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Apr 4 21 tweets 4 min read Read on X
Ich nehme diesen Tweet mal zum Anlass für einen längeren 🧵 zu meinen Erfahrungen gerade aus dem beruflichen Umfeld (Jugendhilfe). Ich kann dieses Negieren+lächerlich machen von negativen Auswirkungen aus einer doch sehr privilegierten Position heraus, die sich in den Kommentaren
finden, so nicht stehen lassen:
Beruflicher Kontext (stationäre Jugendhilfe §35a):
Keiner unserer Bewohner hat es wieder an eine normale Schule zurück geschafft. War es vorher schon schwer, war es danach unmöglich. Auch Alternativen (Maßnahmen, Rehas, Therapien) gab es lange
nicht bzw. wurde kaum jemand neu darin aufgenommen. Die KJP verwaltete Elend 3Jahre lang, weil mit all den wechselnden Bestimmungen keine Planung möglich war. Unsere Bewohner kamen nur im Akutfall dort hinein und mussten dann in Isolation 10Tage, teilweise 14Tage in Quarantäne
verbringen. Keine Therapie, kaum Beschäftigung, kaum Kontakt... Sie wurden instabiler entlassen als eingeliefert.
Insgesamt entwickelte sich über die Coronajahre eine Art sinnloses Absitzen von Zeit und Warten darauf, dass es irgendwann wieder normal ist. Und das in einem Alter
in dem man eigentlich in seine Zukunft starten müsste. Depressivität, Ängste, Zwänge, ungutes Bewältigungsstrategien, keine Kontakte zu "normalen" Jugendlichen, eine weitere Verengung der Aktionsräume, Erfahrungsarmut, Selbstwertprobleme ... waren unmittelbare Folgen.
Hinzukamen Jugendämter die im Home-Office verschwanden, ausgefallene Hilfepläne, nicht Erreichbarkeit, auch das verstärkte die Ziellosigkeit und das Verlassen fühlen bei den Jugendlichen.
Noch ein Aspekt der Kontaktarmut ist mangelnder Körperkontakt. Meine gebrieften Kollegen
umarmten nicht mehr, standen nur mit Maske vor den Jugendlichen, immer mit Abstand. Es ist grausam, wenn man sich vorstellt, dass es sich hier um Jugendliche handelt, die im Leben sowieso zuwenig Zuwendung erhalten haben.
Zu Beginn wurden sogar Heimfahrten gestrichen.
Aktuell bekommen wir die Nachwirkungen dieser Zeit als Fälle ins Haus. Ein 17jähriger mit 140kg, der seit dem 1. Lockdown nur Zuhause saß und nun keinen Schritt mehr alleine vor die Tür setzt. Jugendliche mit Schizophrenie, die 2 Jahre unbehandelt und ungesehen blieb. Ängste wo
man hinschaut. Überangepasstheit, Erfahrungsarmut, soziale Phobien... Eltern, die die Welt nicht mehr verstehen und darauf mit Ignoranz und Vermeidung reagieren. Die Psychiatrie hat sich ebenfalls nicht wieder erholt. Weiterhin ist ein geplanter Aufenthalt zur Therapie nicht
zu bekommen, weil die Akutfälle bereits alle Plätze belegen. Wir haben eine 17jährige, für die seit November ein Beschluss vorliegt, aber es gibt keinen Platz. Sie ist weiter dauerabgängig, konsumiert und bewältigt ihre Probleme mit dem Schaffen weiterer Probleme.
Auch in Team
ist seit bestimmt 3 Jahren die Luft raus. Kein Engagement über das Nötigste hinaus, viele AUs, irgendwie wenig Gefühl und viel Dienst nach Vorschrift. Das war vor Corona definitiv anders.
Wir haben Anfragen ohne Ende, könnten aus dem Stehgreif eine neue Einrichtung komplett
belegen und das obwohl wir deutlich teurer sind als normale Einrichtungen. Die Jugendämter ersticken in Fällen, die kaum greifbar sind, die in den letzten Jahren durchs Netz rutschten und nun kaum mehr integrierbar sind. Es geht hier nicht nur um geschlossene Schulen, sondern
auch darum, dass die Menschen durch den Corona-Angst-Hype keinen Blick mehr hatten für all die anderen Sorgen. Dieser Fokus verhinderte das Sehen und das Reagieren. Es gab keine Probleme in der Wahrnehmung mehr außerhalb dieses Hypes. Und wer immer sie nannte, wurde abgestraft.
Und genau in diese Richtung gehen all die Kommentare, die noch heute den Menschen absprechen wollen, dass diese Politik auch (wenn nicht sogar hauptsächlich) Schaden angerichtet hat. Für jemanden in einer stabilen, gut situierten Lebenslage mit tragfähigen Sozialkontakten
war es sicher möglich diese Zeit einigermaßen OK zu überstehen, aber das ist nicht die Normalität sondern es ist privilegiert. Es gilt schon nicht mehr für den Studenten, der gerade sei. Studium begonnen hat und in der neuen Stadt noch keinen festen Freundeskreis hat. Es gilt
nicht für psychisch angeschlagene Menschen, denen das komplette Netzwerk wegbrach (Tagesstruktur, Kliniken, Selbsthilfevereine, Therapie, Hobbies) und auch nicht für Jugendliche, die altersgemäß eigentlich nach außen expandieren müssten, für den nächsten Entwicklungsschritt.
Noch kurz zu "meinem Schaden":
Ich habe mich gegen die Impfung entschieden und musste so Monate lang um meinen Job bangen. Ich war allein mit meiner Entscheidung und emotional empfinde ich es weiterhin als sehr kränkend, dass nun diese med.Behandlung über meine Eignung für diese
schwierige Arbeit entscheiden sollte. Ich wurde beäugt und heute habe ich manchmal das Gefühl, dass man sauer auf mich ist, weil ich damit durchgekommen bin. Man nimmt es mir übel, dass man selbst sich hat impfen lassen, mit ungutem Gefühl und ich es nicht getan habe. Es wirkt
als wolle man Konsequenzen für mich, denn sonst war alles sinnlos. Doch dafür kann ich nichts. Die 2G Zeit war ebenfalls eine tiefe Kränkung für mich. Ich lebe nicht außerhalb der Gesellschaft, ich bin kein Querulant und doch musste ich so leben. Hinzu kam, dass es kein
Verständnis gab. Im Gegenteil. Und all das zu einer Zeit, in der man problemlos akzeptiert, dass Kränkung durch "Micro-Aggressionen" und falsche Pronomenwahl entstehen und verstanden werden. Was habe ich dann erlebt? Makroaggressionen? Empathie ist keine Einbahnstraße und sollte
nie nach Listen funktionieren. Es kann nicht sein, dass man definiert, wer Empathie verdient und wer nicht. Doch genauso lief es ab. Ich war raus, raus aus allem und ringe dennoch darum Teil von etwas zu sein. Ende.

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