Wenn ich sage, ich hab ADS, denken viele an den klassischen Typus ADHS, impulsiv, Zappelphillip, Klassenclown. Wir ADSler sind auf den ersten Blick nicht so auffällig. Wir sind verträumt, unkonzentriert, wirken auf andere faul, sogar dumm. Schon als Kinder.
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Wir saßen als Kinder eher am Fenster, in Tagträumen versunken, und guckten nach draußen. Unsere Einschätzungen sind eher: "Könnte mehr aus sich rausholen, wirkt nicht interessiert, verweigert Hausaufgaben...etc" Wir werden eher als faul wahrgenommen statt frech.
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Es ist ein Reizfilterproblem. Auf uns strömen extrem viele Eindrücke ein. Wir können vieles nicht rausfiltern, nicht ausblenden(beide Formen übrigens). Als sollte eine Festplatte mehr Informationen speichern als Speicherplatz vorhanden ist.
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So gehen viele Informationen verloren. Es gibt einfach nicht die Kapazität, um sie aufzunehmen. Und so kann man uns Dinge auftragen, aber wir vergessen sie nach Sekunden wieder. Nicht aus Faulheit oder Desinteresse. Sondern weil wir nicht anders können.
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Die Folge ist Chaos, Unzufriedenheit der Arbeitgeber oder Familienmitglieder. Wir machen Flüchtigkeitsfehler, verdrehen Zahlen, vergessen Termine, die wir uns mehrmals aufgeschrieben haben, Aufgaben werden (unnötig) aufgeschoben. Wir denken 10 Dinge gleichzeitig.
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Wir springen zwischen verschiedenen Gedanken umher, viele können uns nicht folgen, verstehen nicht, wieso wir uns so schwer organisieren können. Unter uns: Wir verstehen uns auch nicht immer.😅Wir haben so schnell wechselnde Gedankengänge.
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Viele Browserverläufe sehen sehr abenteuerlich aus. Da kommen teilweise so Sachen raus wie: "Schmetterlinge, Zitronenfalter, Orangensaft, Plantage, Traktor, Industrie in den 30er Jahren, Newton, Atomphysik, Astrologie, the big bang theory bloopers..."
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Und oft können wir uns auch gar nicht stoppen. Wir fangen oft Dinge an, aber beenden sie nicht. Oder, davon schrieb ich hier schon öfter, wir sind geradezu obzessiv auf ein Thema fokussiert. Hyperfokus. Das geht auch gerne mal über Wochen oder Monate.
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Und da kann man dann auch sagen, was man will, der Inhalt des Hyperfokus ist schwer bis nicht lenkbar. Das Gegenteil davon ist(zumindest bei ADS), dass man wie eine Art Nebel im Kopf hat. Wir können keinen klaren Gedanken fassen. Oft haben wir Probleme beim zusammenhängenden
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Verstehen. Ich persönlich brauche teilweise 20 Durchgänge für einen Satz und habe dann trotzdem Probleme, das Gelesene verständlich wiederzugeben. Auch hier nicht aus Dummheit. Oft im Gegenteil.
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Einige von uns sind sogar mindestens überdurchschnittlich intelligent. Wir können damit oft einiges kompensieren, auch ein Grund, warum man uns häufig nicht viel früher erkennt. AD(H)S ist nämlich bei Erwachsenen sogar nicht so selten anzutreffen.
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Man kann AD(H)S sogar physiologisch nachweisen. Es sind strukturelle Unterschiede im Gehirn nachweisbar. Wir haben einen Dopaminmangel. Die Ursache ist somit nicht anerzogen, sondern organischer Natur. Es ist genauso echt und real wie ein Beinbruch.
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Nichts davon ist eingebildet oder eine Ausrede oder oder oder. Und nein, die (meisten) Eltern Betroffener sind keine schlechten Eltern. AD(H)S hat sogar eine genetische Komponente. Und aus all diesen Gründen brauchen wir uns auch nicht zu schämen. Unsere Köpfe sind nur bunt.
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Am schlimmsten am #ADS ist für mich eigentlich: Ich hätte nicht als Versagerin dastehen müssen. Ich hätte Abitur viel früher machen können. Ich könnte mein Studium bereits abgeschlossen haben. Ich hätte vielleicht nie den Glaubenssatz verinnerlicht, dumm zu sein.
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Und das glaube ich, obwohl ich damals als hochbegabt eingestuft wurde von den Lehrern. Ich könnte bereits in meinem Traumberuf arbeiten und hätte mir nie den Hass gegen meinen Beruf angetan. Ich würde mit Respekt behandelt werden für das, was ich tun würde.
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Ich hätte viel mehr Selbstwertgefühl. Ich würde wahrscheinlich gerade an meinem Doktortitel arbeiten, hätte promoviert, statt mich verzweifelt zu fragen, ob ich einen Test mit 10 Fragen zum Ankreuzen schaffe. Ich hätte einen Beruf, würde nicht von Grundsicherung leben.
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