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Dec 6 38 tweets 5 min read
2022 war ein debattenreiches Jahr. Auch 2023 braucht wieder Streit, einen richtigen Diskurs™. Hier erfahrt ihr, wie er ablaufen wird.
Januar:
Ein US-Apple-Engineer gibt ein Memo heraus, er habe gelesen, dass die derzeitige Tastatur optimal effizient konstruiert sei und pitcht die Idee einer neuen effizienten Tastatur. Niemand beachtet den Vorschlag aber das Memo leakt. So nimmt 2023 seinen Lauf.
Die New York Post spottet "Putting A Cap in Your Keyboard". Marjorie Taylor Greene schimpft auf "Liberal Tech Elites". Tucker Carlson zeichnet "Silivon Valley vs. the american way of life". Am nächsten Tag Proteste vor einem Apple-Shop in Texas. Stephen Colbert fragt "Key Bono?"
Februar:
Mathieu Rohr postet einen Ausschnitt zu dem Thema aus der NYT. Er fände schnellere Tastaturen gar nicht schlecht, weil es dann einige “ihre Abgaben mal bis zum Redaktionsschluss schaffen würden ;)” Der Tweet geht viral.
Sibel Schick problematisiert in einem 18er-Thread die Historie der QWERT-Tastatur. Die Schreibmaschinen als “Maschine der alten weißen Männer”, die nicht mit den Fähigkeiten der “überwiegend weiblichen Schriftführer*innen mithalten konnte.” (152 Likes) was lustigerweise wahr ist
Rechtstwitter startet daraufhin einen vollumfänglichen Shitstorm gegen sie, der sie mehrere Tage in Folge hinters Schloss zwingt.
Ende Februar zieht eine Politikwissenschaftlerin bei Anne Will zum Thema “Energiewende” die QWERT-Tastaturen als Erklärungsbeispiel für technologische “Pfadabhängigkeiten” heran. Volker Bouffier ist völlig schockiert. Das Thema Tastaturen wird fünf Minuten heiß debattiert.
Der Sprung in den Mainstream ist geschafft. Lässt sich das Unheil noch abwenden?
März:

Nein, am 01. März titelt die Bild über “Totalitäre Tasten-Taliban”. Die FAZ ziert sich nicht lange und hat “Unantastbar” als Aufmacher. Ulf Poschardt wettert Seite 2 gegen den “Fortschrittsfetisch ignoranter Ikonoklasten”, der der Tastatur ihrer Seele berauben würde.
Jochen Bittner lässt im Streit-Ressort der Zeit über “A Question of Taste” diskutieren, aus irgendeinem Grund mit Michael Roth und Sido. Fleischhauer unterstellt in seiner Kolumne “Mit QWERTZDENKERn reden?” den Grünen erneut Naziwurzeln, weil warum nicht.
April:

Bei einer AfD-Veranstaltung für die Bremer Senatswahlen steht ein junger Mann auf und beschreibt die neue Tastatur als "Plan der Globalisten”. Der Livestream wird abgebrochen, doch man hört noch, wie er für den nächsten Satz mit der Silbe “Ju-” ansetzt.
Bernd Ulrich kündigt einen neuen Gesprächsband mit Greta Thunberg zu progressiver Politik an. Die PM von Klett-Cotta erwähnt, dass das Buch als Ausdruck von Ulrichs Verehrung für progressive Werte ausschließlich auf der neuen Effizienz-Tastatur geschrieben wurde.
Der Youtube J. Reichelt möchte sich auch zu Wort melden, seine Ausgabe wird allerdings von den eingespielten Werbungen zu Raid Shadowlegends untergraben.
Jetzt fusioniert der QWERTZ-Diskurs endgültig mit anderen Kulturkämpfen: die Tastaturpräferenz ist Proxy für deine Meinung zu Cancel Culture, Gendern, Klimaschutz etc. Johannes Boie ist stolz auf seinen Neologismus “Critical Key Theory”.
Rainer “Don Alphonso” Müller schreibt, die “Latte-Macchiato-Großstadt-Emanzen sollen lieber Fahrradfahren als Romane tippen”.Cicero veröffentlicht “95 Thesen gegen die Tastatur-Revisionisten” aber niemand klickt, denn es ist Cicero. Dann ist Wochenende.
Juni:

Auf Linkstwitter hat sich ein neuer Schreibstil etabliert, in dem Rechtschreibfehler so gesetzt werden, als würden Tweets auf der neuen Tastatur getippt, man wäre aber noch an die alte gewöhnt. Niemand besitzt tatsächlich eine neue Tastatur. Großer Spaß.
Hans-Georg Maaßen sieht ein paar solche Tweets, versteht sie aber nicht und beschwört in einem wütenden Selfie-Video den Untergang des Westens. Seine Frontkamera ist sehr staubig und er hält mit dem Daumen das Mikro zu.
Die FAZ bringt etwas, die Welt auch, SPIEGEL gibt zu, sie versuche immer noch den Apple-Angestellten zu interviewen, im ZEIT Feuilleton kommt eine kurze Meta-Analyse “selbstreferenzieller Kulturdiskurse”. Die Energie ist irgendwie raus, die ganze Sache scheint sich zu verlaufen.
Dann ist Sommerloch.
Juli:

