Thread by @lisa_christ_

Liebe Männer

Wenn ihr Sex mit Frauen oder Personen mit Gebärmutter habt und dabei keine Kinder zeugen wollt, bitte lest diesen Thread.

Erst gerade lag ich wieder einmal auf einer gynäkologischen Untersuchungsliege, deren Aussehen alleine schon für die Gewissheit reicht,(1/x)

(2/x) dass es gleich ganz unangenehm wird. Wirklich jedes Mal denke ich: Sie sieht aus wie ein Folterinstrument aus dem Mittelalter.

12h vor dem Eingriff habe ich eine Tablette eingeführt, die grobe Nebenwirkungen haben kann, 4h vor dem Eingriff eine zweite. Ich habe 1.5h vor

(3/x) dem Termin ein Dafalgan im Wasser aufgelöst und damit ein Ibuprofen runtergespült und eine halbe Stunde davor noch eine zweite. Ich nehme sonst nur in Ausnahmefällen Schmerzmittel. Wenn’s nicht anders geht. Hier ging es nicht anders. Und um ehrlich zu sein: Es ging auch so

(4/x) nicht besonders gut.

Ich bin übrigens weder schwanger, noch will ich es werden. Auch sonst ist mit meinen Geschlechts- und Reproduktionsorganen alles in Ordnung. Ich war also nicht wegen einer Krankheit bei der Gynäkologin. Ich bin bloss eine ganz normale Frau, die Sex mit

(5/x) Männern hatte und davon nicht schwanger werden wollte. Und um das zu verhindern, habe ich schon früh angefangen, Massnahmen zu ergreifen.

Ich glaube, ich habe mit 18 angefangen, die Pille zu nehmen. Ich bekam sie damals ganz einfach von meiner Frauenärztin verschrieben,

(6/x) ohne zu wissen, was genau in meinem Körper passiert, wenn ich diese Hormone schlucke. Ich wusste nicht, dass es unter anderem Schwangerschaftshormone sind, die meinem Körper 3 von 4 Wochen monatlich vorgegaukelt haben, ich sei schwanger. Und ich wusste auch nicht, dass

(7/x) dadurch keine Eizellen heranreifen oder dass die Blutung, die man beim Absetzen der Pille alle 4 Wochen hat, keine richtige Menstruation ist – und auch gar nicht unbedingt nötig. Das einzige, was ich wusste, war: Ich konnte damit nicht schwanger werden, vielleicht würden

(8/x) meine Brüste schneller wachsen und gegen Pickel sollte sie auch gut sein.

Irgendwann, ich denke, es war ungefähr um die gleiche Zeit, als ich auch entdeckte, wie die Klitoris anatomisch geformt ist (auch das etwas, das ich nicht in der Schule gelernt habe), habe ich mich

(9/x) dann dazu entschlossen, die Pille abzusetzen. Ich hatte viel darüber gelesen und fand den massiven Eingriff in meinen eigenen Hormonhaushalt nicht mehr gut. Ich bekam Akne und hatte krasse Stimmungsschwankungen für ca. 1 Jahr. Die Akne behandelte ich mit einem Medikament,

(10/x) das meine Haut sehr empfindlich machte und austrocknete und während dessen Einnahme man – Obacht, Ironie – auf keinen Fall schwanger werden sollte.
Aber natürlich musste ich wieder irgendwie verhüten. Kondome alleine kamen für mich nicht in Frage – in dem etwas über einem

(11/x) Jahr, in der ich nur mit Kondomen verhütete, kam es zweimal zu einer Unsicherheit, beide Male fand ich mich in der Apotheke wieder und musste dem Personal meine Bettgeschichten darlegen. Nichts da mit: Rein, Pille holen, raus. Man muss ins Hinterzimmer, wenn man Glück hat

(12/x) mit einer netten Person, mit sehr viel Glück mit einer Frau, und dort muss man dann genau erörtern, wann man zuletzt die Periode hatte, wann Geschlechtsverkehr und was dann passiert ist. Dann darf man die «Pille danach» bezahlen, schlucken und hoffen, dass alles nochmal

(13/x) gut gegangen ist. Nur: Die Pille danach ist auch eine Hormonbombe. Und davon wollte ich ja weg.

