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Nov 30 23 tweets 7 min read
Im Shitstorm gegen @HannesJaenicke und Sky du Mont wegen ihrer Kritik an der industriellen Intensivtierhaltung im #NDR wird nun mein Buch "Die Wegwerfkuh" als Saat des Bösen angeführt.
Schneller kleiner Faktencheck, ein 🧵
Mein Buch heisst "Die Wegwerfkuh", weil es kritisiert, dass die durchschnittliche Nutzungsdauer von Milchkühen in Deutschland bei zwei bis drei Jahren liegt. Milchkühe werden im Durchschnitt nicht älter als fünf oder sechs Jahre. Viele sterben jung u erschöpft. Warum das so ist,
hat vor allem der Veterinärphysiologe Prof. Holger Martens untersucht: vetmed.fu-berlin.de/einrichtungen/…
Kurz: Die Kuh verausgabt sich durch ihre eigene Leistung, die hohe Milchleistung begünstigt Stoffwechselerkrankungen, die weitere Krankheiten auslösen, die zum frühen Tode im Stall oder Schlachthof führen. 👉
ava1.de/suche?controll…
Nun gibt es exzellente Milchbäuerinnen und Milchbauern, die es schaffen, ihre Kühe bei hoher Milchleistung von bis zu 10 000 Litern im Jahr viele Jahre gesund zu halten. Das ist Hochleistung der Kühe und ihrer Betreuer*innen. Das gibt es auf kleinen Höfen und auch auf großen mit
Melkrobotern und ganz viel Datenkontrolle plus Zeit im Stall und bei den Tieren. Studien und Daten - vor allem das Schlachtalter der Milchkühe - zeigen aber, dass diese Betriebe eben Leuchttürme sind und nicht die Regel.
In meinem Buch "Die Wegwerfkuh" habe ich einen solchen Hochleistungsmilchbauern porträtiert. Seine älteste Kuh war damals 19. Das war Hauke Jaacks, der seinen gepachteten Hof im Hamburger Klövensteen gerade an einen Investor u Pferdehalter verliert, moorhofinrissen.de/pressespiegel/
Ganz viele Hamburger*innen haben sich für den Hof eingesetzt, was zeigt, dass es in der Gesellschaft und in den Medien eben nicht nur Bauernbashing gibt, wie viele Agrarblogger immer beklagen, sondern ganz viel Sympathie für die Landwirtschaft:
abendblatt.de/wirtschaft/art…
Zurück zu den Wegwerfkühen: Dass viele Kühe im Hochleistungssystem nicht alt werden, liegt vor allem am ökonomischen Druck, der auf den Betrieben lastet. Um Kredite von Banken zu bekommen, müssen die Landwirte eine bestimmte hohe Milchleistung nachweisen. Über Jahre lag der
Erzeugerpreis für Milch unter den Produktionskosten. Die Landwirt*innen zahlten drauf, aber sie konnten natürlich nicht einfach aufhören zu produzieren, weil sie Kredite für Stallbau, Maschinen etc bedienen müssen und weil die Kühe ihre Milchproduktion ja nicht einfach einstellen
können. Viele Betriebe haben die niedrigen Preise durch noch mehr Milchproduktion kompensiert. Kritische Milchbauern sprechen vom Komamelken, denn eine noch höhere Milchproduktion lässt die Preise weiter sinken und verstärkt die gesundheitlichen Probleme der Kühe.
Opfer dieses Systems der intensiven Milchhaltung sind die Kälber, die in der Regel von ihren Müttern getrennt werden und nach wenigen Wochen in spezielle Kälbermastbetriebe verschickt werden. Kurzes Leben, hoher Krankheitsdruck, riesiges Antibiotikaproblem,
Der Tierarzt @ebner_rupert hat hier beschrieben, wie gefährlich das ist - für Tier und Mensch:
oekom.de/buch/pillen-vo…
Was Sky du Mont bei 3nach9 im #NDR gesagt hat, trifft für Deutschland nicht zu: Hier werden die Kälber nicht getötet und in Container geschmissen. Das passiert in Australien, wo Jahr für Jahr 700 000 Kälber von Milchkühen wenige Tage nach der Geburt
getötet werden. Gibt es keinen Schlachthof in der Nähe, ist die Tötung auf dem Hof direkt nach der Geburt legal. Das gibt es bei uns nicht, ich kann verstehen, dass solche Behauptungen sehr verletzend sind für Milchbäuerinnen und Milchbauern,
die ihre Arbeit gut machen. Trotzdem bleiben ökologische und tiermedizinische Probleme der intensiven Tierhaltung auch bei uns. Martina Hoedemaker von der Tiho Hannover hat dazu viel geforscht. (Hier verständlich erklärt 👉penguinrandomhouse.de/Paperback/Die-… : )
Nur wirft mir @BlogAgrar vor, mit meinem Buch "Die Wegwerfkuh" hätte die Berichterstattung über die Wegwerfkälber in Deutschland begonnen, und ja, genau, das hat sie! Und seitdem ist so viel Gutes passiert!
Denn die Milchbauern sind ja nicht glücklich mit der Kälberverschickung, den langen Transporten ihrer Tiere, vor allem wenn die Kälber bis nach Afrika verschifft werden, und den Bedingungen in der Mast. Deshalb stellen immer mehr Milchviehbetriebe auf die
sogenannte muttergebundene Kälbermast um: Sie lassen die Kälber bei den Kühen und melken trotzdem. Das ist nicht einfach, aber es geht. Saro Rattner von der Schweisfurth-Stiftung @Agrarkultur macht super Arbeit beim Vernetzen dieser Höfe untereinander.
Unter den großartigen Pionieren Mechthild Knösel vom Hof #Rengoldshausen am Bodensee und die @deoekomelkburen bei Hamburg mit ihrer Elternzeitmilch! Viele Milchbetriebe geben ihre Kälber nicht mehr weg, sondern versuchen sie auf dem Hof oder auf der Weide
zu mästen und dann selbst zu vermarkten. Hier ein beispielhaftes Projekt, wie sich Konsument*innen und Bäuer*innen gemeinsam für ein besseres Leben der Kälber einsetzen: weitnauer-kalb.de
Fazit: Pauschale und falsche Kritik geht gar nicht. Pauschal alle Kritiker*innen zu verdammen, geht aber auch nicht. Die Probleme des Systems intensive Tierproduktion in stark konzentrierten globalisierten Märkten müssen trotzdem auf den Tisch.
Gute Lösungen, wie man aus diesem System rauskommt, sind im Interesse des Gemeinwohls, aber auch im Interesse der landwirtschaftlichen Betriebe selbst.

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