Langer Gedanke über Bayern & generell Teams, die "zum Siegen verdammt sind", ich find's auch vergleichbar mit der Situation vom BVB vor 2-3 Jahren:
Mentaler Druck führt zu Ungeduld. Ungeduld verzerrt deine Entscheidungen.
Das ändert auch, was "Siegermentalität" konkret ist:
Die klassische Siegermentalität ist, was Joshua Kimmich bis zum Anschlag hat: Wenn es schlecht läuft, wenn es drauf ankommt, gib noch mehr Gas. Wille, Einsatz.
(Stück weit ironisch, dass ausgerechnet Kimmich nun kritisiert wird, der genau macht, was immer gefordert wird.)
Und diese Mentalität ist auch normalerweise sehr gut und wichtig. Das Problem in der aktuellen Spielweise im Spitzenfußball: Die Mannschaften generieren Stabilität über Geduld. Ungeduld kann dich killen. Weil du anfängst, schlechtere Entscheidungen zu treffen.
Das beginnt bei Ballbesitz. Modernes Positionsspiel basiert extrem darauf, gegnerische Schwachstellen zu attackieren. Dafür lässt man den Ball viel laufen, wartet auf den richtigen Moment, besonders wenn der Gegner nur passiv zurückfällt.
Wenn du ungeduldig wirst, spielst du Bälle vorne rein ohne Vorteil, die du normal nicht spielen würdest. Du versuchst Dribblings zu erzwingen ohne gute Position.
Das führt zu Ballverlusten und zu Kontern. (Gute Restverteidigung ist eines, die Art der Ballverluste das andere.)
Das sah man zum Beispiel zuletzt bei Bochums 1:1-Treffer. Gerade im Konter, aber auch beim normalen Verteidigen kommt dann die defensive Entscheidungsfindung dazu: Im Verteidigen wägst du immer ab zwischen Balleroberung und Sicherung des Tors. Das ist DIE große Frage. Rot vs Blau
Wenn du ungeduldig bist; wenn schon der Fakt, dass du verteidigen musst ein Problem ist; wenn du dringend dieses Problem lösen willst, dann fängst du an, diese Frage falsch zu beantworten. Du stürzt in Zweikämpfe, du vernachlässigst die Tor- und Tiefensicherung.
Etwas, was Kimmich viel vorgeworfen wird, aber auch andere betrifft. Vor Lazios 11er: Kimmich und Goretzka eher unnötig im Zweikampf, werden ausgespielt. Bei Bochums 1:1 rückt Upamecano raus und verliert vor allem anschließend seinen Gegenspieler. Nur "Balleroberung" im Kopf.
Das Ding ist, dass das ja an sich eher gutes Abwehrverhalten ist, möglichst aggressiv zu verteidigen. Aber nur bis du ausgespielt wirst.
Man geht in die richtige Richtung, dann will man mehr in die richtige Richtung gehen, irgendwann fällt man von der Klippe.
Das macht die Lösung dieses Problems so viel schwerer als es vielleicht scheint. Wir wollen ja, dass Spieler Gas geben, sich mehr reinhauen, mehr Druck ausüben. Wie verhindern wir dann, dass sie überdrehen, dass sie zu viel wollen?
Siegermentalität an dieser Stelle hat dann nicht mehr viel mit Wille zu tun, sondern viel mehr mit Selbstbewusstsein und Abgeklärtheit. Unter Druck ruhig und klar bleiben zu können, wofür auch Spielverständnis wichtig ist.
Auch ein gewisses Selbstverständnis ist entscheidend.
Vor allem die "Arroganz", dieses Selbstverständnis und Vertrauen in die eigene Spielweise zu behalten, wenn dir das Ergebnis und die Externe dir spiegeln, dass deine Spielweise gerade falsch ist.
Das hat Real beim letzten CL-Sieg so ausgezeichnet.
Aus Ungeduld hingegen kann sich so eine Abwärtsspirale ergeben: Du willst zu viel, du scheiterst, du versuchst in die andere Richtung zu korrigieren, du wirst zu passiv. Jetzt sind einige Spieler überdreht, andere übervorsichtig. Das Spiel wird erst statisch, dann konfus.
Das hat man sehr lange beim BVB gesehen. Viele Spiele, in denen man extrem gut startet, dann aus dem nichts das 1:0 kassiert und dann erst mal völlig einbricht. Folgerichtig, dass letzte Saison der beste Lauf gelang, ausgerechnet als die Erwartungshaltung am Boden war.
