Da ja das Thema #Ausbildung im #Handwerk immer mal wieder hochkommt u. man sich immer wieder anhören darf, die Firmen sollen ihre Azubis dort einfach besser behandeln, will ich hier mal meine Sicht der Dinge u. meine Erfahrungen als Azubi, Geselle und Vorgesetzter darstellen. ⬇️
Schon einmal vorab: Das Thema ist erheblich komplexer mit deutlich mehr Faktoren und Stellhebeln als nur den Lehrfirmen. Firmen, Ausbilder, Lehrer, Eltern, Berufsschulen, IHK, HWK, Lehrer bei Fortbildungen, und nicht zuletzt die Azubis selbst wirken aktiv dabei mit. ⬇️
Das wird ein langer Thread, das sind die Erfahrungen aus 8 Jahren im Metallbau in 2 Firmen, darunter 3 Jahre Ausbildung, 3 Jahre als normaler Geselle u. 2 Jahre als Geselle inklusive Vertretung des Betriebsleiters u. einer Fortbildung zum Handwerksmeister im Metallbau. ⬇️
Ich werde niemals alle Erfahrungen und alle Bereiche abdecken können. Wir haben bei uns keine Montage vor Ort oder auf Baustellen. Ich habe jedoch Kontakt zu vielen verschiedenen Gewerken, von Stahlhallenbau und Industrieservice über Holz und Sanitär bis hin zu Elektrikern. ⬇️
Meine Ausbildung selbst war eher durchwachsen. Der Ausbilder hat sich kurz nach Beginn selbstständig gemacht, der zuständige Meister war gleichzeitig Betriebsleiter und verantwortlich, zusammen mit einem anderen Meister, für knapp 50 Leute. Grundsätzlich waren die Wochen ⬇️
immer gleich aufgeteilt: 1-2 Tage Schule, den Rest der Woche arbeiten, Freitag ab vormittags aufräumen, fegen, Mülltonnen ausleeren. Gelernt habe ich dort viel, weniger vom Meister, was auch mit an seiner Persönlichkeit lag (phasenweise kumpelhaft, kann schnell hoch gehen, ⬇️
vergesslich mit über 60 Jahren). Dabei habe ich aber bis heute ein gutes Verhältnis zu ihm, was mir persönlich wichtig ist. Ich bin niemand, der schnell krank macht. Kann ich laufen und beide Arme bewegen, bin ich bei der Arbeit. Direkt am ersten Tag hab ich mir beide Knie ⬇️
geprellt u. war,auch durch meine Familie bei der Arbeit. Man lernt mit der Zeit, welche Gesellen mit dir klar kommen u. von wem man sich fern hält. Einige bringen dir was bei, indem sie es dir zeigen, andere lassen es dich selbst probieren u. helfen nur bei sehr wenigen Fragen.⬇️
In früheren Jahren gab es aber auch Leute, die schnell an die Decke gegangen sind und dir auch mal Werkzeug hinterher geworfen haben, wenn du Mist gebaut hast. Das habe ich nicht erlebt und bis heute auch nicht wieder gehört. Das kann es natürlich immer noch geben, ⬇️
aber das hört man vor allem von Altgesellen kurz vor der Rente. Da würde ich schon sagen, die Zeiten haben sich geändert, und das bestätigen mir auch alle, mit denen ich rede und die selbst im Handwerk und auf Baustellen arbeiten. Interessant war auch zu sehen, wie mit ⬇️
Azubis umgegangen wurde, die nicht so motiviert waren wie ich. Immer wieder krank, am diskutieren, ob sie jetzt wirklich fegen sollen, Arbeit scheiße oder gar nicht erledigt, mehr am Rauchen als bei der Arbeit. Das merken die Gesellen auch, und gehen anders mit dir um. Das ist ⬇️
auch unter Gesellen so, wer vor lauter Schnacken kaum zum Arbeiten kommt, wird anders empfangen. Das hat wenig mit dem Berufsstatus zu tun.
Man kann schwierig sagen, warum Azubis sich so verhalten. Bei vielen kann es sein, dass sie die Ausbildung gar nicht wollten. Die Eltern ⬇️
standen dahinter, das Kind soll die Ausbildung machen, etc. Sowas gibt es auch. Wenn du zur Ausbildung gezwungen wirst, ist es eher unwahrscheinlich, dass du da motiviert bist. Es wurde dir aufoktroyiert, du hast kaum bis gar keine intrinsische Motivation. Die braucht man ⬇️
aber für eine Ausbildung. Wer unmotiviert ist, wird wenig leisten und kaum etwas lernen. Das ist nichts nachhaltiges, sondern vertane Zeit. Das kann schnell zur Spirale werden. Der Azubi hat keinen Bock, die Gesellen und Ausbilder verlieren die Lust, ihm etwas beizubringen, ⬇️
der Azubi ist dadurch noch weniger motiviert, etwas zu machen, und so weiter.

So etwas schaukelt sich hoch und muss man unbedingt vermeiden oder durchbrechen, so früh es geht.

