Ich war hier in letzter Zeit recht streng mit der Stadt Wien, wenn es um den Radverkehr geht. Viele Leute steigen nicht aufs Rad, weil sie sich hier nicht sicher fühlen und das ist ein Versagen der Politik. Was alles Positives passiert, wollte mir @martin_blum zeigen. 🧵
Also sind wir heute Mittag aufs Rad gestiegen, wir trafen uns beim Reumannplatz im 10. Bezirk. Zuvor habe ich mir dieses Kriterium zurechtgelegt:
Mein Hinweg, gut 25 Minuten, hat das Kriterium schon mal fast durchgehend nicht erzielt. Noch angenehem ist es durch die Lederer-, Strozzi- und Neubaugasse. Dann durch den 6., 5. und in den 10. gibt es aber immer wieder solche netten Einbahnen:
Aber ich wollte ja nicht schon wieder nur ranten ... also, wir legen los an der Favoritenstraße. Hier fuhr bis vor 4-5 Jahren eine Bim, die kam beim Ausbau der U1 weg und hier wurde ein wirklich vorbildlicher Radweg links und rechts gebaut. Man kann hier bequem bis Neulaa.
Wir brechen auf Richtung Sonnwendviertel und fahren über diesen fast luxuriös-breiten Radweg. Hier war früher eine Parkspur, die wurde eingestampft und Platz für einen wirklich breiten Radweg gemacht. Bravo!
Was mir in Wien fehlt: Ordentliche Markierungen an den Kreuzungen. Links im Bild der Weg ins Sonnwendviertel, rechts eine Kreuzung in Freiburg. Das ist mir auch in Münster positiv aufgefallen, dass es viele gut markierte Übergänge gibt. Das erhöht das Sicherheitsgefühl stark.
Das Sonnwendviertel ist ein absoluter Traum, hier sind wir in einer Fußgängerzone, durch die man auch mit dem Rad fahren kann. Hier gibt es wenig Parkplätze und das erhöht die Aufenthaltsqualität spürbar. Hier können die Kids auf der Straße spielen und auch Radfahren ☑️
Das fällt mir ja immer wieder auf in der Stadt Wien: Bei Projekten, die ganz neu gemacht werden, wie in Aspern, beim Nordbahnhof und hier im Sonnwendviertel ist das Wissen und die Bereitschaft da fürs Rad zu planen. Wo man aber dem Auto was wegnehmen muss: ✖️✖️✖️
Wir fahren beim Hauptbahnhof vorbei, hier gibt's eine eigene Fahrradgarage. Wusste ich nicht, nutzt die jmd. von euch? Würde mich interessieren. Martin meinte, ein Monatsabo koste so ca. 7 Euro. Das ist in Ordnung.
Weiter geht's Richtung Argentinierstraße, die den 10. und den Hauptbahnhof mit dem Zentrum und dem Karlsplatz verbindet. Am Weg dorthin fährt man ganz komfortabel mit dem Rad.
Auf der Argentinierstraße gibt's seit den 80ern einen Radweg, der wurde damals noch rot markiert wie heute in den Niederlanden. Ansonsten erfüllt er aber nicht gerade niederländische Standards. 2-Richtungsradweg, der aber viel zu klein ist für den vielen Radverkehr.
Auch hier gibt es gute Nachrichten: Denn die Stadt Wien hat hier gerade Anwohner:innen befragt, die Straße soll neu gestaltet werden und es soll ausreichend Platz für den Radverkehr geschaffen werden. Im Juni 2023 wird über 2 Optionen abgestimmt und dann gebaut.
Wir fahren weiter in die Canovagasse beim Karlsplatz. Das ist seit kurzem eine fahrradfreundliche Straße. Das ist ein Wiener Weg, die "radikalere" Varianete einer sog. Fahrradstraße zu vermeiden, die in der StVO geregelt ist. Im Prinzip sind hier einfach große 🚲 aufgezeichnet.
Das soll zeigen, dass der Radverkehr hier Vorrang hat. Das finde ich gut, besser sindFahrradstraßen. Dort darf man nebeneinander fahren und Pkw dürfen nur ein-, nicht durchfahren. Am Bild die Fahrradstraße beim Aasee in Münster, klar rot gekennzeichnet + ein Parkstreifen weg.
Wir fahren weiter Richtung Nordbahnviertel, es geht über die Ringstraße und den einzigen wirklich gut mit dem Rad befahrbaren Teil von ihr. So sollte der Ring überall aussehen! Viel zu oft muss man sonst Spur wechseln oder teilt sie sich mit Fußgänger:innen.
