Thread by @adhsHorn

Ich habe gerade das Bad geputzt. Eigentlich nichts besonderes. Mit #ADHS eben doch. Nun habe ich direkt danach meiner Therapeutin eine Mail geschrieben wie es lief. Und dachte, naja jetzt habe ich es schon geschrieben, (1/33) (Bild: Symbolbild von Wikipedia)

dann kann ich es auch posten und euch daran Teil haben als kleines Experiment. Keine Ahnung ob es wen interessiert. (2/33)

- BEGINN - Ich bin um 20:30 zuhause angekommen, später als ich eigentlich erwartet hatte und schon ziemlich geschlaucht. Ich war mit einem Menschen verabredet, den ich letzte Woche bei einer Veranstaltung kennen lernte. Es war schön, intensiv aber auch ermüdend. (3/33)

Zuhause war ich nicht sicher ob ich noch die Energie & Überwindung habe um das Bad zu putzen. Aber ich tat es (die externe Motivation durch die Therapeutin war sicher ein Grund), sonst schiebe ich sowas gerne immer auf morgen, morgen, morgen. (4/33)

Also Bad putzen. Anfangen mit dem Spiegel, was kleines zuerst. Merke schon wie ich gestresst werde. Befeuchte den Lappen im Waschbecken. Das Becken läuft nicht ab, sondern voll. Stimmt, ich erinnere mich dass ich eigentlich den Abfluss mal wieder noch reinigen wollte. (5/33)

Hole den Schraubenzieher, und denke: Naja ich kann ja eben die Schraube vom Sieb im Waschbecken lösen, reinigen und dann wieder befestigen. Gesagt, getan. Merke wie ich nervöser werde. Merke auch schon dass das evtl. eine dumme Idee ist. (6/33)

Und merke lustigerweise, dass das genau das war, was ich heute morgen in der Therapie angesprochen habe. Die extra Gründlichkeit. Ich weiß, dass ich es nicht bei einer oberflächlichen Reinigung von Waschbecken, Klo und Badewanne belassen kann. Ich dachte früher, (7/33)

dass wäre weil ich immer besonders viel Aufmerksamkeit und Lob brauchen würde. Und daher davon abhängig bin ob andere mir das geben. Und mit dem Durchschnitt bekommt man das nicht. Aber vielleicht stimmt das gar nicht, (8/33)

vielleicht ist das normale nur einfach zu langweilig und das ADHS sagt mir: wäre doch spannend noch was zusätzliches aufregendes zu machen. (9/33)

Sieb ist ab, aber ich bekomme den Dreck nicht raus. Also montiere ich doch eben den Siphon unten ab. Hab ich schon früher gemacht, aber birgt die Gefahr, dass er danach nicht mehr dicht ist. (10/33)

- Never touch a running system. Kommt mir in den Sinn. Ein Ausdruck aus der IT: Greife niemals in ein System ein, das (noch) funktioniert. - (11/33)

Denke erstens wenn jetzt mein Mitbewohner kommt wäre mir das total unangenehm, bestimmt gibt es irgendwas zu meckern. Allgemein fühle ich mich total verwundbar und kaue auf der Lippe. (12/33)

Nicht sicher ob es mit einem antiquierten Männlichkeitsbild zusammen (ich kann mich nicht erinnern dass mein Vater mal das Bad geputzt hätte), ich in so einer Position allgemein Ziel von Spott oder Schmach sein könnte (ihhhh, der ist im Dreck), (13/33)

oder ob ich es nicht richtig, gründlich oder schnell genug mache. Oder eine Person X (jemand auf meiner Schulter) es für eine sehr dumme Idee hielt einfach spontan den Syphon abzubauen. Hätte man doch vorher mal durchdenken können. (14/33)

Erinnere mich irgendwie an das mitleidvolle Gesicht meiner Ma die mich in so einer Situation gefunden hätte. Ich weiß es nicht. Oder aber jemand kommt und nimmt mir die Aufgabe, die Verantwortung und damit auch den Lob ab (reale Gefahr in meinem Kopf). (15/33)

