Thread by @eZemilio284

Immer wieder habe ich in letzter Zeit Diskussionen über die Frage geführt (z.B. mit @byStegi), ob es moralisch vertretbar ist die kommende WM in #Katar zu verfolgen. Ich bin der Meinung, dass Konsumkritik weder in der Klimafrage noch hier die Antwort sein kann, hier meine Haltung

Wir leben in einer Welt, in der alle 10 Sekunden ein Kind verhungert. Die seit Jahrzehnten bekannten Auswirkungen des Klimawandels nehmen exponentiell zu, bis zum Jahr 2050 werden über 140 Millionen Klimaflüchtlinge erwartet deren Lebensgrundlage von dir zerstört wird.

Du bist unzufrieden mit umwelt- und menschenfeindlichen Produktionsbedingungen? Dann kauf doch was anderes, keiner zwinge dich an globalen Problemen zu partizipieren, der Klimawandel werde an der Supermarktkasse bekämpft, die WM in Katar am Fernseher.

Was dahinter steckt, ist so effektiv wie beängstigend, denn eine solche Haltung lenkt ab. Erschaffen wird die Illusion, das Individuum habe bereits im bestehenden System die Schlüssel in der Hand, um eine global gerechte und menschenwürdige Welt zu schaffen.

Das individuelle Versagen in den Konsumentscheidungen sei der Grund für sterbende Arbeiter*innen in Katar und das Voranschreiten des Klimawandels.

Allgemeine Konsumkritik verhindert die Konklusion, dass wir in einem inhärent menschenfeindlichen System leben, das Umverteilung von Macht und Ressourcen verhindert und einen Weg, abseits von unbegrenztem Wirtschaftswachstum unmöglich macht.

Der Weltraumtourismus Elon Musks verursacht pro Passagier mehr Tonnen CO2, als ein durchschnittlicher Mensch in seinem gesamten Leben. Nehme man das Vermögen unseres beliebten Visionärs oder das Jeff Bezos', hätte man die finanziellen Möglichkeiten globale Armut zu beenden.

Das sind nur 2 Beispiele, die eine Größenordnung klar werden lassen. Der Blick muss auf die Strukturen und nach oben gerichtet sein, anstatt die Mär derer anzunehmen, die behaupten, dein maximaler Beitrag sei mit den weniger falschen Konsumentscheidungen getan.

Einen ethischen Konsum kann es in einem kapitalistischen System ohnehin nicht geben.

Dabei wird häufig missverstanden: Eine solche Einstellung bedeutet nicht, dass man eine individuelle Verantwortung des Einzelnen gänzlich ablehnt, sie liegt nur in anderen Bereichen.

Demos, Streiks, Blockaden und radikales politisches Engagement sind das, was echte Veränderung schaffen kann.
Legt man für einen Tag ein Kohlekraftwerk lahm, wird mehr CO2 gespart als mit einem ganzen Leben, das ausschließlich aus klimafreundlichen Konsumentscheidungen besteht.

Es ist nachvollziehbar für das eigene Gefühl lieber in den Unverpacktladen zu gehen und auf Fairtrade-Produkte zu setzen, denn das ist greifbar und gibt das Gefühl Konkretes tun zu können. Das möchte ich keines Falls jemandem wegnehmen, allein schon für die eigene Psyche!

Und doch lässt sich so weder Verteilungsungleichheit noch die Klimakrise effektiv bekämpfen. Was es braucht, ist ein radikaler Systemwandel, denn im Kapitalismus wird nicht so produziert, wie es der Mensch braucht, sondern so, dass der größte finanzielle Gewinn entsteht.

Getrieben von dem Zwang des grenzenlosen Wachstums, ist ein nachhaltiger Kapitalismus in sich nicht möglich, egal welche Konsumentscheidungen das Individuum trifft.

Und so, um hier mal die Brücke zu schlagen, werden auch im Fußball, wie in jedem anderen kommerzialisierten Sport, nicht die Entscheidungen getroffen, die für ihn und seine Fans am besten wäre, sondern jene, die das größte finanzielle Wachstum versprechen.

Kooperation mit Katar und anderen finanzstarken Ländern ohne echte Fußballkultur hat nicht erst mit der Vergabe der WM 2022 begonnen, sondern läuft seit Jahrzehnten.

Überall im Fußball wird man Verbindungen finden, sei es der FC Bayern, der Sponsorings annimmt und regelmäßig Trainingslager in Katar abhält, oder Vereine wie Manchester City, die unmittelbar in Verbindung mit den Herrscherfamilien der Vereinigten Arabischen Emirate stehen.

Ich kann jeden verstehen, der bei den gut dokumentierten Missständen keine Lust hat dieses Fußballereignis zu verfolgen, unterstütze ihn dabei. Es ist wichtig, über die Missstände aufzuklären und diese gerade ab November für alle präsent zu halten.

Diese WM muss in der Wahrnehmung im Zeichen des Blutes stehen, das an ihrer Ausrichtung klebt. Dieser Verantwortung müssen sowohl Fans, als gerade auch die mediale Berichterstattung nachkommen, die die monetären Hintergründe zur Vergabe dieser WM zu beleuchten hat

Menschen jedoch zu verurteilen, die im kommenden Winter aus Interesse und Langeweile bei Spielen einschalten, ist eben diese Konsumkritik, die uns nicht voranbringt, weder wenn es darum geht, große Wirtschaftslobbys zu bekämpfen, noch um die Fifa nachhaltig zu verändern.

Die Milliarden schweren Finanzflüsse überwiegen jeden Versuch des Einzelnen, über einen Boykott den Verantwortlichen finanziell zu schaden, sodass es vermessen ist zu dem Schluss zu kommen, das Individuum Fußballfan trage die Verantwortung für die toten Arbeiter*innen in Katar.

Solange es auch in einem kapitalisiertem Fußball um Wachstum und Profite geht, werden Kooperationen mit menschenfeindlichen Regimen nicht enden, sondern zunehmen.

Der kapitalistisch inhärente Wachstumszwang greift auch im Sport und fordert diese Entwicklung. Gegen diesen gilt es sich gemeinsam zu organisieren, statt uns gegenseitig für Konsumentscheidungen zu verurteilen und die tatsächlich Verantwortlichen aus der Schusslinie zu nehmen

Gehen wir nicht diesen radikalen Weg, bekämpfen wir vor allem unser Gewissen und die Symptome, nicht aber die tatsächliche Wurzel dessen, was die Lösung der großen globalen Probleme verhindert.
Das ist nicht deine Kaufentscheidungen sondern der Kapitalismus.

Ich hoffe du verstehst meine Position danach nochmal besser

@threadreaderapp unroll