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Mar 26 46 tweets 7 min read
So, wie angekündigt ist es Zeit für einen Thread.
Nämlich einen Thread darüber, wie ich jahrelang #Mobbing erlebt hab.
Was Mobbing mit dem Opfern anrichtet und welche Probleme sich auch noch Jahre später für die Betroffenen ergeben.
Er soll anderen Betroffenen helfen und den
Mitläufern sowie den Umfeld der Betroffenen aufzeigen, was Mitläufertum und falsche Hilfe anrichten können.
Achtung der ist lang.

Springen wir mal knapp 30 Jahre zurück.
Zur einer Zeit in der ich noch im Kindergarten war.
Als ich klein war und das hält teilweise noch bis heute an, hatte ich etwas was ich als "Flatterentensyndrom" bezeichne.
Ich bin auf und ab gesprungen und hab dabei mit meinen Armen gerudert, geflattert.
Ich hab das immer gemacht wenn ich unter Stress stand.
Ich hab diesen so kanalisiert und abgebaut.
Dazu kam dass ich damals auch noch hyperaktiv war.
Ich hab das also sehr häufig gemacht.
So bekam ich damals den Spitznamen "Flatterente".
Für die umstehenden Kinder und teilweise auch Erwachsenen sicherlich witzig,
aber wenn dich die Masse deiner Gruppe und auch deiner "Freunde" regelmäßig lustig über dich macht, sorgt das für die ersten Probleme und Ängste.
Ich würde das noch nicht als Mobbing bezeichnen aber es ist wichtig für das was folgt.
Irgendwann zur der Zeit, gabs da noch einen Vorfall in meinem damaligen Freundeskreis.
Wir waren damals eine Gruppe von ca. 7 Kindern.
Nicht in der Gruppe waren ein Junge und ein Mädchen, deren Eltern damals in Scheidung waren.
Ich war einer der wenigen Kinder,
der mit den beiden regelmäßig spielte.
Als dann die Scheidung immer hässlicher wurde, haben mir meine Eltern verboten mit den beiden zu spielen.
Etwas was ich aus heutiger Sicht als katastrophalen Fehler ansehe, weil die beiden nix dafür konnten
und so auch sie Opfer von Ausgrenzung (des ganzen Dorfes) wurden.
Weil ich nicht mehr mit ihrem Bruder spielen wollte, hat sich die Schwester, die mit einem meiner Freunde in die selbe Klasse ging, mit diesem angefreundet und Lügen über mich erzählt.
Die Reaktion erfolgte natürlich sofort, nämlich dass keiner mehr mit mir spielen wollte.
Das hielt mehrere Wochen an.
Irgendwann hat sich das dann wieder gelegt, aber es war nie mehr dass selbe.
Dann kam die Grundschule.
Neben der Flatterente und der Hyperaktivität kam jetzt noch die Lernschwäche dazu.
Das auslachen und ausgrenzen nahm zu.
Meine damalige Klassenlehrerin hatte eine Methode in den Unterricht eingebracht um das kleine Einmaleins abzufragen.
Alle Kinder mussten aufstehen und dann wurde durch die Reihe eine Aufgabe gestellt.
Wer diese Richtig beantwortet hatte durfte sich setzen.
Wenn nicht musste man stehen bleiben und kam nächste Runde wieder dran.
Das "Spiel" war zu ende, wenn alle saßen.
Ich war immer einer der letzten die sich setzen durften.
Mal abgesehen davon dass die Methode total ungeeignet war, weil sie auf Bloßstellung gesetzt hat, hat sich der Frust fürs lange warten meiner Klassenkamerad*innen an den Langsamen entladen.
Mit dem Wechsel auf die Hauptschule wurde vieles anders.
Meine Noten wurden besser, ich wurde so langsam zum Nerd und die Flatterente ging irgendwann weg.
Und das Mobbing wurde anders, weniger, aber ging nicht weg.
Durch meine spürbar sichtbare Verunsicherung war ich weiterhin das perfekte Opfer.
In der 6. Klasse fing ich an eher den Kontakt zu Jüngeren suchen.
Einer von denen war der Junge aus der Scheidungsfamilie weiter oben.
Ich hatte teilweise keinen Kontakt mehr zu meinen eigenen Klassenkamerad*innen.