Also Syphon ist ab nachdem ich 2 Schrauben abmontiert habe. Es kommt sehr viel Dreck raus. Befriedigung aber auch Nervosität. Hoffentlich ist alles dicht und ich bekomme es wieder sauber. Stress. Adrenalin. Ich stochere noch den Rest des Drecks raus, (16/33)

lasse Wasser durchlaufen und der Abfluss wird sauber. Puh. Stress… (17/33)

Dachte kurz eine Dichtung wäre verloren gegangen, aber war nur verdeckt. Dichtung weg wäre Supergau und Scham Deluxe. (18/33)

Syphon wieder dran montiert - Sieht dicht aus. Kein Wasser geht daneben, aber ich muss nochmal im Trockenen schauen. Ich lasse das Wasser 2 Minuten laufen um zu schauen ob es dicht bleibt. Habe ein schlechtes Gewissen weil ich Wasser verschwende. (19/33)

Kopfschmerzen vor Stress inzwischen. Boden ziemlich dreckig obwohl ich einen Eimer untergestellt habe. (20/33)

Ok, ich putze den Spiegel. Dann das WC, beides ziemlich fix und ohne viele Umwege. Anschließend das Waschbecken. Auch hier ohne viele Umwege. Versuche noch die letzten Dreckreste am Abfluss weg zu bekommen. Fast sauber. Reicht für heute auch. (21/33)

Dann noch die Frage: was mache ich mit dem dreckigen Boden? Der Fussboden ist allgemein nicht dreckig, erst gestern war der Saug- und Wischroboter den mein Mitbewohner gekauft hat im Einsatz. Also wische ich nur unter dem Waschbecken. (22/33)

Hoffe mich sieht niemand und lacht mich aus. Wenn ich schon wische - und Wasser nutze & alles vorbereite - könnte ich auch alles wischen. Aber dann müsste ich die Matten weg legen. Und es gibt keine Notwendigkeit. (23/33)

Aber wenn ich nur dort wische könnte ich faul genannt werden. Flashback wie mein Vater „Witze“ über meinen vielleicht etwas optimierten Arbeitsstil macht. Ich fühle mich faul. (24/33)

Ok, beeile mich damit mich niemand sieht. Als ich fertig bin ist die eine Bodenmatte im Weg um das Wischwasser abzugießen. Bin überfordert wohin damit, bloß nirgendwo hin wo ich mich angreifbar mache. Lege sie auf die Tür. Sie berührt die Handtücher. (25/33)

Hoffentlich kritisiert das niemand als unhygienisch. (26/33)

Überhaupt denke ich während des Arbeitens direkt über alle Kritikpunkte nach, und wie ich sie verteidigen kann gegen Kritik von außen. Was ist wenn mein Mitbewohner eine bessere Art hat zu putzen. Und es mir erklärt. Dann bin ich das kleine Kind. (27/33)

Und vielleicht hat er gute Quellen. Ich habe keine Quellen. Und keine wissenschaftlichen Abhandlungen oder logischen Schlüsse. Das wäre auch ein Supergau. (28/33)

Ich spüle den Eimer in die toilette aus, den Lappen in der Badewanne. Hoffentlich meckert niemand weil damit die Badewanne verstopft werden könnte oder Flusen zurück bleiben könnten. Ich spüle mit Wasser nach und entscheide die Badewanne heute nicht mehr zu putzen. (29/33)

Inzwischen ist wohl fast eine Stunde seit beginn vergangen. Immerhin nur sehr sehr wenig Ablenkung währenddessen - und ein Podcast sowie die Nachrichten angehört. (30/33)

Dann muss der Boden noch trocknen, dann kann ich auch die Matten auslegen, und sollte noch schauen dass der Syphon wirklich dicht ist. Dann den Waschbeckenschrank zurückstellen und mein Werkzeug ins Zimmer mitnehmen. (31/33)

Bin auf jeden fall sehr platt und verstehe warum ich so ungerne Putze. Der emotionale Preis ist ein sehr großer. Aber ich verstehe noch immer nicht ganz woher dieser große Preis kommt. (32/33)

Glaube nicht dass meine beiden Eltern so krasse Pedanten waren / sind. (33/33)

Wow, und wer auch immer bis hierhin durchgehalten hat: Respekt, und bleibt sauber. Schreibt gerne eure Putzgeschichten unter den Thread.

@threadreaderapp pls unroll :)