Im Juli 2017 hat ein Google-Mitarbeiter ein Memo in einem internen Forum veröffentlicht, in dem er sich gegen Frauenförderung aussprach. Er begründete das mit angeblich angeborenen Geschlechterunterschieden im Technikinteresse, die für ihn den niedrigen Frauenanteil erklären.
Das #googleMemo wurde geleakt und war einige Wochen lang DAS Thema im Internet.
Ich hab damals recht früh dieses Memo im Original gelesen. Es war sachlich formuliert. Ich mochte den Inhalt nicht, er hat mir Angst gemacht. Angst dass er stimmt.

Ich wollte Gegenschriften.
Ich meine, es gibt Leute die vom Staat dafür bezahlt werden, sich mit Gender Studies zu beschäftigen. Das ist doch quasi deren Job, wissenschaftlich dagegen zu halten, wenn jemand reichweitenstarken antifeministischen Quatsch ins Internet schreibt.
Die erste Gegenschrift die ich gelesen habe war diese hier von Yonathan Zunger. medium.com/@yonatanzunger…

Darin kündigt er an, Damore auf verschiedenen Ebenen zu widersprechen: inhaltlich und moralisch.
Ich wollte v.a. einen Beleg dass diese Geschlechterunterschiede hinsichtlich Technikinteresse entweder inexistent oder anerzogen sind.
Aber Zunger hat einfach erklärt „das Memo stimmt inhaltlich nicht, jeder weiß das“. Ohne Quellenangabe.
Der Rest vom Text war ellenlanges Gelaber warum Damore *moralisch* falsch liegt. Aber wenn jemand eine Tatsachenbehauptung aufstellt und du sagst „es ist böse das zu sagen“, wird das den nicht direkt überzeugen. Seine Zuhörer auch nicht. Was, wenn es zwar böse ist, aber wahr?
- Für alle, die sich das fragen: Angela Saini hat ein Buch rausgebracht, das sich mit genau dieser Fragestellung - liegt die Unterrepräsentation von Frauen in MINT-Fächern an biol. Unterschieden? - beschäftigt und zum Schluss kommt: nee. Das wusste ich damals aber noch nicht.
Ich dachte damals: vielleicht brauchen die Expert*innen bisschen. Dauert ja eine Weile, Quellen zusammenzutragen und so.

Der nächste Text den ich gelesen hab, hat die gewagte These aufgestellt, dass Damores Memo nur der erste Schritt einer Reihe von Overton-Verschiebungen ist.
Eigentlich will er Frauenlohnarbeit verbieten, aber weil man das ja heute nicht sagen kann, hat er halt was komplett anderes geschrieben, das ist aber alles Teil seines diabolischen Plans.
Ich dachte, was eine miese Gegenschrift, komplett lächerlich dieses Pamphlet, völlige Zeitverschwendung.

Und hab festgestellt, dass meine gesamte liberalfeministische Twitterbubble diesen und auch Zungers Text total abgefeiert hat.
In diversen feministischen Gegenschriften wurde berichtet, wie offen frauenhassend das Memo ist. Ich dachte: hä, ich hab's gelesen, und daran erinnere ich mich gar nicht. Vielleicht hab ich's übersehen. Also hab ich's nochmal gelesen. Und das stand da alles nicht.
Die Zusammenfassungen, auf denen die Gegenschriften basierten, hatten wenig bis nichts mit dem tatsächlichen Text zu tun. Ich war entsetzt. Meine Bubble hatte mich angelogen! Ihr müsst verstehen, dass ich damals einigermaßen tief drin im Libfem-Mindset war.
Mein Problem war nicht nur, dass meine Bubble Quatsch erzählt hatte, sondern dass sie grundsätzlich desinteressiert an der Wahrheit war. Sind Frauen weniger technikinteressiert als Männer? Meine Bubble antwortete nicht mit „nein“, sondern mit „wag es nicht, das zu fragen!“.
Das war der Anfang vom Ende der Beziehung zwischen mir und meiner Bubble. Jedes mal wenn wieder laut irgendwas verkündet wurde - ihr kennt ja all die Phrasen, ich muss sie nicht aufzählen - dachte ich: klingt ja alles super, aber stimmt das? Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Wenn du erstmal festgestellt hast dass deine Bubble dich anlügt, wenn du anfängst außerhalb deiner Bubble nach Quellen zu suchen - dann ist es nicht mehr deine Bubble. Es ist keine Bubble mehr, und es ist nicht mehr deine.

