Wir haben jüngst viel über „föderale Flickenteppiche“ gesprochen. Den gibt’s mit Blick auf das Wahlalter bei Landtags- und Kommunalwahlen auch. Zu glauben, das würde nichts mit jungen Menschen, ist eine recht steile These. Hier also der angekündigte Thread zum #Wahlalter16: (0/n)
Wie reagieren junge Menschen, wenn sie das Wahlrecht erst erhalten und dann wieder verlieren? In einem Beitrag im @apsrjournal finden @a_leininger, @Marie_Sohnius, S. Roßteutscher, @VerglPowi u ich negative – nicht intendierte – Effekte solcher temporärer Wahlrechtsverluste (1/n)
Volle Quelle u voll open access:
cambridge.org/core/journals/…

(2/n)
In Deutschland kommen so was wegen unterschiedlicher Altersgrenzen auf Bundes- und Landesebene regelmäßig vor. Im Mai 2017 war Landtagswahl in Schleswig-Holstein - mit #Wahlalter 16. Viele der jungen Wählenden waren bei der BTW im Sep. 2017 aber nicht mehr wahlberechtigt. (3/n)
Problem: Das Wahlrecht ist ein zentrales Bürgerrecht. Es zu verlieren ist ein Einschnitt, auf den die Betroffenen mit Distanzierung vom politischen System antworten könnten. Gerade für junge Menschen mitten der politischen Sozialisation dürfte diese Erfahrung prägend sein. (4/n)
Wir haben dazu 3 Befragungswellen bei Personen im Alter von 16 bis 18 Jahren in Schleswig-Holstein gemacht. Menschen wurden dreimal befragt: nach der LTW 2017, der folgenden BTW (Sep) und nach den Kommunalwahlen im Mai 2018 - wieder mit #Wahlalter16 . Guckst Du auch hier: (5/n)
Wir untersuchen den Effekt des Wahlrechtsverlusts mithilfe eines „Difference in Differences“ Designs auf Basis von 2 Gruppen: In der ersten Gruppe sind diejenigen Befragten, die noch rechtzeitig zur BTW volljährig wurden und nicht vom Wahlrechtsverlust betroffen sind. (6/n)
In der 2. Gruppe sind alle, die bei der BTW noch nicht wahlberechtigt waren. Dann berechnen wir die Differenz in den Einstellungen innerhalb der zwei Gruppen zwischen den Befragungen nach der Landtagswahl im Mai 2017 u der Bundestagswahl im Sep. 2017. (7/n)
Die Differenz dieser Differenzen zwischen den beiden Gruppen ist der interessierende Effekt des temporären Wahlrechtsverlust. Siehe auch hier:
(8/n)
Das gleiche Prozedere haben wir dann erneut für die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein 2018 durchgeführt im Vergleich zur BTW2017. So lässt sich untersuchen, ob das Wiedererlangen des Wahlrechts die Auswirkungen des vorübergehenden Wahlrechtsverlusts neutralisiert. (9/n)
Die Effekte sind in dieser Abbildung zusammengestellt. Drei Ergebnisse sind zentral.
(10/n)
1) Diejenigen Befragten, die ihr Wahlrecht zur BTW wieder verlieren, sind signifikant unzufriedener mit der Demokratie und gehen eher davon aus, dass Politiker sich nicht um die Interessen junger Menschen kümmern. (11/n)
(Frageformulierungen hier: 12/n)
Die Wahrnehmung des politischen Systems leidet also unter dem Wahlrechtsverlust.

2) Ob die 16- bis 17-Jährigen bei der Bundestagswahl erneut wahlberechtigt waren oder ihre Wahlberechtigung verloren, hatte *keinen* Einfluss auf ihr politisches Interesse. (13/n)
3) Durch Zurückgewinnen des Wahlrechts bei den Kommunalwahlen erholt sich die Demokratiezufriedenheit. Für die Responsivität des politischen Systems gilt das weniger, hier bleibt auch nach Wiedererlangung eine im Vergleich negativere Einstellung bei den Betroffenen zurück. (14/n)
Insgesamt zeigt sich ein bedenklicher Effekt des vorübergehenden Wahlrechtsverlusts. Die Betroffenen bleiben zwar am Ball und interessieren sich weiter für Politik, doch das Bild, das sie vom politischen System haben, leidet. Und das gleich am Anfang ihrer Wahlbiographie. (15/n)
Was also tun? Will man diese problematischen Nebeneffekte verhindern, gibt es im Kern zwei Wege: Die Anhebung des Wahlalters auf 18 bei sub-nationalen Wahlen oder die Absenkung des Wahlalters auf Bundesebene auf 16 Jahre. In jedem Fall eine Vereinheitlichung. (16/n)
Bei einer Wiederanhebung des Wahlalters droht man allerdings das Kind mit dem Bade auszuschütten, denn dies würde ja einen weiteren weitreichenden Wahlrechtsentzug darstellen. Die 16-/17-Jährigen rechnen mit dem Wahlrecht und beteiligen sich rege an der ersten Wahl. (17/n)
(Nicht reger als der Durchschnitt, aber reger zB als Menschen in den 20er Jahren. 18/n)
Also stattdessen das Wahlalter absenken? Dies bleibt umstritten und ist eine normative Frage. @wahlforschung und @AntonKonneke haben die empirischen und normativen Argumente der Parteien in einem Beitrag in der @APuZ_bpb unter die Lupe genommen. (19/n) bpb.de/shop/zeitschri…
In der Debatte um das Wahlalter heißt es oft, jungen Menschen fehle die politische Reife zum Wählen. (20/n)
Ob das wirklich so ist oder ob die Wahlberechtigung einen Reifungsprozess lostritt, haben @a_leininger und @wahlforschung gemeinsam mit der @OBSFrankfurt in einer ausführlichen Studie untersucht. otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsp… (21/n)
Empirisch ist beides falsch. Weder fehlt jungen Menschen das Interesse noch macht das Wählen sie sofort viel interessierter. Passt ja auch zu dem oben beschriebenen Muster. (22/n)
All das könnte übriges noch viel virulenter werden, wenn für Europawahlen (mit einfacher Änderung des Europawahlgesetzes) bald Wählen mit 16 gilt, für Bundestagswahlen aber die GG-Änderung (die dort wäre) scheitert u es dort bei 18 bleibt. (23/n)
Dann wären landesweit sehr viele junge Menschen von einem temporären Wahlrechtsverlust betroffen, die bei der Europawahl 2024 wählen durften, aber bei der BTW 2025 nicht. Jetzt isch over. (24/n)

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