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Jan 16 19 tweets 4 min read
Als Mensch, der selbst von sexueller Gewalt als Minderjähriger betroffen war, habe ich die vergangenen Tage die Berichterstattung und Twitter zum Fall #Teichtmeister verfolgt. Ohne groß auf diesen Fall eingehen zu wollen, habe ich mir einige Gedanken zur Thematik gemacht. 1/17
Viele mediale Berichte und Reaktionen von Menschen geben mir das Gefühl, dass es zunehmend zu einer Sensibilisierung vieler Menschen für die Thematik sexueller Gewalt gegen Kinder kommt. In Qualitätsmedien und Twitter habe ich viel gelesen, das ich absolut unterstreichen kann.
Besonders gelungen fand ich das jüngst erschienene Interview mit der großartigen Hedwig Wölf, die ich bei der Aufnahme eines Podcasts kennen lernen durfte: derstandard.at/story/20001425…
Dennoch gibt es noch viele Medien und Menschen, die unreflektierte Aussagen treffen und Begriffe verwenden. Obwohl seit Jahren immer wieder Fälle multipler sexueller Gewalt publik werden, müssen viele Medien und Journalist*innen weiterhin auf ihre Wortwahl sensibilisiert werden.
Ich möchte auf vier Punkte aufmerksam machen, die mir besonders am Herzen liegen:
1. Ich lehne den Begriff Kinderpornografie ab. Pornographie impliziert Legalität (auch wenn es unumstritten ist, dass in der kommerziellen Pornobranche Praktiken und Machtverhältnisse gibt, die illegal sind bzw. missbraucht werden, um erwachsene Menschen zur „freiwilligen“
Partizipation zu bringen). Viel treffender ist es von Bildern sexueller Gewalt gegen Kinder zu sprechen - auch wenn es umständlich ist und für Boulevardblätter zu lang ist.
2. Der reine Besitz solcher Bilder und Videos ist in Österreich rechtlich zwar nicht mit selbst verübten Übergriffen gleichgestellt, stellt meiner Meinung nach (und scheinbar auch der vieler Menschen auf Twitter) kein weniger schlimmes Vergehen dar.
Damit solche Bilder entstehen können, wird #sexuelleGewalt ausgeübt. Der „Handel“ mit diesen Bildern, bringt einerseits Nachfrage und die Produktion weiterer illegaler Inhalte mit sich. Andererseits haben Betroffene so gut wie keine Möglichkeiten ein Zirkulieren zu verhindern
und es besteht die Gefahr, über Jahre hinweg Online tausendfach bloßgestellt zu werden. 3. Persönlich stört mich der Begriff Opfer extrem. Er gibt mir das Gefühl, dass der Täter immer noch stärker als ich ist. Und das obwohl ich mich nach langen Jahren zur Anzeige getraut habe
und meine Geschichte vor Gericht geholfen hat, ihn zu verurteilen. Auch wenn ich aus rechtlicher Sicht einmal ein Opfer war, sehe und fühle ich mich heute nicht mehr als solches. Ich habe es nach außen gezeigt, dass seine Macht über mich (vor allem geäußert in meinem
langen Schweigen) gebrochen wurde und er auch auf meinen Alltag und meine Gedanken so gut wie keinen Einfluss mehr hat. So geht es vielen Betroffenen und es ist bei der Bewältigung der traumatischen Folgen sexueller Gewalt nicht hilfreich. Anstatt mich als Opfer zu bezeichnen,
verwende ich Begriffe wie Betroffener sexueller Gewalt oder dass ich solche erlebt habe. Beide Begriffe sind nicht perfekt, aber geben mir ein besseres Gefühl. Ein Artikel von Mithu Sanyal fand ich dazu sehr bereichernd: taz.de/Beschreibung-s…
4. Außerdem möchte ich die oft unreflektiert gemachte Aussage kritisieren, dass Täter oftmals selbst Betroffene sexueller Gewalt waren. Dies beruht auf wissenschaftlichen Tatsachen, hat mir aber über Jahre Angst eingejagt, selbst einmal zum Täter zu werden. Zum großen Glück hat
sich diese nicht bewahrheitet. Sie hinderte mich aber über Jahre daran, einen ungezwungenen Umgang mit meinen Nichten und Neffen zu haben, auf sie aufzupassen oder einfach nur mit ihnen zu spielen. Zu groß war die Angst, dass mir irgendjemand unterstellen könnte, ich hätte mich
an ihnen vergangen. Aus heutiger Sicht finde ich es lächerlich, war aber über Jahre Realität für mich und wurde durch „Expert*innen“ und Medien immer wieder getriggert. Bei der Aussage, dass Täter selbst oft betroffen waren, braucht es immer die Ergänzung, dass eine Korrelation
besteht, jedoch keine Kausalität! Außerdem sehe ich es nicht als Entschuldigung sexueller Gewalt an, dies gehört genauso unterstrichen. Jeder und Jede kann Hilfe in Anspruch nehmen.
*Hedwig Wölfl natürlich.
Weils gerade passt: orf.at hat eine mMn gute Zusammenfassung zur Pädosexualität/Bilder sexueller Gewalt gegen Kinder veröffentlicht: orf.at/stories/330150…

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