Also wollte ich mir die Kupferspirale einsetzen lassen, weil das die einzige Variante war, von der ich wusste, dass sie relativ sicher und ohne Hormone funktioniert. Meine

(14/x) damalige Frauenärztin riet mir ab und überzeugte mich in Folge von der kleinen Hormonspirale (für drei Jahre), die sei besser als die Kupferspirale, der Pearl-Index (ein Wert der angibt, wie sicher die Verhütungsmethode ist) sei besser und man kriege davon weniger und

(15/x) nicht – wie bei der Kupfervariante – mehr Menstruationsbeschwerden. Also liess ich mir die kleine Hormonspirale einsetzen. Die wirkt übrigens im Gegensatz zu der Pille lokal, also direkt in der Gebärmutter und muss nicht durch das gesamte Verdauungssystem wandern, was ich

(16/x) damals als weniger schlimm empfand. Zudem gibt sie ein anderes Hormon ab (das Gelbkörperhormon) als die Pille und dem Körper wird keine Schwangerschaft vorgegaukelt. Plus: Die Eizelle reift normal heran, der Zyklus wird in seiner natürlichen Form nicht verhindert. Es kann

(17/x) theoretisch sogar zu einer Befruchtung kommen, die Eizelle wird jedoch daran gehindert, sich einzunisten, weil wegen des Hormons die Gebärmutterschleimhaut nicht aufgebaut werden kann. (Was btw auch ein Grund sei kann, warum gewissen Menschen mit Reproduktionsorganen keine

(18/x) Spiralen einsetzen möchten, weil es schon als Abtreibung gesehen werden kann. Pro Choice!)

Nun, ich fand das damals eine gute Idee und habe mir die kleine Hormonspirale einsetzen lassen. Dazu habe ich Schmerzmittel eingenommen und Cytotec, ein Off-Label-Medikament

(19/x) eingeführt, um das Gewebe weicher zu machen und meinen Muttermund zu öffnen. Es war trotzdem schmerzhaft. Eine Freundin war dabei. Sie sagte mir später, es sei schrecklich gewesen, mich so zu sehen. Ich erinnere mich nur daran, dass die Gynäkologin einen Fehler machte & es

(20/x) deshalb zweimal so lange gedauert hat. Und daran, dass ich „Fuck!“ schrie und dachte: Hoffentlich hört das niemand im Wartsaal.

Danach hatte ich drei Jahre keine Probleme, anstelle einer normalen Blutung aber nur noch Schmierblutungen (was normal ist bei der Hormonspirale

(21/x) weil eben weniger Gebärmutterschleimhaut aufgebaut wird). Nach Ablauf dieser Zeit wollte ich immer noch weg von den Hormonen, ich fand es eigenartig, keine Mens mehr zu haben. Weil die Kupferspirale aber irgendwie einen schlechten Ruf hat, recherchierte ich ein wenig und

(22/x) stiess auf eine vermeintlich besser verträgliche Form: Den Kupferball. Die Kette kam nicht in Frage, dafür war meine Gebärmutterhaut zu dünn (die Kupferkette wird in der Gebärmuttermuskulatur „verankert“, sprich durch die Gebärmutterwand gestochen & festgeknüpft).

(23/x) Der Kupferball war neu, wurde als innovativ angepriesen und durch seine Form als besonders schonend und flexibel verkauft. Ich glaubte das. Und auch wenn ich die Schmerzen des letzten Einsetzens noch nicht vergessen hatte, schienen mir einige Sekunden Schmerz für

(24/x) jahrelange Ruhe danach vertretbar. Und die hunderten Franken für die Behandlung auch. Die zahlt die Krankenkasse nämlich nicht. Genau so wenig wie bei der Pille, der Pille danach oder irgendwelchen anderen Verhütungsmethoden.

Das Einsetzen des Kupferballs war eine

(25/x) Katastrophe. Anders kann ich das wirklich nicht beschreiben. Nachdem mir die FA die kleine Hormonspirale an den Rückholfäden rausgezogen hatte – mit einem Husten war sie draussen – machte sie sich daran, den Kupferball einzusetzen. Dazu wird ein Röhrchen durch den

(26/x) Muttermund in die Gebärmutter geschoben. Bei vollem Bewusstsein. Und ja, mir tut das verdammt weh. Auch mit Schmerzmitteln. Auch wenn ich meine Tage habe und da unten „alles weich“ ist. Ich leide und blute schon jedes Jahr beim Krebsabstrich. Und da wird nur bisschen am

(27/x) Muttermund gekratzt. Für alle, die nicht wissen, wo der Muttermund liegt: Am Ende der Vagina. Als das Röhrchen platziert war, wurde ein Draht mit Kupferbällchen drauf in die Gebärmutter geschoben, der sich ausserhalb des Röhrchens wieder in seine Ballform zurückformte.

