Weil ich immer wieder gefragt werde, zuletzt gestern beim Zahnarzt – hier mal in aller Ausführlichkeit 🧵
Nein, Journalisten schreiben nicht nur das, was sie schreiben dürfen. Journalisten schreiben in aller Regel das, was sie recherchiert haben. Ich frage mich aber, wo dieses „Ihr haltet doch Informationen zurück“ oder „Ihr dürft doch gar nicht schreiben, was ihr wollt“ herkommt.
Und ich habe eine Idee. Denn es ist ja nicht so, dass mit dem Journalismus alles zum Besten stünde. Wenn Journalisten schreiben, was sie recherchieren, ist das erstmal gut. Wenn sie aber kaum recherchieren, dann nicht.
Und damit sind wir beim Kernproblem: Viele Redaktionen sind so durchgetaktet, dass nur wenig Zeit zum Recherchieren und Schreiben/Texten bleibt. Freie Journalisten aber, die einen riesigen Anteil des „Contents“, des Inhalts, stellen, werden fürs Recherchieren nicht bezahlt.
Bezahlt wird pro Zeile oder Sendeminute, aber nicht pro Arbeitsstunde. Weil viele Journalisten ihre Arbeit dennoch ordentlich machen wollen und Redaktionen diese Arbeit auch einfordern, leben sie entweder recht bescheiden oder am Rande des Burnouts.
Wie das am Ende aussieht hat eine Studie von @THanitzsch und Jana Rick von der @LMU_Muenchen vor einem Jahr gezeigt. Demnach liegt ein Viertel der freien Journalisten bei einem Einkommen zwischen 600 und 1200 Euro bit.ly/36QN3ES
Weil vor allem Kollegen, die gründlich und sorgfältig recherchieren, die Belastung auf Dauer nicht aushalten, wechseln sie in gut bezahlte, sichere PR-Jobs mit regelmäßigen Arbeits- und Urlaubszeiten. Das @RepublikMagazin hat dazu Zahlen für die Schweiz bit.ly/3tNaOXj
In den personell gut ausgestatteten Pressestellen werden dann schöne (Kunden-)Magazine produziert und tolle Meldungen geschrieben, die von ausgedünnten Redaktionen mehr oder weniger 1:1 in die Zeitungsspalte gesetzt werden.
In der Schweiz geschah das schon ganz offiziell. @JeanneretMichel von @Blick_fr sagte dazu: "Wenn wir Inhalte von Kommunikationsabteilungen übernehmen, machen wir nur das offiziell, was andere Medien auch machen, ohne dass diese es aber offenlegen."
Was daran problematisch ist, hat @FrancoZotta für die @wpk ausführlich beschrieben: wissenschaftskommunikation.de/weiche-grenze-…
Arbeit in Pressestellen ist gut und wichtig, sie ist aber kein Journalismus. Und wenn der den propperen Pressestellen nichts mehr entgegenzusetzen hat, entsteht schnell das Bild: die plappern ja eh nur nach, was andere sagen.
Gemessen daran, wie runtergerockt die Branche ist, bewundere ich die vielen Kollegen z.B. bei den @freischreiber /n und @riffreporter /n, die noch immer aufwändige und spannende Recherchen stemmen (und manchmal nebenbei sogar noch Familien ernähren und Kinder erziehen).
Denn gerade die wichtigen Sachen, brauchen viel Zeit. Wenn ich etwa immer wieder Hinweise bekomme, dass der Baulöwe in meiner Stadt krumme Sachen macht, dann kann ich das nicht einfach aufschreiben. Nicht weil es jemand verbietet oder verhindert oder zensiert.
Sondern weil es niemand bezahlt. So eine Recherche kostet Monate, in denen man das Vertrauen von Menschen gewinnen, schriftliche Belege suchen, Stellungnahmen einholen muss.
Am Ende braucht es Juristen, die achtgeben, dass einem das nicht wegen irgendeiner unbedachten Formulierung um die Ohren fliegt. Der Baulöwe hat mehr Kohle für Gerichtsprozesse.
Vielleicht stellt sich raus, dass an den Gerüchten nicht viel dran ist & alles war umsonst. Und selbst wenn am Ende für den Text dann ein paar hundert Euro gezahlt werden, ergibt das einen Stundensatz, für den der Zahnarzt nicht einmal seinen Mundspiegel in die Hand nehmen würde.
Deshalb: Wenn es kaum noch gründlich recherchierte Stücke gibt, wenn nicht massiv auch die Aus- und Weiterbildung von Journalisten professionalisiert wird, dann ist das am Ende – Achtung Floskel: demokratiegefährdend.
So, 🤮, fertig. Jetzt geht's besser.
🙏fürs viele Teilen und Unterstützen! Bleibt nur die Frage: Wie ändern wir das? Ich bin bei den
@riffreporter /n. Aber auch dort ist das Überleben oft noch mühsam. Wer also nach Alternativen sucht: #RiffAbo 👉riffreporter.de/de/abo-bestell…

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