen aus der #progressivePhantastik-#diverserLesen-Blase vernetzt. Das wird bestimmt nicht nur so, wie’s klingt.“
2/
Was stand denn in der Ankündigung und im Programm? Eine Mischung aus akademischen und nicht-akademischen Vorträgen zu Autorinnen der deutschen SciFi, die, von der Frauenbewegung geprägt, im SciFi-Genre über erste feministische Forderungen schrieben. Cooler, wichtiger Stoff!
3/
Was gab’s? Genau das.

Ei, war halt so angekündigt gewesen. Vielleicht hätte es mich auf der Tagung dann sogar weniger befremdet, wenn Geschlechter, die nicht Mann oder Frau sind, auf einer Veranstaltung mit so einer Frauen-Agenda komplett unerwähnt geblieben wären.
4/
Das hätte mich wütend gemacht, aber nicht befremdet.

Aber Menschen wie ich wurden (!) auf dieser Veranstaltung erwähnt und zwar recht echauffiert gleich im Grußwort:
5/
Selbstverständlich sei den Veranstaltenden klar, dass es mehr Geschlechter als Mann und Frau gäbe und das brauche man nun dort auch nicht diskutieren. Man habe den Titel der Veranstaltung lediglich aus pragmatischen Gründen gewählt.
6/
Oh wow! Dass wir die Existenz z.B. meiner Nicht-Binarität nicht diskutieren brauchten/mussten/wollten, ist das absolut Mindeste. Was für ein beschissener Spruch von oben herab das war.
7/
Als hätten Menschen wie ich FREUDE dran, überall & immer wieder emotionale, unbezahlte Bildungsarbeit für Menschen zu machen, die uns als minderwertig ansehen - und damit die störende Person im Raum zu sein, der offensichtlich mit diesem Kommentar vorgebeugt werden sollte.
8/
Der Gedanke „Wir brauchen das nicht diskutieren, wir akzeptieren eure Existenz“ lenkte außerdem von der eigentlichen Problematik der Veranstaltung ab – dass nur Frauen besprochen, sichtbar gemacht und damit gefördert wurden.

DAS ist die Kritik, die nicht erwünscht war.
9/
Milde gesagt: Für mich waren das wenig einladende Grußworte. Ich kommentierte es nicht, niemand tat es. Ich dachte: „Ja, so ist es nun mal, den meisten Menschen fällt es leicht, Frauen zu fördern. Schon trans Frauen überfordern viele, aber ja, Frauen. Am leichtesten.“
10/
Ich wollte nicht diskutieren. Ich wollte mir nicht potentiell anhören,

a) dass ich nicht richtig aufgepasst hätte, man akzeptiere ja andere Geschlechter,
b) dass mein Wunsch nach einem inkludierenden Tagungsthema fehl am Platz oder zumindest viel zu spät sei,

11/
c) dass ich gern einen Betrag zum Thema Nicht-Binarität in SciFi hätte einreichen können
d) und sowieso und absolut meine eigene Tagung mit meinem Wunschthema veranstalten könne, man gratuliere mir dazu!

12/
Klingt unrealistisch? Ah. Ihr seid nicht so eng mit nicht-binären Personen vernetzt, die bei Frauenfördernden Netzwerken immer wieder nachgefragt und genau diese Antworten bekommen haben, hm?
13/
Das sind DIE gatekeependen Standardantworten auf den Wunsch nach mehr Inklusion. Wer sie noch nicht gehört hat, hat mehr Privilegien als viele.
14/
Hand aufs Herz: Ich hatte nicht den Atem, das an diesem Tag (allein) anzusprechen, nicht nur, aber auch weil ich erst durch diese „ganz pragmatisch haben wir hier für anders Marginalisierte keine Unterstützung“-Erfahrung erst verstanden habe, wie SEHR ich nicht-binär bin.
15/
Ich war vorher lange um das Label herumgetanzt. Eine Tagung über Frauen. Menschen wie ich wurden nicht besprochen und gehörten nicht dazu. Ich war nicht-binär. Das habe ich als Ausschlusserfahrung dort so richtig begriffen und fühlte mich zu raw, um irgendwas zu diskutieren.
16/
(Einerseits bin ich ein Queer Elder, anderseits ein Queer Baby, es ist zum Haare Raufen manchmal.)
Ich bin trotzdem geblieben, habe zugehört, für’s Genre halt. Und schau, mit Theresa Hannig kam am Nachmittag dann ein Vortrag über Wikipedia, deutsche SciFi-Autorenlisten und nicht vorhandene deutsche SciFi-Autorinnenlisten. Und?
17/
Sogar nicht-binäre SciFi-Schreibende wurden erwähnt! Das war schön. Eine Person, die nicht nicht-binär war, hat nicht-binäre Menschen als Teil ihres Vortrags auf einer Frauenfördernden Veranstaltung erwähnt. Das war mehr, was ich mir noch erwartet hatte von diesem Tag.
18/
Der Vortrag war super und die Daten spannend. Die Ergebnisse seien noch vorläufig, aber das Projekt bald fertig. Bald ist jetzt und das Projekt heißt halt: #fantastischeFRAUEN
19/
Was soll ich dazu sagen? #fantastischeFRAUEN - was für ein schöner, PRAGMATISCHER Hashtag, um sich nur um die Sichtbarkeit von FRAUEN zu bemühen.
20/
Nicht-binäre Schreibende im Genre werden genau 1x erwähnt, nämlich als darauf hingewiesen wird, dass ihre Anzahl zu gering ist, um sie als separate Gruppe abzubilden. Zahlen, so pragmatisch, so gut. /s
21/
TL;DR

„Wir fördern Frauen, weil wir pragmatisch denken müssen“ ist genauso wenig ein Einzelphänomen wie die „Kann ich nicht leisten, macht selbst, ihr seid so bös“-Haltung dahinter.

Für mich das dieses Jahr schon die dritte größere Erfahrung, aber wer zählt hier noch...
22/
Mich interessieren keine FRAUEN-Förder-Zähl-Sichtbar-Mach-Projekte, ich bin sie und die Haltung der Menschen dahinter leid. Darum werde ich der nächsten Person, die mir irgendwas empfiehlt „weil FRAUEN!“, aus NICHT-BINÄRER Notwehr vor’s Schienbein treten, ich schwör’s.
23/23
P.S. Selbstverständlich machen inter*, nicht-binäre, trans und agender Schreibende der deutschen Fantastik ihren Scheiß immer selbst, also hat @karlabyrinth eine wikipedia-externe Liste angelegt, auf die übrigens kommen kann, wer‘s sich wünscht:

karlabyrinth.org/diversity/TINS…
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