Ab der 7. Klasse wurde das Mobbing wieder stärker.
Wir bekamen einige Rückversetzungen, die von höheren Schulen geflogen waren.
Diese brachten noch mal eine ganz andere Dynamik in die Klasse.
Ich fing immer mehr an eine gebückte Körperhaltung einzunehmen, um mich möglichst klein zu machen, worüber sich dann auch wieder lustig gemacht wurde.
Vieles, was sich damals noch alles zugetragen hatte, hab ich inzwischen vergessen.
Waren es am Anfang eher die Jungs die gemobbt haben, sind ab der Pubertät auch viele Mädchen mit eingestiegen.
Und alle die mitgemacht haben, hatten ihre eigenen Probleme.
Waren sogar selbst Außenseiter in irgendeiner Form.
Hatten vielleicht ein niedriges Selbstbewusstsein, welches sie auch meinem Rücken aufpolieren konnten.
Der Rat meiner Eltern, die sich glaube ich auch nicht anders zu helfen wussten, war den Angreifer*innen keine Angriffsfläche zu bieten.
Als wenn das Mobber aufhalten würde, die finden einen Ansatzpunkt.

Während andere auf ihre ersten Parties gingen, begann ich mich immer mehr zurück zu ziehen und wurde zum Einzelgänger.
Verbrachte die Zeit häufig alleine vorm Computer.
In der Ausbildung gabs es dann einen besonders dominanten Mobber.
Er hat mein Werkzeug geklaut, ist mich körperlich angegangen und hat mich regelmäßig vor anderen bloßgestellt.
Ich hab mich nach Feierabend vor Fernseher und Computer zurück gezogen.
Mit 16 hab ich dann meinen ersten Ego-Shooter gekauft und mit 17 dann in den ersten Online-Clan eingetreten.
Hab dort neue Freunde gefunden und 1-2 von denen auch im Reallife getroffen.
Und trotzdem hatte ich Angst vor diesen Menschen.
Gerade wenn sie mich länger kannten.
Weil sie dann Dinge über mich wussten die sie hätten gegen mich verweden können.
Ich habe selten allen alles von mir erzählt.
So konnte man nur wenig gegen mich verwenden.
Eine Taktik die noch sehr lange angewandt hab.
Aber die Menschen spüren das Misstrauen und so wurde häufig nie eine ordentliche Bindung aufgebaut.
Mit ungefähr 18 ist dann auch die Flatterente in anderer Form zurück gekommen.
Dann kam das Fachabi.
Ich war immer noch verunsichert und hatte Angst vor meinen Klassenkameraden (waren nur Männer).
Ich konnte aber auch Freundschaften aufbauen.
Wie andere einfach mal auf Parties oder in Clubs zu gehen ist mir heute noch nicht so leicht möglich.
Es gab während dem Studium und danach mal ne Phase von 3-4 Jahren, wo ich mit meiner besten Freundin und der neuen Clique regelmäßig in Clubs bin, hat mir sogar Spaß gemacht, aber mit dem Clubsterben in Koblenz und meinem Wegzug 2017 war dass dann auch vorbei.
Ich hab hier in Osnabrück nie richtig Anschluss gefunden, weil die Angst einfach zu dominant ist.
Die schlimmste Erinnerung was das alleinsein angeht in jüngster Zeit, ist erst vom letzten Jahr.
Eine sehr gute Freundin aus Osnabrück hatte Geburtstag und ich war eingeladen.
Und so saß ich schon Tage vorher in meiner Wohnung mit folgendem Dilemma im Kopf.
Entweder du gehst hin, fühlst dich fremd und schlecht weil du niemand anderen kennst, dich auch nicht traust Leute anzusprechen und sitzt den Abend alleine da.
Oder du gehst nicht hin und fühlst dich scheiße weil du nicht gegangen bist.
Wenn ich so drüber nachdenke, sind da noch mehr Verhaltensweisen die sich daraus in den Jahren entwickelt haben.
All Das sind sehr direkte Auswirkungen die Mobbing auf Menschen auch noch Jahre später haben kann.

Und wenn ich doch mal Menschen kennenlerne und ne freundschaftliche Beziehung zu Ihnen aufbaue,
überkompensiere ich meistens an diesen, weil ich so froh bin dass sie sich mit mir abgeben.
