Diese Woche hat sich "die" Pressekonferenz von Tic Tac Toe zum 25. Mal gejährt. Es haben nicht viele Medien berichtet und wenn dann ging es nur um diesen Streit. Nicht um das, was dazu führte, die Verantwortung der Medien dabei – und den eigentlichen Skandal. Ein 🧵 (TW: Suizid) Image
Tic Tac Toe waren Mitte der 1990er wahnsinnig erfolgreich; waren Schwarz, feministisch, haben antirassistische und antiklassistische Texte gemacht – doch keiner erinnert sich mehr daran. Die Frage ist also: Wie kann das sein? Aber der Reihe nach.
Die Idee zu der Gruppe hatte Claudia A. Wohlfromm, ihre spätere Managerin, weil ihr immer irgendwelche Chefs von Plattenfirmen erzählen wollten, was gute Musik sei. Sie kannte Liane Wiegelmann ("Lee"), 20, aus Iserlohn, die anderen beiden sprachen sie später an.
Thorsten Börger war der Texter der Band – er goss das Leben von Lee, Ricarda Wältken (Ricky), Marlene Tackenberg (Jazzy) in Texte und Musik, Wohlfromm war Mit-Texterin und wusste, wo sich die Band hinentwickeln sollte. Und Lee, Ricky und Jazzy verkörperten diese Vision.
Es ging in den Liedern um Kindesmissbrauch ("Bitte küss mich nicht"), um den Drogentod einer Freundin ("Warum?"), um Kapitalismuskritik ("Haste was, biste was). Um das, was man heute Tone-Policing nennt ("Wenn ich Arschloch denk, will ich nicht Blödmann sagen").
Um toxische Männlichkeit ("Große Jungs weinen nicht") und rassistische Stereotype ("Wer hat Angst vor Schwarzen Frauen? Dann mach dich doch nicht selbst zum Clown"). Um Menstruation ("Ich fühl mich always ultra"), Verhütung (Leck mich am ABZeh), um Frauen, die Spaß am Sex haben.
Das war Mitte der Neunziger. Da gab es noch nicht mal Sex and the City und Vergewaltigung in der Ehe war noch legal. Ihr erstes Lied, "Ich find dich scheiße", hätte die Plattenfirma gern noch in "Ich find dich klasse" umbenannt, Radiosender boykottierten den Song anfangs.
Mit Tic Tac Toe konnten sich junge Menschen identifizieren, die sonst kaum Raum in der Gesellschaft hatten: Junge Frauen, Schwarze, People of Color; alle, die sprachen wie sie.
Doch spielt die Band heute in Debatten um Rassismus, Feminismus, Klassismus kaum eine Rolle. Warum?
Dafür muss man zurück schauen: Je erfolgreicher die Band wurde, desto mehr wühlten Journalist:innen in der Vergangenheit der drei Frauen. Bei Liane Wiegelmann (Lee) fanden sie, was sie suchten: Erfahrungen mit Drogen, Alkohol, Gewalt, Tod, schon als Teenagerin.
Eine Freundin von ihr, drogenabhängig, beging Selbstmord. Das Lied "Warum?" handelt davon. Bevor sie 18 war, hatte Wiegelmann für einige Wochen in einem Bordell gearbeitet. Als das raus kam, brachte die Bild es groß auf der Titelseite: "Die Wahrheit ist so bitter".
Zeitgleich wurde öffentlich, dass Lee verheiratet gewesen war. Die Beziehung ging in die Brüche. Er hatte Depressionen, trennte sich, verschwand. Lee machte sich Sorgen, engagierte einen Privatdetektiv. Ein halbes Jahr später wurde ihr Mann gefunden: erhängt auf einem Dachboden.
Mit Anfang 20 muss Lee den Suizid ihres Ehemann verkraften. Doch diese Geschichte erzählt die Boulevarpresse nicht. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die einen Mann auf dem Gewissen habe, weil sie zu erfolgreich gewesen sei. Bild: "Sie wurde Star, ihr Mann erhängte sich".
Auszüge damaliger TV-Sendungen: "Es ist für den 23-Jährigen die große Liebe. Liane verspielt die Liebe leichtfertig.""Der Hass eines ganzen Ortes richtet sich gegen eine einzige Frau."