(28/x) Meinem Nervensystem gefiel das ganz und gar nicht. Nach dem Einsetzen musste ich über eine Stunde liegen bleiben, weil mir jedes Mal beim Versuch aufzustehen schwarz wurde vor Augen. Ich konnte nicht mehr mit dem Fahrrad nach Hause fahren, jemand musste mich mit dem Auto

(29/x) abholen. Den gesamten Rest des Tages hatte ich Krämpfe.

Und jetzt, fünf Jahre später (mittlerweile 6, weil ich krank war und keine Energie hatte), ist es an der Zeit, diesen Ball wieder aus meiner Gebärmutter zu entfernen. Nur leider sind die Rückholfäden nicht mehr da,

(30/x) wo sie sein sollten. Ich war jetzt zweimal bei der Gynäkologin und zweimal griff man mir, wiederum bei vollem Bewusstsein, mit einer Zange in meine Gebärmutter, um den Faden vielleicht doch noch zu fassen zu kriegen. Das erste Mal komplett ohne Medikamente, das zweite Mal

(31/x) mit. Es tat beide Male weh. Ich habe beide Male geweint und gezittert. Und es hat beide Male nicht geklappt. Also werde ich nun in ein Spital eingewiesen und bekomme dort eine kurze Vollnarkose, damit die behandelnden Ärzt*innen dort mit einer kleinen Sondenkamera in meine

(32/x) Gebärmutter hineinschauen und sehen können, wo der Rückholfaden ist und dann hoffentlich endlich dieses Ding aus mir rausziehen können.

Ich bin einfach nur froh, wenn diese Odyssee ein Ende hat. Ich kann nicht fassen, durch welche Strapazen ich gehen muss, einfach nur,

(33/x) weil ich nicht schwanger werden will. Ich kann nicht fassen, dass es 2023 immer noch keine besseren Alternativen gibt, damit ich nicht jedes Mal mitbekommen muss, wie man mir (und ich sag‘s jetzt nochmal) BEI VOLLEM BEWUSSTSEIN in meine Gebärmutter greift.

Es gibt keine

(34/x) sehr sichere Methode für Frauen oder Menschen mit Gebärmutter, nicht schwanger zu werden, die nicht invasiv ist. Und weil ich’s jetzt schon hören kann: Nur mit Kondom zu verhüten, mag für manche eine Option sein. Aber mir war das immer zu riskant. Auch weil in einem Falle

(35/x) einer Schwangerschaft wer die Verantwortung trägt? Richtig: Die schwangere Person. Und auch Kondome sind bei einem Missgeschick invasiv für diejenigen, die schwanger werden könnten: Die Pille danach beinhaltet nämlich ebenfalls nicht wenige Hormone.

Es macht mich wütend,

(36/x) dass im Internet Fehlinformationen zu lesen sind, was die Schmerzen angeht. Ein Einsetzen einer IUD ist nicht „in der Regel schmerzfrei“. Schmerzempfinden ist individuell, klar. Aber „schmerzfrei“ ist das beim besten Willen nicht. Es macht mich wütend, wie wenig über diese

(37/x) Dinge aufgeklärt wird und vor allem: Wie wenig die meisten Männer (!!) darüber wissen. Wie wenig sie dazu beitragen (können/wollen), dass es besser wird. Wie wenig geforscht wird und wie langsam es vorangeht, wenn es um andere Verhütungsmethoden geht.

(38/x) Könnten Männer schwanger werden, würde das alles so anders aussehen.

(39/x) Und falls du ein Mann bist, und du das wirklich durchgelesen hast: Teile es mit deinen Freunden. Rede mit deinen Sexualpartner*innen darüber. Unterstütze sie darin, das zu tun, was für sie stimmt. Unterstütze sie finanziell.

(40/x) Das Mindeste, was Männer tun können, ist, immerhin die Kosten zu übernehmen. Und falls du dir sicher bist. Dass du keine Kinder haben möchtest: Lass dich unterbinden.

(x/x)Liebe Pers. mit Gebärmutter: Teilt gern eure Verhütungsgeschichten unter #unsichtbarerschmerz. Ich hab genug davon, dass das totgeschwiegen wird. Den Aufwand betreiben wir nicht nur für uns selbst, sondern für alle, die davon profitieren, dass wir nicht schwanger werden.