Das geht sogar soweit, dass ich jemanden hier von Twitter aus Dankbarkeit ein T-Shirt, mit nem Motiv drauf was sehr gut zu der Person passt,
gekauft hab weil sie mir über den ersten Corona-Winter geholfen hat.
Erst viel später ist mir aufgefallen wie das auch rüberkommen könnte, nämlich das ich an mehr interessiert bin und dass es auch übergriffig war.
In Beziehungen wird das dann Teilweise noch ne Nummer krasser.
Ich überschütte das gegenüber quasi mit "Dankbarkeit", werde teilweise zur Klette und erdrücke Menschen so.
Ist mir auch erst vor kurzem bewusst geworden.
Allgemein verhalte ich mich im realen Leben häufig so, dass ich nicht aus der Masse hervorstechen will.
Kleide mich eher unauffällig (dunkel, wenig farben) und denke meistens schlecht über mich.
Suche Fehler immer nur bei mir, auch dann wenn andere sie begangen haben.
Ich bin teilweise schon paranoid gegenüber anderen Menschen, weil ich schon wieder die nächste Attacke erwarte.
Während all der Zeit, gab es immer Menschen, die gesagt haben "stell dich nicht so an", "werd Erwachsen", "das gabs damals bei uns auch schon".
Diese Menschen waren mit die Schlimmsten von allen.
Gerade wenn ich zu ihnen gegangen war um mir Hilfe zu holen.
Ich mein, wieso bildet man sich überhaupt ein den seelischen Schmerz des Gegenüber bewerten zu können?
Ich hau euch ja auch keine aufs Fressbrett und sag danach: "Heul leise Chantal."
Ja seelische Schmerzen sind für uns schwer zu erfassen, schwerer als ein angeschwollener Kiefer nach nem Hieb aufs Fressbrett.
Aber sprecht Betroffenen nicht ab wie sie sich zu fühlen haben bzw. wie sie damit umgehen sollen!
Wieso erzähle ich euch das heute?
Weil so was vor kurzem schon wieder passiert ist.
Jemand meinte mich öffentlich bloßstellen zu müssen.
Jemand, zu dem ich sehr tiefes vertrauen hatte.
Und auch hier wurde dabei gelogen.
Das richtig beschissene daran?
Das ganze ist hier auf Twitter abgelaufen, in der eigenen Bubble, für die meisten wahrscheinlich unbemerkt.
Und doch es gab sie, die Menschen die einen Zusammenhang zwischen dem Tweet und mir herstellen konnten.
Wir erleben hier quasi tagtäglich, wie schnell sich Fake News und Hate Speech verbreiten.
Das wir sehr schnell die Kontrolle über unsere eigenen Tweets verlieren können.
Das hat dann ganz schnell andere Dimensionen für die Betroffenen, weil das Internet vergisst nicht und so was aus der Welt zu räumen ist so gut wie unmöglich.
Für mich wurde der ganze Horror von vor 30 Jahren wieder real.
Wieder war da jemand der mich in der eigenen Peergroup mittels Lügen bloßstellte.
Die ganzen Ängste von damals kamen wieder hoch.
Angst vor der Isolation.
Ich hatte lange Angst mich hier wieder blicken zu lassen.
Es hat mich viele Gespräche mit meiner besten Freundin und meinem Bruder gebraucht, zu realisieren dass ich nicht dafür verantwortlich bin was andere für die Wahrheit halten.
Und das es besser für mich ist, wenn Menschen zu mir den Kontakt abbrechen wenn sie diese Lügen glauben.
Das sie keinen Mehrwert in meinem Leben darstellen.
Aber das macht das ganze nicht besser.
Ich habe trotz alledem Angstzustände und sogar Panikattacken gehabt.
Anfang Februar hab ich beschlossen diesen Thread zu schreiben.
Um mir eine Stimme zu verschaffen.
Um nicht länger nur Opfer sein zu müssen.
Um Menschen klar zu machen, dass solches Verhalten kein Witz ist.
Dass es eben seelische Gewalt ist.
Ich hab mich nach langer Zeit entschieden endlich in Therapie zu gehen.
Weil diese Scheiße jetzt schon lange genug mein Leben kontrolliert.
/fin

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