Wenn Ärzte an den Punkt kommen, dass sie sich die Beschwerden von PatientInnen nicht erklären können, wird diese Karte schnell und oft gezogen.
Das, was zugrunde liegt, lässt tief blicken:
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Aber schauen wir einmal genauer hin.
Zunächst fällt auf, dass Frauen signifikant öfter mit dieser Unterstellung konfrontiert werden – teils noch bevor eine körperliche Untersuchung stattgefunden hat.
Ihnen wird unterstellt, wehleidiger und "dünnhäutiger" zu sein.
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Zudem schildern sie ihre Beschwerden und Symptome differenzierter – allein das macht sie bereits verdächtig.
Dass Medizin und die Beschreibungen von Krankheitsbildern von jeher auf Männerkörper ausgelegt sind und oft auf Frauen gar nicht zutreffen, ist längst bekannt.
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Aber leider bei vielen trotzdem noch nicht angekommen. Die Wahrscheinlichkeit als Frau an einem unentdeckten Herzinfarkt zu sterben, ist doppelt so hoch wie die eines Mannes. Und zwar genau aus o.g. Gründen.
" Da ist nichts."
"Stellen Sie sich nicht so an."
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Wirklich jede Frau hat das oder ähnliches so schon einmal gehört.
Das Problem steckt aber tiefer:
Wenn man nun als Arzt gottgleich durch die Klinik schwebt, Schwestern & Patienten einem den Arsch pudern, dann verleitet das durchaus, sich für besser zu halten, als man ist.
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Und dann steht Doktor Brainbug plötzlich vor einem medizinischen Problem, das er nicht kennt.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten:
A) "Ich bin doch nicht allwissend."
B) "Die Patientin spinnt."
An drei Fingern kann man abzählen, wohin die Reise wahrscheinlich geht.
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Es geht viel um Selbstbilder. Und um Projektionen. Gerade Frauen erleben oft, dass sogar noch in der Notaufnahme von ihnen erwartet wird, adrett zu sein, zu lächeln. Die Attraktivität eines Menschen entscheidet tatsächlich auch darüber, ob eine anständige Behandlung erfolgt.
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Eine junge Patientin berichtete einmal von der Sekretären des Chefarztes, die ihr bei der Terminvereinbarung "lieb gemeint" mit auf den Weg gab, dass sie sich dann beim Termin "etwas zurecht machen und recht nett sein solle" – dann stünden die Chancen besser,
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dass der Herr Professor ihr auch wirklich zuhört und hilft.
Aber wehe er findet auch dann nicht nach 3x überlegen die Ursache. Dann kann das natürlich nicht an ihm liegen.
Klarer Fall: Psychosomatik.
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Wirklich interessant wird es, wenn man sich einmal das Folgende vor Augen führt:
Jeder Arzt, jede Fachdisziplin hat eine klare Zuständigkeit und genauso klare Grenzen. Die meisten werden es kennen: "Dafür müssen Sie dann zu diesem oder jenen. Ich mache nur dies und das."
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Binnen einer Minute und via Blickdiagnose eine psychische Pathologie diagnostizieren können sie überraschenderweise aber fast alle.
Das beste Beispiel war ein Gastroenterologe, der aus der Sitzposition einer Patientin diese "Diagnose" selbstsicher abgeleitet hat.
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Einem anderen reichte bereits "das Vokabular". Es gäbe da typische Formulierungen, die klare Indizien wären.
Dass sie damit fast immer falsch liegen, ist tausendfach belegt. Und auch hier auf twitter können etliche PatientInnen ein Lied davon singen.
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Unbestritten ist Psychosomatik ein relevantes Thema. Aber genauso wie der "Datenschutz" wird es viel zu oft und immer dann vorgeschoben, wenn Ärzte überfordert sind, keine Lust oder zu wenig Expertise haben.
Aber Letzteres kommt natürlich nicht infrage. Ganz nach dem Motto:
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DER KAISER IST NICHT NACKT.
Und so werden lieber hunderttausende PatientInnen vorschnell und ohne handfeste Anhaltspunkte abgestempelt, bevor ein Arzt eine Wissenslücke einräumt. Auch das ist das Ergebnis grenzenloser Überheblichkeit.
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Und besonders hier wird deutlich, wie abgehoben, oft weltfremd und mit einer nicht vorhandenen Fehlerkultur im medizinischen Bereich agiert wird.
