Thread by @MarkusWerle

Eine Kurzgeschichte (Disclaimer: ohne Sebastian Kurz)

Ich sitze im ICE Hamburg Altona Richtung München. Ursprünglich komme ich aus dem Siegerland. Ich sage das nicht ohne Stolz, denn wer kommt schon gerne aus dem Verliererland.

Es ist ein Großraumwagen, aber ich weiß nicht, ob er aus dem Großraum Hamburg oder dem Großraum München stammt.

Was ich aber genau weiß: Ich sitze im Ruheabteil und sinniere vor mich hin, gefangen in einem Tagtraum über Grüne, die grün sein wollten und über Gelbe, die Wahlen gewinnen, weil #Alzheimer eine Volkskrankheit ist. Und wir sind dieses Volk. Wir volgen jedem Rattenfänger.

Die Schnecke neben mir hat Kopfhörer aufgezogen und hört Klangteppichhändler im Sommerschlussverkauf. Sie ist ganz in schwarz gekleidet. Schwarz gefärbte Haare, schwarze Lidschatten, schwarze Wimpernverlängerungen, schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans und schwarze Turnschuhe.

Die Turnschuhe tragen das Geheimzeichen. Es ist das „Korrekt“-Zeichen. Wir gehören offenbar zur selben weltumspannenden Geheimorganisation. Nur wenige Menschen in diesem Zug wissen, was das bedeutet: Ich bin #GrammarNazi - und sie ist es auch.

Auf ihrer schwarzen, etwas speckigen Baumwolltasche findet sich die Zeichenkette „ReGiDa“ - die Rechtschreibgilde Darmstadt. Eine der härtesten Logen zwischen Nordsee und Alpen und jetzt sitzen wir hier nebeneinander und fahren Richtung Süden.

Man könnte auch sagen: Wir fahren Richtung Söder. Aber dann müsste man die Karte um 90 Grad im Gegenuhrzeigersinn drehen, damit man nach rechts fährt.

Ich schaue aus dem Fenster und denke, wie schön dieses Land sein könnte ohne Söder, wieviel bunter ohne den Ausländerhasser Seehofer und wieviel hoffnungsvoller ohne Merz. Aber der wohnt nicht im Süden. Eher weiter rechts, selbst wenn man die Karte nicht verdreht aufhängt.

Ich komme aus dem Siegerland und ich bin froh, dass Friedrich #Merz aus dem Sauerland kommt.

Wir gehören einfach nicht zusammen. Wer abschreibt - und seien es auch nur Büttenreden - wer abschreibt, ist bei Grammar Nazis schon mal ganz untendurch. Ich muss „untendurch“ zusammenschreiben, weil es ein Adjektiv ist und keine adverbiale Bestimmung.

Die Lady in Black neben mir holt ein Buch aus ihrer schwarzen Baumwolltasche und fängt an zu lesen. Es ist „Happy-Aua Band 42“ von Bastian Sick. Meine Gedanken schweifen ab. Ob es in Zugrestaurants auch @zwiebelfisch gibt? Ob Bastian krank ist und deswegen nicht Well heißt?

Wer hat #Corona erfunden? Der Mann aus der Rucola-Werbung fragt dies und zupft an meinem Handtuch. Ich bin in einer Sauna, aber ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Ich blicke beschämt zu Boden und sage „Die Schweizer“.

Die Lady in Black schaut irritiert zu mir und ich habe doch kein Handtuch mehr an. Ich habe die Orientierung verloren, so wie weite Teile der @CDU und @CSU ihren moralischen Kompass. Es ist einfach geschehen und keiner weiß warum. Also das mit dem Kompass.

Habe ich wirklich Rucola-Werbung gesagt? Ich meinte doch die finnischen Hustenbonbons.

Ich schaue aus dem Fenster. Draußen fährt die Landschaft vorbei, die so viel schöner sein könnte. Alles ist relativ. So wie die Radreifen des ICE, in dem ich sitze, mit 5 m/s Relativgeschwindigkeit durchrutschen, und die Desinformationstafel am Ende des Ganges 227 km/h anzeigt.

Dass wir zu spät kommen werden, verschweigt sie. Was meinte Gorbatschow eigentlich, als er zu Erich sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“? Kann das Leben einen bestrafen? Und warum macht es das dann nicht mit Nüßlein und Sauter?

sueddeutsche.de/bayern/masken-…

Masken dealen sollte ja legalisiert werden, aber jetzt ist erst mal das Gras dran. Das Gras schwankt in der Druckwelle des ICE. Wir fahren Richtung Söder vorbei an dieser Landschaft, die so viel schöner sein könnte,

wie die blühenden Landschaften, die Helmut Kohl uns versprochen hatte. Oder den Ossis, die jetzt alle Nazis sind. Dafür muss man die Landkarte gar nicht drehen. Vor meinem inneren Auge erscheint Manfred Kanther und sagt „Verbrechen lohnt sich.“

„Noch jemand Zuggestiegen?“ ich schrecke auf. Hat er Zuggestiegen gesagt, weil wir in einem Zug sitzen? Wo habe ich meinen … ach ja in der App, wenn dieser Scheiß-Akku hält, ich bin im Stress. Ich HASSE Kontrolle! Wir brauchen mehr Vertrauen in diesem Land.

Aber wie soll das gehen in diesen Land, in dem Maskendealer frei herumlaufen dürfen und Geldkofferempfänger Präsident des Deutschen Bundestages?

Waren.

Ich frage den Schaffner, ob Hoffnung in der Vergangenheitsform liegt, aber der Schaffner versteht mich nicht. Er ist so wie viele Schaffner. Er kennt keine Hoffnung mehr und darum fährt er mit uns Richtung Söder. Durch ein Land, das so viel schöner sein könnte.

Ob Mazen Mohsen, der voller Hoffnung bei #TheVoice in den Blind Auditions „Die Gedanken sind frei“ gesungen hat, weiß, dass das alles eine romantische Wunschvorstellung ist? Nur Mark Forster hat gebuzzert. Ganz zum Schluss. Aus Mitleid.

Ich halte dem Schaffner mein Handy in den Scanner, aber der will meine Fahrkarte nicht erkennen, bis wir rausfinden, dass ich den QR code aus der #CoronaApp hingehalten habe und nicht meinen Fahrschein. Hätte jetzt gerne einen finnischen Rucola-Bonbon, um wieder runterzukommen .

Ich fange wieder an zu grübeln. Wenn Mazen Mohsen „Kein schöner Land in dieser Zeit“ gesungen hätte, so wie @Die_Gruenen im Wahlwerbespot, dann hätte selbst Mark Forster nicht gebuzzert, so wie Deutschland auch nicht grün gewählt hat.

Denn zu behaupten, dass in _dieser _ Zeit _kein_ schöneres Land vorstellbar ist als das unsere - das ist noch hoffnungsloser als der Schaffner, der eben meinen Impfstatus nicht kontrollieren konnte.

Das ist noch hoffnungsloser als mit Mark Forster auf #TheVoice Kandidat*innen zu warten, die singen können.

Vielleicht hätte Mark Forster doch gebuzzert- für dieses Land, das so viel schöner sein könnte. Ganz zum Schluss. Aus Mitleid.

Willkommen im Team.

@threadreaderapp unroll