Ein paar Tage bewegt sich nichts. Die Loire trocknet langsam aus, der Rhein auch. Dann bewirbt eine Influencerin mit 20k Followern auf Instagram eine der neuen Tastaturen.
Ein Clip der Instagramstory landet in einer rechtsextremen Telegramgruppe und der Influencerin fliegt ein Stein durchs Fenster.
Der linke Aufschrei ist groß. Nancy Faeser spricht von Einzelfall, was nicht hilft. In Leipzig-Connewitz werden rein aus Gewohnheit ein paar Autos angezündet. #Nazisraus trendet auf Twitter, Jan Fleischhauer repostet seine “Nazis rein!”-Kolumne von 2019.
Mathias Döpfner kündigt in einer verwackelten Videobotschaft an die Springer-Belegschaft an, die Verwendung traditioneller Tastaturen zum 5. Springer-Grundsatz zu erheben.
Harald Martenstein beklagt, er habe in seiner Jugend trotzdem schneller tippen können als die jungen Leute mit ihren neumodischen Tastaturen.
Mario Barth meldet sich zu Wort, Oliver Pocher leider auch. Keiner von ihnen hat verstanden, worum es geht, aber sie finden das Wort “Tastaturensohn” sehr witzig.
August:

Thea Dorn veröffentlicht einen Briefroman zwischen einer Person mit der alten und einer anderen Person mit einer neuen Tastatur. Juli Zeh schwärmt, dass in Brandenburg die Menschen noch richtige Tastaturen verwenden würden.
Slavoj Žižek hat ein Buch zu dem Thema geschrieben. Markus Gabriel auch. Was sagt Richard David Precht? Natürlich einiges.
September:

Jens Jesse beklagt die Unterdrückung “tastenprügelnder Männlichkeit”, die taz verruft die alte Tastatur “als flachen Phallus des Spätkapitalismus”, Praktikant*innen verlassen journalistische Traditionshäuser traumatisiert, niemand weiß noch was hier eigentlich abgeht
Bei Maischberger soll Alice Schwarzer zu Tastaturen befragt werden, sie schimpft aber lieber über die Translobby. Hart aber Fair lädt Anne Schneider ein, die es schafft, wegen der Tastaturen die Abschaffung des ÖRR zu fordern, niemand weiß so recht wie.
Eine Folge “13 Fragen” zu “QWERTZ: Scheindebatte oder Zivilisationsbedrohung?” wird nicht ausgestrahlt, weil sich bei der Aufnahme zwei Befragte prügeln. Markus Lanz beugt sich bei seinen Gästen so weit nach vorne, dass er aus dem Stuhl fällt.
Oktober:
Mathieu von Rohr berichtet, dass an amerikanischen Universitäten normale Tastaturen verboten werden soll. Als Quelle gibt er einen 4chan-Post zu dem Thema an. Beim US-Wahlkampf-Auftakt wird ein Demokrat erschossen. Rohr weiß trotzdem, wozu er sein nächstes Buch schreibt
Die Debatte ist inzwischen eher reflexartig. Lindner wird zu Vermögenssteuern befragt und antwortet zu Tastaturen. Friedrich Merz soll seine Position zu den Klimazielen klarmachen und erzählt, die neuen Tastaturen seien “ein Schlag ins Gesicht der hart arbeitenden Mitte”.
In “Post von Wagner” schreibt Wagner “Lieber ein neuer Tastenanschlag, als ein normaler Anschlag”. In einer Umfrage des Allensbach-Instituts geben 92% der Befragten an, noch nie von Critical QWERTness oder der Debatte im Allgemeinen gehört zu haben.
November:

Im November tritt in Großbritannien Rishi Sunak zurück, was für zwei Tage eine Pause ermöglicht. Dann kündigt Till Schweiger an, Romeo und Julia neu zu verfilmen, doch mit zwei verfeindeten Tastaturen-Clans als Montagues und Capulets. Seine 8 Kinder spielen auch mit.
Anna Schneider twittert noch regelmäßig dazu und ein paar andere Libertäre auch, doch irgendwie ist die Luft raus.
Dezember:

Im Dezember finden Konservative heraus, dass man im neuen Tamagotchi-App-Relaunch das Geschlecht des kleine Wesens auch als “divers” angeben kann. Die Tastaturen sind vergessen. Das Abendland muss erneut gerettet werden.
René Pfister*, nicht Mathieu von Rohr. Don't rush your threads.
thread erstellt mit expertise von @Mhr_Lea

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Dec 6
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Offensichtlicher Name für die Ente ist Donald Druck oder
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