Thread by @Ainollopam

Viele #Exwaldi s schreiben hier darüber, wie heftig und schmerzhaft für sie der Ausstieg war. In den letzten Tagen habe ich mich gefragt, warum es für mich nicht so war. Ich würde nicht mal von Ausstieg reden. Vielleicht von langsamen Loslassen oder so...

Hier meine Überlegungen, warum es für mich anders war:

1. Meine Eltern waren zwar sehr öko, aber wenig anthro. Die Waldorfschule war für sie nur die bessere Alternative für die einzige (!) Grundschule, die sonst zur Wahl stand. Der anthroposophische Einfluss fand also fast nur in der Schule statt.

2. Unsere Schule war auf dem Land. Wir Schüler*innen wohnten dementsprechend sehr weit verteilt. Außerhalb der Schule sahen sich die Familien also selten. Das machte mich zwar sehr einsam, aber gleichzeitig konnte so keine ganz so straffe Gemeinschaft entstehen.

3. Mein jüngster Bruder wechselte sehr früh auf eine staatliche Grundschule und hatte es da mega gut. Meine Eltern waren voll des Lobes und verglichen ständig mit den Erfahrungen mit uns Großen. Plötzlich war Waldorfschule nicht mehr das Beste.

(die sah plötzlich sehr chaotisch aus und anscheinend lernt man an Waldorfschulen wirklich nichts?! 🤯)

4. Ich habe Schule sehr früh gehasst. Keine Ahnung, ob das an einer anderen Schule auch so gewesen wäre, aber hier war ich früh voller Trotz, Rebellion und Opposition. Anfangs gegen einzelne Lehrer*innen, irgendwann gegen Schule an sich.

Was genau das Problem war konnte ich damals natürlich noch nicht formulieren, aber es hat doch sehr geholfen, nicht allzu sehr in das sektenartige einzusteigen.

5. Dank Verein hatte ich ab dem Alter von ca 14/15 Jahren einen Freundeskreis komplett außerhalb der Waldorfwelt. Die konnten absolut gar nichts damit anfangen. Der Witz mit "Male ein Sack Kartoffeln und singe dazu" war ein Dauerbrenner.

Hier war mein fehlendes Wissen über populäre Filme, Serien und PC - Games auch gleich nochmal doppelt peinlich. Ich musste da wohl was aufholen. Was ich auch tat.

Mein Leben war jetzt quasi zweigeteilt. Die Schule und die Freundinnen dort auf der einen Seite - der Verein und der daran hängende Freundeskreis auf der anderen. Manchmal kamen Freundinnen von der Schule mit auf Partys. Aber allgemein gab es wenig Überschneidungen.

6. Nach der Schule dann das normale Leben. Waldorf und Anthroposophie kamen kaum noch vor. Hatten einfach keine Gelegenheiten mehr auf mich zu treffen. Eine handvoll Freund*innen aus der Schule blieb - aber auch die hatten jetzt andere Themen.

7. Was blieb: war hauptsächlich das Misstrauen ggü. "Schulmedizin". Ich habe noch lange mit Homöopathie sympathisiert, wobei man halt auch sagen muss, dass meine Heilpraktikerin mein Asthma komplett symptomfrei gekriegt hat. War wohl Placebo. Trotzdem geil.

Als ich dann selbst Mutter wurde bin ich ein bisschen "back to the roots" und war ne zeitlang mit meiner Tochter in einer Spielgruppe an meiner ehemaligen Schule. Aber die waren alle total komisch dort. Richtige Spinner 😅

Die Sache mit der Homöopathie hab ich dank Twitter Stück für Stück losgelassen, im Studium hab ich kapiert, was Wissenschaft eigentlich bedeutet und die Welt viel komplexer ist, wie das an Waldorfschulen und in der Esoterik gerne dargestellt wird.

Es gibt keine einfachen Erklärungen - das war und ist für mich DIE große Erkenntnis.

8. Mein Praxissemester machte ich versehentlich an einer Schule, die sehr anthroposophisch arbeitete. War mir vorher nicht bewusst, da die Schule das so null kommuniziert. Nicht mal im Vorstellungsgespräch war es Thema. Gab allerdings paar Signale, die ich übersehen habe.

Das Jahr dort war komplett bescheuert, hat aber dazu geführt, dass ich Anthroposophie jetzt ganz klar als totaler Blödsinn erkennen konnte und nochmal viel reflektiert habe. Den Rest machen die Exwaldis derzeit hier auf Twitter 🥰

Zusammengefasst: ich war nie ganz drin und bin Stück für Stück und ganz gemütlich raus.
Kein großer Schockmoment. Glück gehabt.