Ein Mann kommt wegen entzündetem Blinddarm ins Krankenhaus. Direkt OP. Alles läuft prima.

Er liegt danach in einem Zweibettzimmer. Neben ihm ein älterer Mann. Die Gitter an dessen Bett sind rund herum ganz hoch gezogen. Auf dem Nachttisch stehen Schnabeltassen.

1/
Auf sein freundliches "Hallo" hatte der alte Herr nicht geantwortet. Er liegt nur da und starrt an die Decke. Der Blinddarm-Patient denkt sich nichts weiter.

In der Nacht fängt der Opi dann plötzlich an zu schreien. Er ruft, dass er Angst hat. Und Schmerzen.

2/
Erst versucht der "Blinddarm" mit ihm zu sprechen, ihn zu beruhigen aber er wird immer panischer, drückt verzweifelt immer wieder auf die Klingel.

Nach zehn Minuten kommt die Nachtschwester, fragt was los ist. "Ich will nicht. Sie holen mich." ruft der Opi.

3/
Die Schwester rollt mit den Augen. Vom Gang aus hört man das Pipsen von zig weiteren Alarm-Knöpfen. Sie ist nachts alleine auf Station, hat tiefe Augenringe.

Sie ruckelt den Opi im Bett zurecht, schüttelt das Kissen auf, deckt den alten Mann wieder zu und geht.

4/
Kurz ist Ruhe, dann schreit der Opi wieder. Er drückt auf die Klingel und ist nicht mehr zu beruhigen. Dieses mal ist die Schwester sofort da.

Sie nimmt dem alten Mann die Klingel aus der Hand und wickelt sie für den Opi unerreichbar um den Galgen über dem Bett und geht.

5/
Irgendwann schläft der Opi ein.

Am nächsten Morgen ist kurz Visite von mehreren Ärzten, "Wunde heilt gut, alles prima." Mit dem Opi nebenan wird gar nicht gesprochen. Nur kurz zur Schwester: "Ja, um 10 Uhr dann." Er hört es nicht, würde es wohl eh nicht verstehen.

6/
Kaum sind sie zur Tür raus schreit er wieder: "Ich will nicht! Sie holen mich!"

"Wer holt Sie?" fragt der Blinddarm – und bekommt zum ersten mal eine Antwort.

"Ich war unanständig. Ein schlechter Mensch. Ich muss bestraft werden, bekomme Tabletten. Und dann holen sie mich."

7/
Noch müde von der OP schläft der Blinddarm ein. Um halb 10 kommt eine Schwester rein. Sie packt wortlos und routiniert die Tasche des alten Mannes. Eigentlich ist es nur eine Stofftüte. Schlappen, eine Strickweste, mehr hat das klapperige Männlein nicht dabei.

8/
Dann sagt sie mit viel zu lauter Stimme, dass er nun seine Tablette bekommt. Der Opi reißt die Augen auf, ruft "Nein, nein, nein!".

Aber sie lässt sich nicht beirren. Sagt, dass er die Pille nehmen jetzt MUSS. Nachdem er sie 2x ausgespuckt hat, hält sie ihm die Nase zu.

9/
Und er schluckt sie runter. Dann fängt er an leise zu weinen und zu schluchzen. Die Schwester geht.

Der Blinddarm war längst aufgewacht, hat alles mitbekommen aber nichts gesagt. Bestimmt ist er senil. Bestimmt meinen es alle nur gut.

10/
Das Wimmern vom Opi wird immer leiser. Kurz danach ist er tief und fest eingeschlafen.

Um Punkt 10 öffnet sich wieder die Tür. Zwei Männer rollen eine Transportliege ins Zimmer. Die Schwester kommt direkt hinterher. "Ja, er schläft schon. Alles fertig."

11/
Offensichtlich sind die beiden für Krankentransporte zuständig. Sie tragen klobige Stiefel und rote Cargo-Hosen.

Beherzt ziehen sie den schlafenden Opi ohne ein "Hallo" aus dem Bett auf die Liege, schnallen ihn fest und stellen seine Tasche zwischen seine dünnen Beinchen.

12/
Dem Blinddarm nicken sie zum Abschied kurz zu und dann sind sie weg.

Es ist sonderbar still in diesem Moment. Was war da gerade passiert? Was machen sie mit dem Opi? Warum? Und zum wievielten Mal?

Er wusste genau, was passieren wird, hatte panische Angst.

13/
Mittags kommt die Putzkolonne und beseitigt die letzten Spuren. Die Schnabeltassen werden weg geräumt, die Klingel wieder an das Bettgestell geklemmt, die Decke und das Kissen abgezogen.

Als letztes wird das Namensschild am Bett mit geübtem Griff entsorgt.
Reset.

#KrankeMedizin

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Sep 20
Eine befreundete Kinder- und Jugendtherapeutin aus Süddeutschland erzählte mir einmal von einem gruseligen und sehr skurrilen Erlebnis:

Im Rahmen ihrer Ausbindung musste sie vor fünf Jahren auch einige Monate in einem Krankenhaus absolvieren.

1/
Zusammen mit einigen KollegInnen wurde sie in dieser Zeit zu einem Kongress geladen. Die Themen waren bunt gemischt. Unter anderem präsentierte auch der gynäkologische Chefarzt eines großen Klinikums stolz einen von ihm entwickelten "Therapieansatz für Beziehungsprobleme".

2/
Er leitete damit ein, dass insb. Männer von der "Lustlosigkeit und Zurückhaltung" ihrer Frauen im ehelichen Schlafzimmer oft frustriert seien. Der "Trieb von Frauen" wäre ja bekanntermaßen weniger ausgeprägt als der von Männern. Und das führe zu Konflikten.

3/
Read 9 tweets
Sep 18
MORBUS GERMANICUS +
MORBUS MEDITERANEUS klingen wie Krankheiten.

In Wirklichkeit ist beides von Ärzten offiziell gelebter Rassismus.

"Germanicus" beschreibt den "tapferen Nordeuropäer", der selbst mit Blinddarm nicht jammert. "Mediteraneus" den "weinerlichen Südländer".

1/ Image
Mit diesen absolut unwissenschaftlichen und menschenverachtenden "Diagnosen" werden auch heute noch tausendfach und ohne mit der Wimper zu zucken nichtsahnende PatientInnen abgestempelt.

Klingt ja wichtig.
Wirkt ja offiziell.

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Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Medizin, dass persönliche Vorurteile und Abneigungen von Ärzten in deren Diagnosen einfließen.

So wird Frauen schnell mal Hysterie und Migranten Wehleidigkeit unterstellt:

flexikon.doccheck.com/de/Mittelmeers…

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Read 9 tweets
Sep 18
Eine junge Frau kommt zum Gynäkologen – ein älterer Arzt Ende 50. Routineuntersuchung. Sie hat gerade ihre Tage.

Der Arzt besteht darauf, ihr vor der Untersuchung den blutgetränkten Tampon höchstpersönlich zu entfernen. Das wäre "wichtig".

1/
Er rutscht mit seinem Stuhl ganz dicht zwischen die Beine der jungen Frau, die auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl Platz nehmen sollte und beugt sich nach vorne. Den blauen Faden des Tampons könnte er nun mit seiner Nasenspitze berühren.

2/
Er zieht daran – ganz langsam – und atmet dabei schwer. Die junge Frau fühlt sich immer unwohler, bietet an, schnell selbst den Tampon zu entfernen. Der Arzt winkt nur ab und gestikuliert, dass sie ihn jetzt nicht stören und still sein solle.

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