Nenne mir deine #Klasse und ich sage dir, ob du geimpft bist – oder nicht. Oder: Warum Kritik an vielen Ungeimpften zwar berechtigt sein mag, aber klassistisch ist. Ein Thread.
Zuallererst: Ich bin doppelt geimpft und glaube daran, dass eine Impfung ein Akt der Solidarität ist.
In meiner Twitter-Journo-Freund:innenbubble kocht gerade jedoch, was das Unverständnis gegenüber Umgeimpften angeht, einiges über. Dabei wird zu oft auf DIE Querdenker:innen verwiesen, die da wären: Gut ausgebildet, Eso, Mittelschicht. Studien über Umgeimpfte sagen etwas anderes.
Bei @maxplanckpress heißt es: "30 Prozent der Personen, die angaben, nur „mit großen Schwierigkeiten" über die Runden zu kommen, waren unentschlossen oder lehnten die Impfung ab, während es bei denjenigen, die angaben, „leicht" über die Runden zu kommen, nur 7,8 Prozent waren."
Weiter: "Der größte Unterschied wurde zwischen den arbeitslosen Befragten, von denen 28,5 Prozent eine Impfung ablehnten oder noch unentschlossen waren, und Befragten im Ruhestand deutlich, von denen lediglich 11,5 Prozent eine Impfung ablehnten oder unentschlossen waren."
In dieser Studie wurden 47 000 Personen in 27 europäischen Ländern und Israel befragt. Das bedeutet: Ein relevanter Teil der Menschen, die sich nicht impfen lassen will, ist arm oder von Armut bedroht. Oh wait: Ist das nicht die selbe Bevölkerungsgruppe, die eine geringere...
...Lebenserwartung hat, eine hohe Übersterblichkeit, die schlechter medizinisch versorgt und allgemein eher von staatlichen Institutionen im Stich gelassen wird?
Die sich nicht oder weniger von der Politik vertreten fühlt?
Die den Staat und seine bürgerliche Agenda als Angriff und nicht als Hilfe wahrnimmt? Warum wollen sich ausgerechnet DIE Menschen im Vergleich zu wohlhabenderen Klassen seltener impfen lassen, hmmm?!
Im Allgemeinen geht es also eher um Leute, denen Solidarität strukturell weniger begegnet - sei es durch eine Steuerpolitik die mittlere und hohe Einkommen entlastet, sei es durch Medien die Kampagnen gegen arme Menschen fahren.
Ist es unter diesem Aspekt nicht ein etwas seltsamer Solidaritätsbegriff, wenn hier die strukturell gut ausgebildete Bürgi-Sektion auf Twitter von Klassenprivilegien profitiert, aber komplett verbal eskaliert, wenn sie die Solidarität nicht stante pede zurückbekommt?
Ich maße mir gar nicht an, irgendeine Lösung anzubieten, das müssen Expertinnen übernehmen. Was ich lese ist, dass Informationskampagnen für benachteiligte Menschen viel zu spät angeschoben wurden. Und dass Aufklärung in migrantischen Communities stiefmütterlich behandelt wurde.
Aber wie kann eine Impfpflicht überhaupt im Raum stehen, wenn vorher nicht alle anderen, weniger drastischen Mittel vollends ausgeschöpft worden sind?