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Jul 28 33 tweets 5 min read
CN Sexualisierte Gewalt

Warum wir uns für ein #Outing entschieden haben
Zweites Statement der IL, 27.07.2022

Vor zwei Wochen haben wir mit einem Outing die sexualisierte Gewalt eines ehemaligen Genossen öffentlich gemacht. An dieser Stelle legen wir dar, (1/33)
warum das für uns eine politische Notwendigkeit war. Im konkreten Fall ging es uns darum, Betroffene zu informieren, die möglicherweise ohne ihr Wissen von der sexualisierten Gewalt betroffen sind und weitere, zukünftige Betroffene zu schützen. (2/33)
Vorweg: Die Entscheidung für das Outing erfolgte, nachdem andere Wege durch das Verhalten des Täters verunmöglicht wurden. Der Umgang mit den Taten und die Entscheidung für das Outing sind Ergebnis eines kollektiven Prozesses der Aushandlung und Verantwortungsübernahme. (3/33)
Die von uns öffentlich gemachten Taten sind ein patriarchaler Akt und Ausdruck männlicher Machtfantasien. Diese zu überwinden muss für uns als radikale Linke selbstverständlich und politisches Prinzip sein, (4/33)
da sie mit unseren Vorstellungen von einem menschlichen Zusammenleben grundsätzlich unvereinbar sind. Wir verwahren uns gegen die Ansicht, dass sexualisierte Gewalt Privatsache sei und stellen uns gegen ihre Entpolitisierung. (5/33)
Geschlechterverhältnisse und patriarchale Herrschaft sind Kernelemente der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht ihr nachgelagertes Problem. Geht die radikale Linke nicht konsequent gegen sexistische Übergriffe vor, verrät sie ihre eigenen Ideale. (6/33)
Verantwortung, nicht Strafe
Das Ziel ist nicht, Täter zu bestrafen. Erst recht nicht stellvertretend für das gesamte Patriarchat oder zur Einschüchterung anderer Täter. Uns ist klar, dass Sexismus nicht nur bei einzelnen Personen liegt, die es auszuschließen gilt. (7/33)
Das Patriarchat durchzieht die Gesellschaft und auch unsere Organisation. Um einen Umgang damit zu finden, haben wir einen Leitfaden erarbeitet, an dem wir uns in Fällen von sexualisierter Gewalt und Grenzüberschreitungen orientieren.
interventionistische-linke.org/sites/default/…
(8/33)
Dieser Leitfaden zielt auf nicht strafende, transformative Umgänge mit sexualisierter Gewalt ab. Er hat das Ziel, Betroffene handlungsfähig zu machen und kollektiv daran zu arbeiten, zukünftige Gewalt zu verhindern. Er nimmt die Täter in die Verantwortung, (9/33)
sich an der Aufarbeitung ihrer Taten und wiederherstellenden Maßnahmen zu beteiligen; er bietet zudem Raum für den kollektiven Umgang mit sexualisierter Gewalt und der Möglichkeit, als Gruppe Verantwortung zu übernehmen. (10/33)
Wir wollen klarstellen: Der Täter hatte die Möglichkeit, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen, seine Taten aufzuarbeiten und eine Veränderung einzuleiten. Er wurde länger im Rahmen lokaler Strukturen angehört und hat ein Statement verfasst, (11/33)
das überregionalen Strukturen vorliegt. Ausschlüsse und Outings sind für uns das letzte Mittel. Diese können nötig werden, wenn eine Verantwortungsübernahme durch den Täter und die Gruppe scheitert. Wenn Täter nach der eigentlichen Tat weiterhin versuchen, (12/33)
den Betroffenen zu schaden, sie pathologisieren, sie aus den Strukturen drängen wollen, ihr Umfeld gegen sie aufbringen und ihre oft krude Täter-Opfer-Umkehr dafür offensiv verbreiten und Gehör finden; wenn sie sich der Kooperation in der Aufklärung der Taten, (13/33)
ihrer Verantwortung darin und wiederherstellenden Prozessen verweigern; wenn Täter vorsätzlich gehandelt haben und es abzusehen ist, dass es weitere Betroffene gibt und geben wird. Viele dieser Vorgehensweisen finden wir im vorliegenden Fall wieder. (14/33)
Parteilichkeit ist keine Willkür
Zudem gründet sich unsere Entscheidung zum Outing auf unserer antisexistischen Haltung und dem Prinzip der solidarischen Parteilichkeit mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Wir zweifeln die Glaubwürdigkeit der Betroffenen nicht an. (15/33)
