Thread by @micha

Kurzer 🧵 dazu, warum einige Zuschauer finden, dass #TheGrayMan irgendwie „merkwürdig“, „synthetisch“ und nicht cinematisch ausschaut. Wie andere aktuelle Produktionen wie etwa #TheTerminalList auch.

Nein, ihr bildet euch das nicht ein. #TheGrayMan sieht anders aus als viele andere große Blockbuster. Das liegt daran, dass dieser Film vorwiegend mit sogenannten sphärischen und dazu sehr modernen Prime-Linsen gefilmt wurde. nofilmschool.com/difference-bet…

Sphärische Linsen sind solche, wie ihr sie auf eure SLR- oder DSLR-Kamera packt. Viele Hollywood-Filme der vergangenen Jahrzehnte wurden jedoch mit sogenannten anamorphen Linsen gedreht. Das sind oval „gestreckte“ Linsen, ...

... die einen breiten Sichtbereich auf einen 4:3-Film oder Sensor werfen. Sie komprimieren das Bild vom Rand her auf eine kleinere Fläche. Bei einer Kinovorführung wird das Bild eines Streifens wieder entzerrt bzw. bei einer Digitalaufnahme wird's bei der Entwicklung entstaucht.

Anamorphe Linsen (vor allem alte) haben so einige Eigenheiten. Unter anderem einen Abfall der Schärfe in den Ecken und Rädern (falloff). Helle Lichtquellen sorgen für streak flares – also schmale Lichtstreifen – und ein oval gestrecktes Bokeh.

Weil Anamorphe Linsen mehr Glaselemente verbaut haben, die das Licht passieren muss, kommt es insgesamt zu mehr Verzerrungen, Lichtreflexen, chromatischen Aberrationen und einem insgesamt weniger scharfen Bild. Manche Regisseure/Kameraleute nutzen diese Makel als Stilelemente.

Sphärische Linsen sind simpler/präziser/berechenbarer. Vor allem moderne sphärische Linsen liefern ein deutlich klareres und in Kombination mit moderen Sensoren ein fast schon „zu scharfes“ und perfektes Bild. Standbilder aus Filmen wie #TheGrayMan könnten fast Fotografien sein.

Charaktere werden bei weit offener Blende fast schon aus ihrer Umgebung freigestellt und gefühlt aus ihrer Welt „gelöst“. Bildränder erscheinen total klar. Unschärfenverläufe erscheinen fast schon artifiziell und "videospielgleich". Das alles läuft gegen unsere Sehgewohnheiten.

Das alles ist nicht schlecht, aber lässt solche Filme weniger „organisch“ erscheinen als Produktionen, die mit anamorphen Linsen gedreht wurden. Oder auch einfach mit älteren Objektiven, die optische Fehler und Eigenheiten produzieren. Ist ein Bild zu schön, wirkt es unnatürlich.

Immer wieder werden anamorphe und sphärische Linsen auch gezielt zusammen eingesetzt. #WolfOfWallstreet ist zu Beginn mit anamorphen Objektiven gedreht, um die orientierungslose und irritierte Phase von Jordan Belfort zu illustrieren. Und später seine Phase der Paranoia.

Während seiner Phase des Erfolges sind seine Szenen mit sphärischen Linsen gedreht, um seinen Fokus und seine Klarheit zu illustrieren. Wenige Zuschauer werden das bewusst erleben. Aber unterbewusst werden sie durchaus merken, dass etwas „anders“ ist.

In anderen Produktionen werden sphärische Linsen für Landschaftsaufnahmen/Überflugsszenen genutzt, um die Schönheit von Orten in maximaler Klarheit auf die Leinwand zu bringen. Im Kontrast mit den sonstigen Aufnahmen wirken diese dann besonders eindringlich und überwältigend.

Auch einige weitere Blockbuster wurden zu Teilen oder komplett mit sphärischen Linsen gedreht. #Skyfall, Tenet oder No Country for Old Men etwa. Sie sind also durchaus „Hollywood“-tauglich, wenn Regie/Kamera die richtige Bildsprache aus Licht/Schärfe/Kontrast/Farbe finden.

Kameraleute wie Roger Deakins & Hoyte van Hoytema haben etwa Wege gefunden, um eine sphärische Ästhetik und Bildsprache zu entwickeln, die natürlicher und Kino-hafter wirkt.

Auch in dem sie sich sich auf die unnatürliche Klarheit der Bilder und Assoziationen, die mit dem DSLR-Look assoziiert werden, einlassen. Sphärische Bilder können die Atmosphäre eines Sci-Fi-Filmes unterstreichen oder Szenen zu Bildern machen, wie man sie in einem Fotoband sieht.

Will sagen: Objektivehaben einen großen Einfluss darauf, wie ein Film aussieht, welche Wirkung er entfaltet, wie er wahrgenommen wird. Anamorph Linsen sind nicht pauschal besser oder schlechter als sphärische Linsen. Aber sie produzieren einen Look, den wir mit Kino verbinden.

Sphärische Linsen können im großen Kino gut funktionieren, wenn Kamera und Regie wissen, was sie tun und wollen. Welche Linsen für einen Film genutzt werden, sollte sich danach richten, was für eine Geschichte erzählt und welche Wirkung erreicht werden soll.

Manchmal geschieht das. Manchmal nicht. Thank You For Coming to My TED Talk.

Und folgt mir gerne auf Flickr: flickr.com/photos/zufalls…

Ich habe mir gedacht, dass dieser Thread einige Leute interessiert. Aber ich hatte nicht erwartet, dass er eine solche Welle macht. Danke in diesem Zug an alle, die mich kontaktiert und meine Einschätzungen bestätigt und unterstrichen haben.

Ebenso Danke an alle, die meine Einschätzung ergänzt haben. Natürlich spielen bei digitalen Produktionen auch Sensoren und deren Größe eine Rolle; insb. was die Schärfe betrifft. Und ebenso ist natürlich auch die Entwicklung/Post Production maßgeblich für den Look eines Filmes.

Um einen Kameramann zu paraphrasieren, der mich angeschrieben hat: „Es gibt vieles, mit dem du manipulieren kannst, wie ein Film am Ende aussieht. Aber es sind nunmal die Gläser im Objektiv, die bestimmen, was in der Kamera ankommt – und das ist es, womit du arbeitest.“