Wie kann es zu solchen Gewaltexzessen wie in #Bucha kommen? Es wurde gemordet, vergewaltigt und geschändet.
Wie können Soldat*innen anderen Menschen das Unvorstellbare antun?
Ein 🧵aus psychiatrischer Sicht:
Krieg bedeutet eine Aneinanderreihung von extremen Situationen. Hinzu kommen Entbehrungen im Alltag: Kälte/Hitze, kaum Schlaf, bescheidene hygienische Verhältnisse, Hunger. Oftmals ist das eigene Leben oder das Leben der Kamerad*innen bedroht. 2/
Gerät der Mensch ist eine Situation der Bedrohung, kommt es zur Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol. Die Herzfrequenz steigt, die Pupillen weiten sich, man schwitzt. Der Körper bereitet sich auf Kampf oder Flucht (Fight or Flight) vor. Gewalt wird zur „Notwehr“ eingesetzt. 3/
Gewalt als Folge der empfundenen Bedrohung wird auch als
👉Reaktive Aggression👈bezeichnet. Vorherrschendes Gefühl (Affekt) ist Angst und Panik. Ist die Bedrohung überwunden stellt sich idR Erleichterung ein, die innere Anspannung (Arousal) sinkt wieder. 4/
Die reaktive Aggression findet in der Regel in Übereinstimmung mit dem eigenen und gesellschaftlichen Werte- und Moralvorstellungen statt und wird akzeptiert. Immerhin geht es hier ja um 👉Verteidigung👈 5/
In Kriegen lässt sich seit jeher aber auch eine andere Form der Gewalt beobachten, die
👉Appetitive Aggression👈
Die Ausübung der Gewalt wird als Lust bringend empfunden. Lust als psychodynamischer Begriff ist hier nicht sexuell zu sehen, eher im Sinne von Freude. 6/
Es kommt zur Ausschüttung von Endorphinen und der Aktivierung des Belohnungssystems. Je häufiger es zum positiven Affekt kommt, um heftiger und häufiger werden die Gewaltexzesse. Eine
Spirale des Unvorstellbarem. 7/
Diese Form der Gewalt ist u.a. bei kleinen Kindern zu beobachten. Sie wird aber früh mit Werte- und Moralvorstellungen reguliert und steht diesen im Grunde entgegen. Menschen, welche Gewalt als lustvoll empfinden, sind zur Gesellschaftsbildung nicht sinnvoll. 8/
Um in eine Spirale der appetitiven Gewalt zu kommen, müssen die moralischen und kulturellen Hemmungen also außer Kraft gesetzt werden. Am effektivsten erreicht man dies über die
👉Entmenschlichung 👈
der potenziellen Opfer. 9/
U.a. über Sprache: die Gegner werden als Bastarde, Hunde, Ratten, Ungeziefer bezeichnet. Aber auch mit Ideologien, die die Gegner als minderwertig kennzeichnen. 10/
Begünstigend ist auch, dass es unter Stress zu untersch. Aktivität in Gehirnarealen kommt. Die Amygdala, als Kern der Emotionen ist aktiver. Im Gegensatz zum präfrontalen Kortex, welcher Affekte reguliert und als Sitz unserer Werte- und Moralvorstellung gilt. 11/
Wer Lust an der Gewalt empfindet, hat ein geringeres Risiko an einer Traumafolgestörung zu leiden. Allerdings ist das psychosoziale Funktionsniveau niedriger, was in Schwierigkeiten mit den Mitmenschen in der Heimat resultiert. 12/
Potentiell lässt sich Lust an exzessiver Gewalt bis hin zum Blutrausch in jedem wecken. Wenn die äußeren Bedingungen günstig sind und eine breite moralische Enthemmung in der kriegerischen Umwelt stattfindet. Ist die Spirale erst mal angestoßen, ist die Eindämmung schwierig. 13/
Lasst mich klar sagen: Die psychologischen Hintergründe entbinden Niemandem der Verantwortung. Weder im Individuellen, noch im Kollektiv. Insbesondere kein Regime, welche durch entmenschlichende Narrative diese Gewalt fordert und fördert. 14/
Die Bilder begleiten mich. Seht den Thread als meine Art des Copings. Mein Versuch das Unvorstellbare zu verstehen.
Dabei beleuchte ich hier nur einen Aspekt von vielen. 15/15
Das schrieb ich Donnerstag Morgen meiner besten Freundin und Kameradin. Seitdem habe ich fast ununterbrochen 2 Tage lang Nachrichten, Sondersendungen, Tweets konsumiert. Und gemerkt, wie mich jede Push-Nachricht, jedes Video mehr vereinnahmt hat. Ein 🧵
Ich kann hier wenig zur sicherheitspolitischen und taktischen Einordnung des Ukraine-Krieges beitragen. Dazu fehlt mir die Expertise. Aber ich kann eine Orientierung im Umgang mit dem Schrecken aus psychotherapeutischer Sicht geben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Medizinischer Hintergrund 🧠
Wir hören die Nachricht: „Putin setzt die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft“ und sehen vor dem inneren Auge das Bild einer explodierenden Atombombe in Europa. Wir denken im nächsten Moment an unsere Lieben und unsere bedrohte Zukunft.