Nach Monaten bin ich mal wieder zum Arbeiten in Moskau. Drüben bei Instagram habe ich gefragt, was die Nutzer interessiert. Viele wollten wissen, wie die Stimmung der Russen angesichts des Kriegs ist. Hier meine Einschätzung:
(1) Der Krieg gegen die Ukraine beschäftigt die Russinnen und Russen. Aber öffentlich trauen sie sich kaum noch dazu zu äußern - außer es ist offene Zustimmung.
(2) Fast jede Woche gibt es Prozesse gegen Kriegsgegner. Gegen einfache Bürger, die in Fernsehumfragen die Armee kritisiert haben, gegen Menschenrechtler, gegen liberale Politiker. Das schüchtert ein.
(3) Der Weggang westlicher Firmen ist überall spürbar, führt aber nicht zum Kollaps. Russische oder chinesische Unternehmer übernahmen Fabriken, westliche Produkte werden durch andere ersetzt, wenn auch oft in schlechterer Qualität.
(4) Putin dürfte wissen, dass es für ihn keinen Weg zurück gibt. Deshalb setzt er auf Sieg und dürfte überzeugt sein, dass der Westen früher einknickt als er. Dann kann er die Ukraine ganz einnehmen, so das Kalkül.
(5) Die unpolitisch erzogene russische Bevölkerung wird weiter auf Patriotismus und unbedingten Gehorsam ggn. der Staatsführung getrimmt. Nächstes Jahr sind Präsidentenwahlen, die Kampagnen dazu dürften bald beginnen - auch wenn von einer echten Wahl nicht auszugehen ist.
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Vor Putins „Rede zur Lage der Nation“: Alles bereit, berichtet das Staatsfernsehen. Journalisten von sogenannten „unfreundlichen Staaten“ (dazu gehört 🇩🇪) sind nicht zugelassen.
Putin beginnt erstaunlich pünktlich, nur fünf Minuten Verspätung. Es seien "schwierige Zeiten" für Russland in Zeiten "kardinaler Veränderungen" der Welt. Er geht direkt ins Thema.
Ein Zurückweichen ist nicht zu erwarten: Russland werde "Schritt für Schritt" seine Aufgaben erfüllen. Es komme jenen zur Hilfe, die einfach nur ihre Muttersprache sprechen wollten (Russisch im Donbass), sagt Putin.
Die Zeiten des großen grenzenlosen WWW scheinen zunehmend vorbei. Russland versucht schon länger, sich vom globalen Netz abzukoppeln. Der Krieg mit der Ukraine hat das noch einmal beschleunigt. Internetnutzung aus russischer Sicht. Ein Kurz-Thread.
Westliche soziale Netzwerke und immer mehr Nachrichtenseiten blockt die russische Regierung: Facebook, Twitter, Instagram, LinkedIn, BBC Russian, aber auch fr.de, t-online.de. Aufrufen nur mit VPN-Dienst möglich, wenn...
...der VPN-Dienst nicht auch geblockt ist. Alle paar Wochen bin ich gezwungen, einen neuen Dienst zu suchen, der noch funktioniert. Blöd, wenn man gerade ein Premium-Abo abgeschlossen hat. Manchmal gehen die Dienste noch über Bulgarien, Ecuador oder Kolumbien, aber sonst nicht.
In Russland erleben wir derzeit, wie elementar eine offene Gesellschaft für journalistische Arbeit ist. Und was geschieht, wenn es diese nicht (mehr) gibt. Für uns Journalisten (insbesondere Fernsehen) ist es sehr schwer geworden, aus Russland zu berichten. Die Gründe: (1/7)
In Russland herrscht ein Klima der Angst. Langjährige Haftstrafen für nicht regierungskonforme Aussagen, Stigmatisierung ausländischer Medien und einheimischer kritischer Medien als "ausländische Agenten". Menschen geben ungern Interviews oder sie sagen Belangloses. (2/7)
Bloß nicht das eigene wirtschaftliche Überleben gefährden: Firmen sagen deshalb fast nie etwas vor der Kamera, aus Angst, ihr Geschäftsmodell in einer sich wandelnden Gesellschaft mit ständig neuen Verbotsgesetzen zu gefährden. (3/7)
Wichtig zu verstehen: Die Menschen in DNR und LNR sind - was Informationen angeht - sehr isoliert. Die Medien sind komplett von den prorussischen Machthabern kontrolliert, hinter denen der Geheimdienst aus Moskau vermutet wird.
2018 war ich zuletzt in Lugansk: Ein fürchterliches Klima der Angst, auf der Straße will kaum jemand offen mit einem sprechen. Der Geheimdienst beobachtete uns, sperrte uns im Hotel ein, bezog ein Nebenzimmer, um die ganze Nacht dort zu lärmen. Notausgang abgesperrt.