Darunter leidet auch die Nationalmannschaft. Die Erwartungshaltung einerseits riesengroß, das Scheitern aber mittlerweile immer vor Augen. Du willst Sachen erzwingen.
Bei der WM wurde der expected goals Wert massiv unterperformt, bei Bayern diese Saison auch. Ich hab die Theorie, das passiert bei Brechstange: Du kommst dann in die Abschlüsse, aber der Gegner kann noch genug Druck machen, du schießt vielleicht auch zu früh.
Das begleitet auch die schwächsten Phasen von Klopps Mannschaften. Diese crazy Platz-17-Hinrunde in seiner letzten BVB-Saison hatte skurrile xG-Werte. War aber auch Brechstangen-Fußball. Ein gutes Beispiel, wie krass dieser Teufelskreis werden kann.
(Hier könnte man anmerken, dass das auch auf Zufall hinweisen könnte, der Punkt ist, aber dass dann im Anschluss oft auch die xG-Werte schlechter werden. Du kommst durch Pech in eine blöde Situation und wegen dieser fängst du an, schlechter zu spielen.)
Zwei Punkte, die sich hieraus ergeben:
1. Die Erwartungshaltung an Teams und Spieler, besonders gegen sehr passive Gegner. Im Positionsspiel musst du da ein Stück weit langweilige Spiele in Kauf nehmen. Du haust die nicht 3:0 weg. Spiel sicher zu Null, schieß irgendwann 1 Tor.
Wenn du in diesen Spielen noch "mehr willst", dann wirst du automatisch instabil. Und wenn du dann hinten liegst, wird es umso schwerer.
Also sollte ich auch von Spielern nicht erwarten, extra viel Gas zu geben, sondern ich muss eher Geduld & Selbstbewusstsein einfordern.
Ich glaube, das beste Coching für Kimmich wäre: Mach mal ruhig. Du musst nicht jedes Spiel mit jeder Aktion entscheiden. Stabilisier das Spiel und glänz im richtigen Moment.
Kimmich hat die Fähigkeiten, der vlt beste "holding" Sechser der Welt zu sein, er spielt's nur nicht so.
2. Positionsspiel an solches hat einen Schwachpunkt. Es ist äußerst langsam, erfordert dadurch einerseits sehr viel Geduld, andererseits generiert es manchmal wenig Chancen.
Guardiola hat seit Jahren dauernd Probleme mit 5-4-1- und 5-3-2-Teams. Problem ist: Alle anderen auch.
Die Frage ist, was die bessere Lösung ist: Akzeptieren wir ein langweiliges Spiel, das wir mit Pech verlieren, aber 7 von 10 Mal 1:0 gewinnen?
Oder gibt es einen Ansatz, der vielleicht riskanter ist, aber insgesamt mehr rausholt und dabei schneller ist und weniger Geduldsprobe?
Niemand hat bisher was gefunden, was solche Systeme zerstört, aber es gibt Ansätze. Leverkusen kann immerhin für mehr Action sorgen und häufiger in den Druck spielen, weil sie über ihre Kompaktheit so gut abgesichert sind. (Mehr demnächst in der Academy: )spielverlagerung.de/2024/02/21/sv-…
Extreme Überladungssysteme scheinen ebenfalls auf dem Vormarsch, wo vermehrt eine Angriffsseite fixiert wird, statt dauernd zu verlagern. Spielte Nagelsmann letzte Saison gegen Union, Klopp mal in der CL gegen Villarreal, auch Pep experimentiert damit.
Fazit: Das ist eine ziemlich schwierige Situation und ich hoffe, diese Ausführungen helfen ein bisschen, diverse Leistungen und Leistungsschwankungen einzuordnen.
Die große Gretchenfrage des Fußballs der kommenden Jahre: Wie spielen wir am besten gegen den geparkten Bus?
Eine wichtige Erkenntnis hier ist, denk ich: Das ist kein Problem, dass sich "technisch" lösen lässt. Du kannst nicht hingehen und sagen "noch mehr das, noch mehr dies". Es geht um die Balance, um das richtige Maß und um kreative Lösungen. Alles Dinge, die nicht erzwingbar sind.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Spiel auch ALS SPIEL begreifen. Nicht als Bauprojekt. Nicht als: du machst X, dann kriegst du immer Y raus.
