Thread by @JosaMania

Im September 2001 trug sich in #Leipzig eine Geschichte zu, an der man schön sehen kann, warum der Beziehungsstatus zwischen Ost und West bis heute auf „es ist kompliziert“ steht. Alles begann mit der Eröffnung von #Galeria 🛍️💰 … / Thread 🧵

Leipzig bekam sein erstes großes Westkaufhaus: Der leuchtende Westen, jetzt auch im Osten! Damit wirklich alle davon erfuhren, dachte sich Geschäftsführer Klaus-Peter Kempf eine etwas irrsinnige Lotterie aus: Jeder Leipzigerin, die am Tag der #Galeria-Eröffnung ein Baby bekommt…

… würde er einen 1000-Mark-Einkaufsgutschein spendieren. Aber damit nicht genug: Wer seinem Baby den italienischen Vornamen #Galeria gibt, dem packt Kempf 5000 Mark auf ein Sparbuch. Außerdem reserviert er jeder kleinen Galeria einen Ausbildungsplatz in seinem Haus.

Am 20. September wurden 14 Babys in Leipzig geboren. Für die Mütter war es praktisch unmöglich, nicht von der Aktion zu wissen. Kempf hatte alles getan, um sie zu verbreiten. Radio, Fernsehen, TV waren voll davon. Sogar die Hebammen fragten im Leipziger Kreißsaal…

…werdende Mütter, ob sie die 5000 D-Mark absahnen werden. Zwei Mütter taten es tatsächlich: Vivien Galeria und Frauke Galeria sind heute 21 Jahre alt. Kempf posierte stolz mit den Babys als wäre er ihr Patenonkel. Abermals brachte er sein Kaufhaus groß in den Medien unter.

Was ist an dieser Aktion problematisch? Ist sie nicht auch total nett? Ich finde: nein. Für den Osten war der Einzug des Westens auch ein Schock. Viele fühlten sich nicht wiedervereint, sondern übernommen, gekauft. Die Werte der BRD waren noch neu, mit Geld mussten viele erst …

…lernen umzugehen. Manche lernten es bis heute nicht. Der Westen nutzte das aus. Es ist kein Zufall, dass die Immobilien der Leipziger Innenstadt heute fast ausschließlich in westdeutscher Hand sind. Mit 9/11 hatten viele Ostdeutsche schon wieder die nächste Zeitenwende…

…miterlebt, da kam Galeria mit dieser Aktion um die Ecke: Ein dickes Sparbuch und ein Job im Parfümregal im Tausch gegen eine Werbeanzeige in der Geburtsurkunde. Der Kaufhaus-Chef traf den Osten an seiner verwundbarsten Stelle - und forderte Mitspracherecht in einer …

extrem intimen Lebenssphäre: Den Namen der Kinder des Ostens. Ich übertreibe? Nein. Ich habe Veronika Kühn, eine Mama der beiden Galerias, gefunden und für @LVZ mit ihr gesprochen. Für sie ist die Aktion eine böse Erinnerung. Sie fühlte sich damals überrumpelt. Und sie nannte…

… ihr Kind damals Galeria, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Das hat sie mir so gesagt. „Ich würde es nicht wieder machen“, sagt sie. Warum tat sie es dann? „Es ging ja um viel Geld.“ Ihre einzige Genugtuung: Ihre Tochter wird einen Teufel tun und je für #Galeria arbeiten.

Mich schmerzt diese Geschichte. Denn so hat der Westen den Osten immer wieder vorgeführt. Auf Treuhand-Ebene - und auf privater Ebene. In Konzernen wie in Familien. Auf extreme Weise in meiner eigenen Familie. Viele sind deswegen bis heute dem Westen gegenüber misstrauisch.

Die ganze Geschichte steht heute in der @LVZ am Wochenende. Inklusive einer Mutter, die ihre Tochter zwar nicht Galeria nannte, aber trotzdem etwas nachhalf, um an ihren Gutschein zu kommen. Den sie - wie sie sagt - damals gut gebrauchen konnte. lvz.de/lokales/leipzi…

#Galeria Kaufhof hat auf meine Anfragen zum Thema nicht reagiert. Frauke Galeria wollten keine Interviews zu ihren Namen geben, ihre Mutter schon. Klaus-Peter Kempf ist nicht auffindbar.