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1/ Dieser Tage wieder en vogue, aktuell in der Weltwoche von Christoph Mörgeli: Die Nazis waren Linke; Faschismus ist links.

Kann sein! Was ist aber dran an Mörgelis Text? Geschichtsklitterung, Plagiate und an Lügen grenzende Verdrehung.

Längerer 🧵 Image
2/ Mörgeli skizziert halbwegs korrekt, dass Hitler und die NSDAP vor der Machtergreifung ihren Antisemitismus klar antikapitalistisch aufgeladen hatten. Er lässt aber bewusst aus bzw. verdreht, wie die Wirtschaftspolitik der Nazis nach der Machtergreifung tatsächlich aussah.
3/ In den Passagen, in denen Mörgeli beschreibt, wie sich die NSDAP strategisch der Arbeiterschaft anbiederte, ist seine Argumentation erstaunlich differenziert.

Na ja, vielleicht nicht ganz so erstaunlich: Diese Stellen sind Plagiate. Image
4/ Mörgeli hat grosszügig aus einen aktuellen Paper praktisch 1:1 abgeschrieben, ohne Quellenangabe.

Das ist eine absurde intellektuelle Bankrotterklärung - warum das Paper nicht einfach zitieren? Es wird aber noch eine Stufe unverschämter.

wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/20…
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5/ An einer Stelle verfälscht Mörgeli das Plagiat, um eine bessere Story zu kreieren. Im Original steht:

> In einigen Fällen stimmte die NSDAP als einzige Partei mit der KPD

Mörgeli macht daraus:

> Etliche Male stimmte die NSDAP als einzige Partei mit der KPD Image
6/ Mörgeli bemerkt korrekt, dass die Hitler-Regierung den 1. Mai zum nationalen Feiertag erhob. Was er nicht erklärt: Die Nazis taten das explizit, um klassenkämpferische Anliegen der Arbeiterschaft zu brechen.

sueddeutsche.de/politik/ein-bi…
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7/ Die Nazis machten mit dem 1. Mai also das Gegenteil dessen, was Mörgeli schreibt. Sie knüpften nicht an die sozialistische Arbeiterbewegung an. Sie wollten im Gegenteil ausdrücklich auflösen.

zeitgeschichte-online.de/themen/die-ers…
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8/ Mörgeli verschweigt auch, was einen Tag später, am 2. Mai 1933 passierte: Gewerkschaften wurden zerschlagen und verboten. An ihre Stelle trat die “Deutsche Arbeitsfront”, die explizit nicht pro Arbeiterschaft war.

dhm.de/lemo/kapitel/n…
9/ Mit Verweis auf den 1. Mai 1933 zu sagen, die Hitler-Regierung habe an die sozialistische Arbeiterbewegung angeknüpft, obwohl die Nazis die Arbeiterbewegung zerschlagen haben, ist manipulative Geschichtsklitterung der absoluten Extraklasse. So etwas habe ich noch nie erlebt.
10/ By the way: Auch in diesem Abschnitt sind mehrere Passagen womöglich plagiiert. Zunächst ähneln diese Sätze der in Tweet 7 zitierten Quelle. Das könnte aber gut Zufall sein. Bei ein paar anderen Stellen scheint Zufall recht unwahrscheinlich.

zeitgeschichte-online.de/themen/die-ers…
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11/ Diese Stelle zu “hochwohlgeborenen Söhnchen” und “Tintenrittern” hat Mörgeli wahrscheinlich aus einem Buchkapitel plagiiert.

degruyter.com/document/doi/1…
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12/ Den letzten Satz (der im übrigen Zeigt, dass Hitler eben nicht sozialistische Politik betrieb) hat Mörgeli wohl aus einem taz-Text von 2003 plagiiert. Fun Fact: Das Zitat von Hitler ist falsch.

taz.de/War-Adolf-Hitl…
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13/ Das korrekte Zitat verdeutlicht nochmals, dass Hitler explizit keine sozialistische Wirtschaftspolitik verfolgte. Es lautet: “Was haben wir das nötig: Sozialisierung der Banken und Fabriken. Wir sozialisieren die Menschen”.
ifz-muenchen.de/heftarchiv/195…
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14/ In einem weiteren Abschnitt behauptet Mörgeli, kommunistische Kampfformationen seien geschlossen zur SA übergetreten. Auch das wohl ein Plagiat aus dem taz-Text. Für die Behauptung an sich habe ich keine Belege finden können. Der taz-Text ist die einzige Quelle. Image
15/ Den Vogel schiesst Mörgeli gegen Ende des Artikels ab. Er behauptet, Hitler habe die “bürgerlich-liberale” Welt gehasst. Seine Anhänger hätten die Zerstörung der “wunderbaren deutschen Städte” bejubelt. Hä? Image
16/ Das ist natürlich Humbug. Die Zitate stammen aus einem Buch (Mörgeli nennt den Autor, aber nicht das Buch). Niemand bejubelte die Zerstörung von Städten. Es handelte sich um verzweifelte Durchalteappelle angesichts der sich anbahnenden Niederlage.

rowohlt.de/buch/joachim-f…
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17/ Auch sonst lässt Mörgeli viele Dinge aus. Zum Beispiel den Umstand, dass die Nazi-Regierung nicht nur keine sozialistische Wirtschaftspolitik betrieb, sondern sogar Pionierin der Privatisierung war.

onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.111…
18/ Mörgeli erwähnt auch nicht, dass Hitler den antikapitalistischen Flügel der NSDAP (den es gab) eliminierte. Spätestens mit der Ermordung Gregor Strassers 1934 waren sozialistische Bestrebungen in der NSDAP Geschichte.
19/ Allgemein wichtig: Ökonomische Positionierung ist kein Kriterium für Rechtsextremismus. Die Nazis waren rechtsextrem, weil sie ethno-nationalistischen Exklusivismus propagierten und mörderisch umsetzten.

tandfonline.com/doi/abs/10.108…
20/ Die Fragestellung, wie ökonomisch links die Nazis waren, ist historisch wichtig und interessant. Was Mörgeli in seinem Text macht, ist aber beschämend: Mit Plagiaten, Verdrehung und Auslassung versucht er, ein Bild der Geschichte zu zeichnen, das ihm genehm ist.
21/ Mir selber wäre es egal, wenn die Nazis ökonomisch links gewesen wären. Auch Stalin war ökonomisch klar links, aber Stalinismus lehne ich vollumfänglich ab. An Mörgelis Text stört mich der Bad Faith-Charakter: Es geht gar nicht um die Wahrheit. Es geht nur um billige Polemik.
22/ Aber all diese Worte sind vergebens. Die auf Kulturkampf konditionierten Reply Guys werden auch bei diesem Thread einfach ad infinitum wiederholen, dass die Nazis Sozialisten waren - es steht ja im Namen!
23/ tl;dr: Die Politik der Nazis war nicht links, sondern klar kapitalistisch (u.a. wurden Gewerkschaften verboten).

Wichtiger: Die Nazis waren nicht wegen Wirtschaftspolitik, sondern wegen Gesellschaftspolitik (ethno-nationalistischer Exklusivismus) rechtsextrem.

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