So weit zum Azubi u. Gesellen. Weiter geht es mit den Ausbildern bzw. insbesondere dem Ausbilderkurs⬇️
der HWK. Denn, tut mir leid, liebe HWK Bremen, aber in der Form ist der Kurs wertloser Müll. Aufgeteilt auf 2 Wochen lernt man ein bisschen was zu dem Gesetzen (Jugendarbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz, UVV, Rechte und Pflichten des Azubis), was tatsächlich hilfreich ist. ⬇️
Der Rest eines 2- wöchigen Kurses lässt sich zusammen kürzen zu: Kuschel sie in den Tod, motivier sie, bis sie von dem Wort alleine schon kotzen, und fange niemals an, zu kritisieren. Dazwischen gibt es noch eine Methode, wie man Azubis etwas beibringt ⬇️
(Begrüßen, Werkzeuge zeigen und sein Wissen abfragen, Vorgang vormachen, ihn selbst machen lassen im Handwerk, die sogenannte 4 Stufen- Methode), die tatsächlich etwas bewirken kann. Das wird aber verbunden mit einer 11- seitigen Ausarbeitung, für die im betrieblichen Alltag ⬇️
schlicht keine Zeit sein wird. Der Kurs hat eine Erfolgsquote von 98%, durchfallen kann man nur, wenn man den Azubi konkret in Lebensgefahr bringt oder ihn vor der Komission erniedrigt. Der Kurs wurde bei uns von niemandem ernst genommen. Und ich wage ernsthaft zu bezweifeln, ⬇️
dass eine Ausbildung nur dem Kurs folgend gerade bei Leuten hilft, die nicht 100% Lust auf diese Ausbildung haben. Kein guter Motor läuft ohne Druck, manchmal muss man auch deutlicher werden, wenn die Leistung wegfällt, Pflichten ignoriert werden o. Leute permanent krank sind. ⬇️
Dieser Kurs geht völlig an der Realität vorbei. In meiner jetzigen Firma sind 3 Azubis geflogen, weil sie faul waren, immer mal wieder krank gemacht haben. Wir hatten Azubis, die selbst zusammen auf Klo gegangen sind. War einer krank, war der andere kurz danach auch krank. ⬇️
Operationen, die seit Monaten anstanden, wurden ganz zufällig mitten in die Ausbildungszeit verlegt. Pflichten ignoriert, immer wieder diskutiert o. einfach verschwunden. Es wirkt immer mehr so, als wären die heutigen Azubis nicht mehr fähig zu arbeiten, egal wohin man schaut. ⬇️
Und als Lehrbetrieb überlegt man sich zwangsweise, ob man dann noch weiter Azubis annimmt. Wie jemanden einbinden, den du nicht einplanen kannst, weil er mal wieder krank ist? Wie umgehen mit Leuten, die dir bezüglich ihrer Leistungen ins Gesicht lügen und Schulen, ⬇️
die dich nicht informieren, wenn wieder Fehltage sich anhäufen u. die Noten im Bereich 5-6 bleiben? So ein Verhalten versaut das Image all jener, die motiviert sind, eine Ausbildung zu machen u. die Lust der Ausbilder, die alles probieren ohne jeglichen Erfolg, die freiwillig ⬇️
Nachhilfe anbieten, die immer wieder überlegen, was man machen kann?