Sondern als dynamischen Wettbewerb, wo beide versuchen zu gewinnen und du JEDES MAL NEU herausfinden musst, wie das am besten geht.
Moment, das ist ja die perfekte Überleitung zu meinem Podcast. Hört meinen Podcast an: Spielgeist.space
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I think this debate can be broken down to some very clear and practical question: when the opponent shifts towards the ball, do we try to play through them on their strong side or do we try to switch and play through them on their weak side?
When I am this player and the ball is on the far side, I am not directly involved in the play, so I can do two things: Prepare for the moment where the ball comes to my side or move towards the ball to help there.
Positional play is so good partially because players intuitively do, kind of, neither: They run towards the ball, but too late, too slow, and end up reducing space there while still missing on the other side. A good solution is to tell them: stay away, the ball will find you.
Hajduk Split reaches the finals of the UEFA Youth League with an impressive 3-1 win over AC Milan after beating Manchester City and Borussia Dortmund too. First of all congratulations to my former club and the U-19 team and coaching staff!
I worked 3 years for Hajduk as... [1/x]
...the first assistant coach of the U-19/U-21 with @MarioDespotovic and as the Academy's Head of Tactical Planning and Analysis. Some thoughts and insights about what made this success possible:
What I found remarkable when I came to Croatia was a very special football culture which is visible from street football throughout all teams on any level. This also is, in my opinion, a big explanation for their recent success in the World Cups. I'd outline it like that:
The core of football tactics and its evolution is to give all players a function. The great ideas of football are all about involving the whole team in one concept. That even applies to man-marking and Catenaccio. More obviously to "total football", positional play and pressing.
Teams that are (tactically) bad, who are not coached, usually have the problem of often having several players in positions where they can't do anything and have no effect on the game. You effectively play a temporary 9v11, 8v11, not an 11v11.
The idea behind modern tactics is often to force the opponent into having players with no function. Shifting and isolating in defense to "de-activate" the far-side opponents. Switching sides to activate them again. Pinning 2-3 defenders with 1 striker.
Goal analysis of Napoli's 1:1 in the 1:6-win over Ajax: What looks like a simple cross in the end, was a result of good compactness and good pressing, two crucial possession mistakes from Ajax, a great 3v3-solution and a fantastic showcase from left-back Mathías Olivera.
Starts from a throw-in where Ajax seems to lack an idea of how to solve it. Two simple back-passes that Napoli uses to cut them from the far side. Winger pushs forward onto the center-back, a typical move in the 4-3-3 that Ajax also uses frequently.
Surprisingly for Ajax, they don't look for the obvious solution to bring it to the left-back who is wide open now.
Probably a mistake from the keeper. Not sure if there might be good reason to not play that pass, like keeping it on the compact side for defensive reasons.
I'll start my goal analyses with the deciding goal from Real Madrid in the CL finals against Liverpool. Great attack from them, especially by Modric and Carvajal who got an advantage back after losing it.
Starting point was a throw-in. Good solution from Real to switch to the far side. Perhaps Liverpool could have stopped it here already with perfect defending. Position from Diaz questionable, could have had access to the square pass without taking a risk.
Also there is noone to press the thrower, but difficult to say if that's worth it when the throw-in isn't close to your own goal.
Henderson not able to disturb the back-pass with body contact, but that's because Kroos created some space for himself with a neat double movement.
Was noch mal unterstreicht, was ich schon seit paar Saisons sage: Die Bundesliga ist mittlerweile eine "Trainerhölle", weil das Niveau der Trainer so hoch, die Konkurrenz so gut ist. Extrem schwer für jeden. Das führt zu unrealistischen Erwartungshaltungen.
Die Top 3 der Premier League waren vorher in der Bundesliga. Und selbst Klopp und Tuchel hatten schwächere Saisons in Deutschland. Glasner gewinnt die EL, wird in der Bundesliga nur Elfter. Hütter, Kohfeldt, Marsch, Favre, etc, da scheitert ne Menge Qualität.
Um in der Bundesliga als Trainer überzuperformen, musst du nicht mehr nur gut sein, sondern du musst besser sein als Streich, Nagelsmann, Rose, Baumgart, etc. Und dann brauchste optimalerweise noch eine Mannschaft und ein Umfeld, was ne gute Synergie erzeugt.