Bei der Urania fahren wir rüber in den 2. Bezirk, hier ist eine absolut ungemütliche Stelle, bei der regelmäßig zu wenig Platz für die vielen Radfahrer:innen ist. Erfreulich, @martin_blum meinte, das wird neu & besser gemacht.
Wir fahren über die Aspernbrücke, hier haben die Pkw sechs Fahrspuren und Radfahrer und Fußgängerinnen nur wenig Platz. Ebenfalls sehr erfreulich: Hier kommt eine Pkw-Spur weg und der Radweg wird verbreitert. Das wird Teil des "Radhighways", ein Vorbildprojekt!
Das ist der Plan der Stadt Wien, auf der Prater- und der Lasallestraße kommt ein 4 Meter breiter Radweg, auf dem man in beide Richtungen fahren kann. Edel, edel!
Jetzt muss @martin_blum auf der Praterstraße gerade noch ziemlich beengt vor mir herfahren.
Aber was in Wien ganz allgemein hier auffällt: Die Zahl der Radfahrer:innen ist derzeit so hoch wie nie zuvor in der Stadt. Zeit also, dass die Infrastruktur aufholt ...
Wir sind jetzt auf vielen Hauptachsen gefahren, man fährt in Wien aber meistens durch viele Nebengassen, wie wir gerade Richtung Nordbahnviertel. Dort ist der Platz meistens eng, weil es fast überall 2 Parkstreifen gibt. Als Radfahrer:in fährt man in der Dooringzone.
Was mir in Berlin positiv aufgefallen ist: Bei Radwegen wird die Dooringzone in der farblichen Kennzeichnung ausgespart. Keine:r soll hier auf die Idee kommen, dass man eng neben den Autos fahren muss, die vll. die Tür aufreißen = Unfall. In Wien ist man dazu gezwungen.
Hier noch ein Beispiel von unserem Weg. Das ist eine Nebengasse, die nicht stark befahren scheint und das ist für uns Erwachsene total okay zum Fahren, aber würdet ihr hier einen Elfjährigen fahren lassen?
Wir sind Am Tabor, wo vor der Wien-Wahl 2020 noch schnell ein baulich getrennter Radweg realisiert wurde. Das ist zwar wirklich gut zu befahren, auch für Kids safe, aber ausgesprochen hässlich gelöst. Sorry, als Wiener muss man immer auch was Bemängeln...
Ab geht's ins Nordbahnviertel, der Weg dorthin ist wieder sehr bequem und hier ist sogar ein ganz kleiner Teil der Bim-Linie begrünt (Auge @_barbara_laa). Hier gilt wieder: Wenn die Stadt Wien Projekte auf der grünen Wiese planen kann, macht sie das tip top.
Hier auf dieser breiten Straße ohne Pkw-Abstellplätze endet unsere Radtour mit einem kleinen Gespräch über Politik, Verwaltung und Aktivismus. Danke für deine Zeit, lieber @martin_blum. Der nächste Ausflug geht in den 8. und 9. Bezirk, dann gibt's schlechtere Bilder ;-)
Wenn euch das interessiert: Morgen kommt in meinem Podcast Sonne & Stahl eine ausführliche Folge dazu mit tollen Gästen aus 🇩🇪. Ich schreibe auch gerade ein Buch dazu, hier könnt ihr meine Arbeit laufend verfolgen: sonneundstahl.at/newsletter/
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Gedanke aus vielen Gesprächen mit Praktikern und mit Leuten aus Wissenschaft und Verwaltung: Viele, die den Radverkehr befördern wollen, tun sich mit "Platz in der Stadt umverteilen", "Parkplätze wegnehmen", "Auto die Privilegien nehmen" keinen Gefallen. 🚗🔥
Braucht eine Mehrwertdiskussion, so nannte es der Stadtrat aus Münster, Robin Denstorff. Man muss für etwas sein, nicht gegen etwas. Umverteilung impliziert, man nimmt jmd. was weg. Stimmt ja auch, aber kommt nicht so prickelnd an bei den meisten. Eher so ...
1. Jugendliche sollen mit dem Rad sicher zum Fußball oder in die Musikschule kommen
2. Die Infrastruktur für das Rad soll genauso sicher und bequem sein wie für das Auto und mit Öffis
3. Radfahrer:innen halten sich lokal auf, das stärkt die Kaufkraft im Ort
Warum Helme im Radverkehr eine Ablenkung sind - und vielleicht sogar kontraproduktiv. 🧵
1. Derzeit ist die Infrastruktur für Radverkehr in den meisten Städten in 🇩🇪🇦🇹 unsicher. Es ist absolutes Minimum in der Verkehrsplanung, dass man mit dem Rad sicher von A nach B kommt. Das ist Priorität Nr. 1: Auch ein 10-Jähriger soll sicher Rad fahren können.