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Jul 7
Aaaalter. „Frauen die handeln wie Männer und umgekehrt“. Das ist Geschlechterrollenkonformitätszwang in seiner reinsten Form, das ist die rückschrittlichste sexistische Scheiße die's gibt. Aber hey, hängen wir ne Regenbogenfahne ins Bild, dann merkt's bestimmt keiner!
Klar greift hier erstmal Hanlons Rasiermesser: erkläre etwas nie mit Bösartigkeit wenn Dummheit als Erklärung reicht. Wahrscheinlich hat der Herr Biologe einfach keine Ahnung was dieser Gender-Kram sein soll und sagt brav das wovon er glaubt dass das Publikum es hören will.
Aber es kotzt mich so an dass ich immer noch erklären muss dass ich zwar „Männerkleidung“ trage, in einem „Männerberuf“ arbeite und „Männerhobbys“ nachgehe und dass das alles nichts mit Geschlecht zu tun hat sondern patriarchale Quatsch-Konstrukte sind.
Read 4 tweets
Jul 5
Aus aktuellem Anlass ein Thread zum Begriff „Gender-Ideologie“.
Dieser etwas unglückliche Begriff wird von zwei Gruppen verwendet, die damit unterschiedliche Dinge meinen.
Rechtskonservative wie Birgit Kelle (die mit dem Gendergaga-Buch) meinen damit ganz grob alles wo der Begriff Gender drinsteckt: Gendern, Gender Mainstreaming, Gender Studies. Die nennen das auch „modernen Feminismus“ und finden es überflüssig.
Meistens findet sich bei ihnen die Einschätzung, dass Geschlechterunterschiede wie der Gender Pay Gap ausschließlich auf biologische Unterschiede zurückzuführen sind. Das nennt man auch Biodeterminismus: Frauen ergreifen soziale Berufe wegen ihrer Mumu.
Read 8 tweets
Feb 17
Warum man als Radfem nicht die CDU/CSU wählen sollte - und die AfD erst recht nicht.

Ich werte die Wahlprogramme zur BTW21 aus um rauszufinden, wie die Parteien zu Frauenrechten stehen.
Kurzfassung: die CDU unterstützt Maßnahmen, die Frauen strukturell schaden, wie das Ehegattensplitting. In anderen Punkten ist sie, zumindest auf dem Papier, weniger schlimm als gedacht.

Die AfD ist in jeder Hinsicht eine komplette Katastrophe für Frauen.
Das Unions-Wahlprogramm ist hier zu finden: csu.de/common/downloa… Praktischerweise sind die Zeilen durchnummeriert, also könnt ihr einfach die Zahl in Klammern suchen um zur jeweiligen Aussage zu kommen.
AfD-Programm hier: afd.de/wp-content/upl…
Read 22 tweets
Feb 15
Ich hab diesen Account angelegt, um mit Queerfems zu diskutieren. Am Anfang hab ich Queerfem-„Argumente“ rausgesucht und widerlegt. Immer wenn mir ein „biologisches Geschecht ist ein Spektrum/konstruiert/unwichtig“-Text untergekommen ist, hab ich einen Thread dazu geschrieben.
Ich hab regelmäßig geschaut was die großen Queerfem-Accounts so schreiben und das gelegentlich kommentiert. Ich hab überall meine „was ist eine Frau?“-Frage druntergeklatscht.
Das mach ich mittlerweile kaum noch. Es wird einfach langweilig. Queerfems argumentieren nicht, die predigen, und zwar immer das gleiche. Am Anfang dachte ich: OK, große Worte, wenig Substanz. Ich hab mich geirrt. Da ist ÜBERHAUPT KEINE Substanz.
Read 5 tweets
Oct 14, 2021
Ich versuche mal eine Begriffsklärung von „woke“:

Kurzfassung: performativer Diversitätsdrall.

OK, was?
Von vorn: Performativität heißt, ich tue etwas, nur damit andere sehen, dass ich es tue. Das sind so Gruppenzugehörigkeitsgesten, auch Virtue Signalling genannt.
Gendern ist ein klassisches Beispiel: nichts am Inhalt des Textes ändern, nur an der Form.
Noch extremer: diese eine Bank, die pressemitgeteilt hat, jetzt die angenommenen Namen von Transmenschen auf die Bankkarten zu schreiben, wegen #teamFeminismus und so.
Dieselbe Bank zahlt ihren Mitarbeiterinnen 30% weniger Boni als ihren Mitarbeitern, aber hey! Solche Kleinigkeiten sind doch egal, solange man #teamFeminismus ist oder?

Wokeness tut so, als wären diese Symbole nicht Symbole für Feminismus, sondern schon selbst der Feminismus.
Read 16 tweets
Sep 25, 2021
Mir ist diese Inventur-Sichtweise schon bei Umweltthemen aufgefallen: Von der pro-Abholzen-Fraktion wird ein Wald betrachtet als „viele Bäume“. Wenn ich also einen Wald abholze und woanders viele Bäume anpflanze, komme ich netto bei null raus. Mehr Bäume = mehr Wald = mehr gut.
Beispiele: die „Parkerweiterer“ bei #stuttgart21, die Renaturierer von RWE.

Dass ein Wald ein Ökosystem ist, in dem alle Teile mit allen anderen Teilen verbunden sind und interagieren, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, wird unter den Teppich gekehrt.
Und jetzt wird verkündet dass „Mensch mit Vagina“ etc ein angemessener Ersatz ist für „Frau“. Also Frau = Mensch mit weiblichen Organen, und wenn man genug von diesen Organen nachbaut, dann hat man einen Frauenkörper. Daraus folgt: #sexIsMutable, Bio-Geschlecht ist wandelbar.
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