Als Liane Wiegelmann vom Suizid ihres Mannes erfuhr, wartete die Presse schon vor der Haustür.
Danach wurde es für Wiegelmann nie wieder so wie früher. Auf der Straße beschimpften die Leute sie als "Nutte" und "Mörderin". Wiegelmann bezahlte die Beerdigung ihres Ehemanns, dabei sein konnte sie nicht, es hätte wohl einen Tumult gegeben.
Das alles machte die Band noch bekannter und erfolgreicher. Denn die Fans solidarisierten sich. 40.000 Fan-Briefe gingen bei der Bravo ein, in den Medien gab es vereinzelte solidarische Stimmen. Aber vor allem im Boulevard war der Ton vernichtend.
In dieser Zeit beginnt es auch in der Gruppe zu bröckeln. Mein Eindruck: Auch, weil das alles, von Erfolg bis Hass, in nicht einmal zwei Jahren passierte. Da waren fünf Menschen überfordert, überarbeitet, wütend, vielleicht sogar traumatisiert – und haben trotzdem weitergemacht.
Weil sie das so gelernt hatten: dass man weitermacht, auch wenn einem die Scheiße bis zum Hals steht. Dann kam die Pressekonferenz und alles flog auseinander. Und überlagerte im gesellschaftlichen Musikgedächtnis alles andere. Auch die Solidarität endete. Warum eigentlich?
Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr hatte die Feministin in mir das Bedürfnis ihren Kopf gegen eine Wand zu schlagen: Da sind mal drei Schwarze Frauen laut, emotional, scheren sich nicht um Konventionen– und das sorgt dafür, dass sie zur Lachnummer werden?
Und dafür, dass sich 25 Jahre später so an sie erinnert wird, wie hier in der Bild letzte Woche? Gerade mit einem Nacktfoto, gerade in dieser Zeitung, die so eine mediale Kampagne gegen Lee fuhr; sie einfach nicht in Ruhe ließ, sodass der ein normales Leben hier unmöglich wurde. Image
Ich frage mich: Hätte es ohne die mediale Hetze auch so geknallt? Und vor allem: Warum spielt sie in der überlieferten Erzählung von Tic Tac Toe nie eine Rolle? Genausowenig wie die gesellschaftliche Bedeutung der Band?
Vermutlich weil die Chef-Interpretierer in den Redaktionen und Plattenfirmen damals meist das genaue Gegenteil von Tic Tac Toe waren – weiß, männlich, aus gutem Haus. Eine Gegenöffentlichkeit in sozialen Medien gab es noch nicht, so konnte ihre Sicht der Dinge Geschichte machen.
Aber es muss nicht so bleiben. Siehe hier, von der Eröffnung (!) des Deutschen Museums für Schwarze Unterhaltung&Black Music. Dominik Djialeu erzählt da, was die Band für ihn, einen afrodeutschen, schwulen Jungen in einer dten Kleinstadt war: revolutionär.
bit.ly/3Uafj8u
Diser Thread hier basiert auf einem Text, den ich letztes Jahr für @DIEZEIT schreiben durfte. Dafür traf ich Marlene Tackenberg und Claudia Wohlfromm; telefonierte mit Ricarda Wältken und Thorsten Börger. Mit Liane Wiegelmann nicht, da die abgetaucht ist: bit.ly/3AP4t0S
Denn Wiegelmann wurde nicht in Ruhe gelassen. Als sie eine Ausbildung im Kölner Zoo anfing, ein normales Leben wollte, belagerte die Bild sie wieder. Dann Auftritt bei Lanz, in dem es v.a. um die Frage geht, wo ihr Geld hin ist: bit.ly/3XwnQp4
Dann ist sie verschwunden.
Ich finde ja, man soll ruhig an die PK erinnern. Aber es wäre doch toll, wenn es auch mal um den Kontext geht. Und wenn nicht vergessen wird, dass Emotionalität in Ordnung ist, selbst vor Kameras.

Und wenn, klar, man sich auch mal an die Lieder erinnert:bit.ly/3Uby4IB

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