2. Neben guter Infrastruktur sorgen vor allem viele Radfahrer:innen für mehr Sicherheit. In den USA, wo wenige fahren, sterben viel mehr Radfahrer:innen als in den Niederlanden, wo viele fahren. Mehr Räder sorgen für mehr Sichtbarkeit, Autos nehmen Rücksicht.
Die Klimaziele sind unerreichbar und die Klimakrise würde wohl eskalieren, wenn wir global und in 🇦🇹🇩🇪 nicht unsere Ernährungssysteme umstellen. Ein gutes Beispiel, wo Medien ihrer Grundaufgabe nicht nach kommen: Information, Regierungskritik, Lösungen. 🧵
Ich hatte ja darüber geschrieben, dass man als jmd, der über Klima & Umwelt schreibt, gerne mal Fragen dazu beantworten muss, ob das nicht Aktivismus ist. Das ist ok, ich erkläre das dann auch gerne, aber das Problem ist umgekehrt: Mainstreamjournalismus macht seinen Job nicht.
Nehmen wir als Beispiel diese Studie her. Hier zeigen Top-Wissenschafter:innen, dass ohne Umstellung der Agrar- und Ernährungssysteme die Klimaziele nicht erreichbar sind. Das sollte regelmäßig in Talkshows, auf Titelseiten, Kommentaren thematisiert werden. Wird es aber nicht.
Weil ich jetzt schon ein paar mal von Journalist:innen zu meiner Rolle bei Sonne & Stahl gefragt wurde: Ist das noch Journalismus oder schon Aktivismus? Das ist für mich sehr simpel: Kontrolle der Politik und Aufzeigen von Lösungen ist Grundaufgabe von Journalismus.🧵
Habe ich eine Haltung? Natürlich! Ich hätte gerne, dass wir den Planeten nicht kaputt machen. Genauso, wie ich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat bin oder gegen globale Armut und deshalb ein Buch darüber geschrieben habe. Ein kleines Beispiel, um zu erklären.
Es gehört zur journalistischen DNA, für den Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Wenn ein Politiker den Rechtsstaat desavouiert, wie teilweise Kurz, Kickl oder Strache, wird das zurecht in Recherchen, Kommentaren, Titelseiten, Diskussionssendungen thematisiert.
Wie kann die Landwirtschaft in 🇩🇪 auf steigende Ansprüche in punkto Tierwohl reagieren? Dazu gibt's einen wirklich spannenden Vorschlag von der von Julia Klöckner (CDU) eingesetzten Borchert-Kommission. Ich habe das Papier zu 🐷🐮🐔 gerade gelesen. 🧵
Der Status quo ist unzureichend. Zwar wurde es in der Milchproduktion schon besser, der CO2-Fußabdruck pro kg sinkt, es werden weniger Arzneimittel eingesetzt und die Tierverluste nehmen ab. Es wird pro kg Fleisch auch weniger Futter benötigt, damit sinkt der Flächendruck.
Aber beim Tierwohl ist ein großer Spalt zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft, dem, was Fachleute für Mindeststandards halten und dem Status quo in der deutschen Landwirtschaft. Die Akzeptanzprobleme nehmen zu, das gefährdert Nachhaltigkeit der Betriebe.
Ich war jetzt 2 Wochen in 🇩🇪 mit dem 🚲 unterwegs, um mir best practices anzuschauen. Das machte mir erst bewusst, wie schwierig & unbequem es in Wien ist, sich mit Rad emissionsfrei, leise und sehr platzsparend zu bewegen. Aber ist das wirklich so?
Oben sind ein paar Bilder aus 🇩🇪, wo ich Infrastruktur beeindruckend fand. Der @martin_blum meinte, und jetzt paraphrasiere ich, so schlimm ist es in Wien auch wieder nicht. Ich fragte mich: Bin ich schon so lange in Wien, dass ich den Pessimismus übernommen habe?
Um mich quasi gleich selbst auf die Probe zu stellen, beschloss ich, meinen Heimweg vom Bahnhof Meidling in den 8. Bezirk genau zu prüfen. Ich habe mir extra die guten Wege ausgesucht, die die tolle App Bikecitizens vorschlägt. Also, brechen wir auf. Los geht's über ...