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Mar 21 25 tweets 6 min read
Heute habe ich eine Person aus der Ukraine zum Bürgerservice des Amts für Soziales der Stadt #Erfurt begleitet. Meine Eindrücke davon würde ich hier gerne teilen: Die geäußerte Kritik soll sich dabei nicht per se an die Mitarbeitenden vor Ort richten, sondern ich hoffe (1/25)
Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Amt für Soziales der Stadt Erfurt bietet eine Sprechstunde (Mo-Fr 9:00-11:30) zu Fragen zur Anmeldung, finanzieller Unterstützung und Unterbringung an. Nach Angaben einer Mitarbeiterin nehmen täglich ca. 100 Personen diese Sprechstunde wahr (2/25)
Bei den Personen handelt es sich primär um ältere Menschen sowie Frauen mit Kindern. Um 9:00 Uhr standen bereits 60-80 Menschen vor dem Eingang des Amts. Nach eigenen Angaben, standen bereits Personen seit 5 Uhr dort in der Schlange, da sie befürchteten ansonsten keine (3/25)
Hilfe zu erhalten. Ebenso äußerten Personen vor Ort, dass Sie mehrere Tage an verschiedenen Bahnhöfen übernachtet hatten, auch in Erfurt. Auf zwei Zetteln über dem Eingang konnte man lesen, dass zwei Reihen gebildet werden sollen; einmal für Menschen, die eine Unterkunft (4/25)
benötigen und einmal für Personen die bereits eine Unterkunft (Freund*innen, Bekannte) haben. Manche Hinweise waren dabei auf Ukrainisch verfasst, die Mehrheit der Hinweise jedoch auf Russisch. Bereits darüber waren manche Menschen vor Ort sichtlich irritiert. (5/25)
Vor dem Eingang herrschte Chaos. Die Menschen waren sich nicht sicher in welche Schlange sie sich einzuordnen haben, geordnete Kommunikation von Seiten des Amts fand nicht statt. Eine Person, die ausschließlich deutsch und kaum englisch sprach, verteilte Zettel mit Nummern (6/25)
was wenig zur Koordination der Lage beitrug. Sobald sich Personen in das Amt bewegten, folgten Weitere, da Sie nicht wussten was Sie tun sollten. Die Reaktion darauf war meines Erachtens in allen Belangen unsensibel. Die Sicherheitsperson forderte die Menschen auf Deutsch (7/25)
laut und abweisend zum Verlassen des Eingangs auf. Personen, die anderweitige Termine beim Amt für Soziales wahrnehmen wollten, vergrößerten die Menschenansammlung vor Ort und zeigten sich von der Situation zunehmend frustriert. Sätze, wie es werde sich in diesem Land (8/25)
nur noch um „die Flüchtlinge“ gekümmert, konnten vernommen werden. Nach Bearbeitung der ersten Schlange nach Zahlenfolge wurde begonnen auf Deutsch Zahlen auszurufen. Da weiterhin keine ordentliche Kommunikation stattfand, entstand Angst bei Einzelnen vergessen zu werden. (9/25)
Die Beratung im Amt selbst verlief spürbar unter Zeitdruck, was durchaus verständlich ist. Dennoch sei auch hierzu gesagt, dass die Abwicklung der Gespräche in keiner angenehmen Umgebung erfolgte. Ähnlich einer Bank, schilderten die Leute ihre Situation am Schalter. (10/25)
Dabei gab es keine Sitzmöglichkeiten sowie wenig Privatsphäre. Personen hatten dabei sensible Informationen weiterzugeben (z.B. Gesundheitszustand) und diese wurden im Übersetzungsprozess dabei auch mehrfach wiederholt. Hierfür den Versuch zu unternehmen (11/25)
Privatsphäre herzustellen halte ich für angebracht. Da ich zur Beratung selbst, sowie den generellen Schwierigkeiten der Abwicklung einer großen Anzahl an Flüchtlingen nur wenig sagen kann, will ich nur Folgendes anführen: (12/25)
Wenn, wie in Fällen in meinem Umfeld, sich eine WG entschließt, eine Person aus der Ukraine im Wohnzimmer oder einem temporär freien Zimmer unterzubringen, so führt dies dazu, dass sich die Person nicht bei der Stadt registrieren kann (13/25),
da die Person dann keine offizielle Wohnungsgeberbestätigung bekommen wird. Diese ist jedoch notwendig, um den Prozess zu starten, durch welchen sich Personen offiziell anmelden und nur dadurch anschließend an finanzielle Hilfe gelangen können. (14/25)
Als offizielle Adresse und damit zur Anmeldung ausreichend, gelten jedoch die eingerichteten Notunterkünfte in Turnhallen o.ä. Lässt es der finanzielle Spielraum also nicht zu, dass Personen eine Anmeldung aufschieben, so müssen sie sich in die Notunterkunft bewegen (15/25)
und dort auch übernachten. Ich empfinde dies als kontraproduktiv, da man im schlechtesten Fall Kapazitäten verschwendet. Die 150€ Soforthilfe, die in dem von mir begleiteten Fall problemlos und schnell ausbezahlt wurde, will ich nicht unerwähnt lassen. (16/25)
Ebenso gab es für die Personen vor Ort Getränke und Süßigkeiten die Streetworker bereitstellten, sowie im Eingangsbereich des Amts Sachspenden (Spielzeuge vor allem).Dennoch rege ich dazu an, gewisse Verbesserungsvorschläge zu hören: (17/25)
Dringend werden Personen benötigt, die auf Ukrainisch und ansonsten im Notfall russisch oder englisch, den Personen vor dem Eingang des Gebäudes den Ablauf erklären und ihnen frühzeitig versichern, dass alle ankommenden Personen gehört werden. (18/25)
Es braucht eine klare, gut vernehmbare Kommunikation vor dem Amt. Insgesamt scheint es hierfür an Personal zu fehlen um dem Aufkommen und den Menschen gerecht zu werden. Daneben wären ausgeschilderte bzw. mit Bändern oder Kreide gekennzeichnete Warteschlangen vorteilhaft.(19/25)
Hinweise/Infos sollten auf Ukrainisch verfasst sein und zusätzlich dazu auf Russisch.
Im Allgemeinen wäre es sinnvoll, die angebotene Hilfe in eine Räumlichkeit zu verlagern, in welcher kein anderer Personenverkehr zur angegebenen Zeit stattfindet. Barsche Aufforderung (20/25)
auf Deutsch durch das Sicherheitspersonal sind völlig daneben. Für alte Personen, Schwangere oder auch erschöpfte Menschen, sollte versucht werden Sitzmöglichkeiten anzubieten, gerade da man von langen Wartezeiten ausgehen kann. Eine alternative Anmeldung, durch Nutzung (21/25)
von Tagesstätten als Adresse bspw. sollte geprüft werden, da so Zugang zu finanzieller Hilfe geschafft werden könnte. Insgesamt bin ich schockiert über die Organisations- und Kommunikationsfähigkeit des Amts für Soziales der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. (22/25)
So heißt man niemand willkommen. Sollten sich in diesem Thread inhaltliche Fehler befinden, bitte ich darauf hinzuweisen. Der Thread bezieht sich auf die praktische Erfahrung des heutigen Tages. (23/25)
Ich erhoffe mir mit diesem Thread zu einer verbesserten Situation der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in #Erfurt beizutragen. Daher habe ich abschließend Verlinkungen vorgenommen.

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