Das man als Azubi nicht dauerhaft motiviert bei jeder Aufgabe ist, ist normal. Du kriegst keine höchst anspruchsvollen Aufgaben, du machst am Ende der Woche sauber, musst erstmal die Grundkenntnisse lernen. ⬇️
Das ist kein böser Wille des Ausbilders,sondern tatsächlich relativ einfach und kurz erklärt: Als Vorgesetzter schaut man, wen man für solche Aufgaben abzieht, ohne dass die Produktion leidet. Wer gerade an einem wichtigen, dringenden Auftrag arbeitet, wird weniger dafür ⬇️
genommen als der Azubi, den ich sonst auch schlicht nirgends anders sinnvoll einsetzen kann. Die letzten Stunden vor Feierabend etwas neues anzufangen, damit es über das Wochenende vergessen wird? Ergibt keinen Sinn. Und beim Azubi tut es in der Produktion weniger weh als ⬇️
Menschen, die Maschinen bedienen, Teile schweißen etc. Das ist nicht schön, aber rational u. im Sinne des Betriebes. Das darf natürlich kein Dauerzustand sein. Aber als Vorgesetzter muss man die vorhandenen Kapazitäten bestmöglich einsetzen. Auch ich war wochenlang erst in der ⬇️
Schule und den Rest der Woche habe ich nichts gelernt, sondern habe Teile sandgestrahlt, eingepackt und ausgeliefert. Das hatte mit der Ausbildung nichts zu tun, aber es gab sonst keinen, der das machen konnte, ohne dass die Produktion stockt. Wichtig ist dabei, ⬇️
dass die eigentliche Ausbildung nicht zu lange stockt. Ich habe trotz dieser Monate meine Ausbildung um ein halbes Jahr verkürzt und sie mit einer 2 abgeschlossen. In diesem Sinne, eine Ausbildung wird nie immer schön sein. Gerade als Azubi kommt es schnell dazu, dass man ⬇️
dreckige Arbeiten machen muss. Wichtig ist dabei, dass es die Ausnahme bleibt und die eigene Gesundheit immer Vorrang hat und die Ausbildungsinhalte trotzdem immer noch vermittelt werden. ⬇️
Zuletzt ist es auch das über Jahre immer wieder gepushte Image des Handwerks als anstrengend mit scheiß Bedingungen, niederer Arbeit mit wenig Lohn und der permanenten Ansicht, dass sie keine vernünftige Arbeit für die armen Kinder. Immer wieder hört man Sachen wie ⬇️
„Mein Kind soll was vernünftiges machen, es soll studieren. Handwerk macht man sich kaputt, wird scheiße behandelt, kriegt kein Geld etc.“ Und ganz ehrlich, dann wundert man sich, dass keiner eine Ausbildung machen will? Wenn es dauernd schlecht geredet wird, man als dumm ⬇️
oder unfähig bezeichnet wird, alle Seiten nur am schimpfen sind, wundert man sich, dass dem Handwerk die Leute ausgehen? Es können nicht alle Menschen studieren, nicht jeder ist dazu von der Persönlichkeit her geeignet oder will es überhaupt. ⬇️
Scheitert man jedoch direkt am Anfang, weil man das erzwungene oder „hermotivierte“ Studium (Du sollst was vernünftiges machen, geh an die Uni) einfach nicht schafft oder mit dem Gedanken da heran geht, ich geh studieren und kriege viel Geld ohne viel zu tun und schlicht ⬇️
krachend scheitert, startet man sofort mit einer negativen Erfahrung in das Berufsleben und ist weniger geneigt, etwas neues auszuprobieren. Der Sinn dahinter? Den suche ich auch. Aber dadurch verbrennt man Leute, die zu Sachen gezwungen werde oder einer Utopie ⬇️
(schnell viel Geld mit sehr wenig Arbeit) hinterher jagen. Aber wir brauchen Handwerker.

Ich habe meinen Beruf seit 8 Jahren und liebe ihn absolut. Ich schweiße Chrom- Nickel- Stähle, Baustahl, Aluminium, Kupfer, Messing, habe Abwechslung, einen faszinierenden Beruf, ⬇️
in dem ich mich aber auch nicht kaputt mache. Es gibt technische Hilfsmittel, Deckenkräne zum Beispiel für große Lasten.

Und ganz ehrlich, solche Aussagen machen mich sauer. Ganz besonders von Menschen, die noch nie etwas in dem Bereich zu tun hatten, da überhaupt gar keine ⬇️
Einsicht haben. Sich dann aber darüber beschweren, dass sie wochenlang auf Handwerker warten müssen. ⬇️
Elektriker,Maurer, Zimmerer,Metallbauer, Schreiner, Maler, Lackierer, Friseure, Bäcker, Dachdecker, all diese Menschen brauchen wir..nd wir verbrennen sie doppelt, indem wir mögliche Azubis durch unseren Willen scheitern lassen u. die übrig gebliebenen dafür schuldig erklären. ⏹️

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Aug 16
Einmal eine etwas kürzere Zusammenfassung von dem kleinen Thread hier:

Die Ausbildung im Handwerk hat einen schlechten Ruf. Andererseits brauchen wir dort aber massiv Fachkräfte, der Markt ist dort aber zurzeit echt krank. Teilweise hat man bis zu 20 Firmen, wo man sofort ⬇️
anfangen kann, weil der Bedarf so massiv ist. Das hat mehrere Ursachen in meinen Augen, hier einmal sehr kurz zusammengefasst:
1. Eltern, die unbedingt wollen, dass ihr Kind studiert, „weil es etwas vernünftiges machen soll“ ⬇️
2. Jugendliche, die Utopien hinterher rennen (viel Geld schnell ohne Arbeit) oder sich das Studium massiv schön reden.
3. Ein Ausbilderkurs, der imo kaum zu gebrauchen ist
4. Ausbilder, die nicht dafür geeignet sind
5. Gesellen, die Azubis immer noch als minderwertig ansehen ⬇️
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Aug 27, 2021
@VoltDeutschland @Piratenpartei @DieHumanisten Ich weiß nicht,wie ihr das seht, aber die derzeitige Kampagne gegen die Sonstigen, sie sollen doch „ihr Ego beiseite legen“ und die Grünen wählen,lässt mich verständnislos und empört zurück,da ich das als extrem respektlos betrachte
Wir haben monatelang die Wahl vorbereitet, tausende Euros und Stunden investiert, tausende Plakate aufgehängt, zehntausende Unterschriften während der Pandemie gesammelt, Leute auf der Straße von uns überzeugt, all das größtenteils ehrenamtlich aus Überzeugung für unsere Partei.
All das machen wir für die Partei,von der wir uns vertreten sehen und die wir unterstützen und voran bringen wollen. Deshalb sind wir dort so aktiv. Sonst wären wir bei den Etablierten Parteien. Sind wir aber nicht. Weil wir uns dort nicht so wiederfinden wie in unseren Parteien.
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