Was wir tun können ist aufklären.
Was Ärzte tun können ist sich selbst und Vorurteile zu reflektieren.
Was Ihr alle tun könnt:
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Erzählt Eure Geschichten.
Macht anderen Mut.
Und lasst nicht zu, dass jeden Tag tausende "Einzelfälle" unter den Teppich gekehrt werden.
Ihr seid nicht alleine!
Und Ihr seid auch nicht Schuld.
Was aber, wenn falsche oder missverständliche Informationen eingepflegt werden?
99% aller Hausärzte bspw. halten die Entlassbriefe ihrer PatientInnen generell für verbesserungswürdig, stolpern über unbekannte Abkürzungen und Fehler.
Eine befreundete Kinder- und Jugendtherapeutin aus Süddeutschland erzählte mir einmal von einem gruseligen und sehr skurrilen Erlebnis:
Im Rahmen ihrer Ausbindung musste sie vor fünf Jahren auch einige Monate in einem Krankenhaus absolvieren.
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Zusammen mit einigen KollegInnen wurde sie in dieser Zeit zu einem Kongress geladen. Die Themen waren bunt gemischt. Unter anderem präsentierte auch der gynäkologische Chefarzt eines großen Klinikums stolz einen von ihm entwickelten "Therapieansatz für Beziehungsprobleme".
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Er leitete damit ein, dass insb. Männer von der "Lustlosigkeit und Zurückhaltung" ihrer Frauen im ehelichen Schlafzimmer oft frustriert seien. Der "Trieb von Frauen" wäre ja bekanntermaßen weniger ausgeprägt als der von Männern. Und das führe zu Konflikten.
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Ein Mann kommt wegen entzündetem Blinddarm ins Krankenhaus. Direkt OP. Alles läuft prima.
Er liegt danach in einem Zweibettzimmer. Neben ihm ein älterer Mann. Die Gitter an dessen Bett sind rund herum ganz hoch gezogen. Auf dem Nachttisch stehen Schnabeltassen.
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Auf sein freundliches "Hallo" hatte der alte Herr nicht geantwortet. Er liegt nur da und starrt an die Decke. Der Blinddarm-Patient denkt sich nichts weiter.
In der Nacht fängt der Opi dann plötzlich an zu schreien. Er ruft, dass er Angst hat. Und Schmerzen.
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Erst versucht der "Blinddarm" mit ihm zu sprechen, ihn zu beruhigen aber er wird immer panischer, drückt verzweifelt immer wieder auf die Klingel.
Nach zehn Minuten kommt die Nachtschwester, fragt was los ist. "Ich will nicht. Sie holen mich." ruft der Opi.
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MORBUS GERMANICUS +
MORBUS MEDITERANEUS klingen wie Krankheiten.
In Wirklichkeit ist beides von Ärzten offiziell gelebter Rassismus.
"Germanicus" beschreibt den "tapferen Nordeuropäer", der selbst mit Blinddarm nicht jammert. "Mediteraneus" den "weinerlichen Südländer".
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Mit diesen absolut unwissenschaftlichen und menschenverachtenden "Diagnosen" werden auch heute noch tausendfach und ohne mit der Wimper zu zucken nichtsahnende PatientInnen abgestempelt.
Klingt ja wichtig.
Wirkt ja offiziell.
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Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Medizin, dass persönliche Vorurteile und Abneigungen von Ärzten in deren Diagnosen einfließen.
So wird Frauen schnell mal Hysterie und Migranten Wehleidigkeit unterstellt:
Eine junge Frau kommt zum Gynäkologen – ein älterer Arzt Ende 50. Routineuntersuchung. Sie hat gerade ihre Tage.
Der Arzt besteht darauf, ihr vor der Untersuchung den blutgetränkten Tampon höchstpersönlich zu entfernen. Das wäre "wichtig".
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Er rutscht mit seinem Stuhl ganz dicht zwischen die Beine der jungen Frau, die auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl Platz nehmen sollte und beugt sich nach vorne. Den blauen Faden des Tampons könnte er nun mit seiner Nasenspitze berühren.
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Er zieht daran – ganz langsam – und atmet dabei schwer. Die junge Frau fühlt sich immer unwohler, bietet an, schnell selbst den Tampon zu entfernen. Der Arzt winkt nur ab und gestikuliert, dass sie ihn jetzt nicht stören und still sein solle.
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