Es liegen u.a. Fotos vor, die vertrauenswürdige Personen gesehen haben und die eindeutig einem Treffen mit dem Täter zugerechnet werden. Es ist auch unbestritten, dass diese Fotos ohne Wissen und Willen der Betroffenen gemacht wurden. (16/33)
Sie können nur von dem Täter gemacht worden sein. Diejenigen, die dies in Zweifel ziehen und Beweise verlangen, wollen uns dazu zwingen, „zum Beweis“ diese intimen Fotos vorzulegen. (17/33)
Damit würden die Verletzung der Persönlichkeitsrechte vervielfacht und die Selbstbestimmung der Betroffenen genommen. Es ist für uns untragbar, unter dem Vorwand der „Beweisführung“ die öffentliche Vorlage an alle, die Zweifel melden, (18/33)
also eigentlich eine Veröffentlichung von solchen Fotos zu verlangen. Dieses durchsichtige Spiel werden wir nicht mitmachen.
Uns ist es wichtig, Betroffene dabei zu unterstützen, handlungsfähig zu werden. Die bürgerliche Justiz bietet für sie oftmals keine Hilfe, (19/33)
sondern lediglich demütigende und inquisitorische Gerichtsverfahren. Es ist uns wichtig festzuhalten, dass nicht der Umgang mit den Vorfällen Ursprung des Problems ist, sondern die Tat, der Täter und die Gesellschaft, die sie ermöglicht. (20/33)
Wo eine Kultur der Einschüchterung von (potentiell) Betroffenen herrscht, betrachten wir es als unsere Pflicht, offensiv für sie Partei zu ergreifen.
Unser Leitfaden sieht aus den genannten politischen Gründen vor, dass der Täter zwar Stellung beziehen kann, (21/33)
der Prozess jedoch nicht von ihm bestimmt oder vereinnahmt werden darf. Es geht uns nicht um ein vollständiges Schuldeingeständnis als Voraussetzung, sondern um ein ernsthaftes Bemühen zur Klärung der Situation inklusive Anerkennung der Betroffenenperspektive. (22/33)
Der Täter begann in diesem Fall sehr früh, seine „Verteidigung“ mit Drohungen gegen die Betroffene und Ausgrenzungsforderungen zu verbinden. So zeigte sich in diesem Fall keine Basis für transformative Täterarbeit. (23/33)
Allerdings entlässt uns das Verhalten des Täters nicht aus unserer kollektiven Verantwortung. Unser Umgang mit sexualisierter Gewalt endet nicht mit Ausschlüssen und Outings.
Kein Einzelfall, gegen das patriarchale Klima
Wir wehren uns gemeinsam dagegen, (24/33)
dass antifeministisches und misogynes Verhalten durch die Gesamtgesellschaft toleriert wird. Dazu gehört es, das laute Schweigen bei sexualisierter Gewalt zu brechen und den Umgang damit zu kollektivieren. (25/33)
Da Täter auf die Scham und die Diskreditierung von Betroffenen bauen, setzen wir alles daran, den Betroffenen Raum zu geben. Nur so können wir gemeinsam der Ohnmacht entkommen.
Damit positionieren wir uns gegen die gesellschaftlichen Kräfte und Strukturen, (26/33)
die das Handeln der Täter ermöglichen. Wir streiten für eine Welt, in der wir Intimität teilen und Sex haben können, ohne dass diese von patriarchaler Gewalt durchzogen sind. Für ein Leben, (27/33)
in dem wir mit Empathie Beziehungen führen und kollektiv mit unseren Fehlern umgehen. Für eine Gesellschaft, in der wir alle ohne Angst verschieden sein können und die Freiheit für alle erkämpfen. Für ein Ende der Gewalt. Um diesen utopischen Horizont zu erreichen, (28/33)
braucht es kollektive emanzipatorische und antisexistische Arbeit. Diese konsequent auch in den eigenen Reihen einzufordern, schafft erst die nötige Glaubwürdigkeit für unsere Auseinandersetzungen. Nur so können wir allen Betroffenen glaubhaft vermitteln, (29/33)
was wir diese im Kampf um eine befreite Gesellschaft hinter uns lassen wollen.

Unsere Strukturen sind keine utopischen Räume ohne sexistisches Verhalten und sexualisierte Gewalt. Doch wir haben den Anspruch, (30/33)
diesem Zustand näher zu kommen und bei sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen ein klares Signal zu senden: Täter und das Umfeld, das ihre Taten ermöglicht, dürfen nicht geduldet werden. Wir wollen mit unseren Strukturen Schutz und Solidarität bieten. (31/33)
Die antifeministischen Angriffe, die auf das Outing folgten, bestärken uns nur in unserer Haltung. (32/33)
+++ ENDE +++ gern teilen +++

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