War heute beim Prozessauftakt gegen einen reichsbürgeresken Telegram-Kanalbetreiber, dessen Treiben und diverse Eras ich dort seit vier Jahren verfolge. So viel Besessenheit kann man von niemandem verlangen, klar.
Aber ich fand’s trotzdem bitter, dass sich alle drei Richter erstmal von einem Zeugen die absoluten Basics und Mechanismen von Telegram allgemein und Schwurbelgram im besonderen erklären lassen mussten.
Obwohl ich gewappnet war, war es doch krass zu erleben, wie der Angeklagte fast fünf Stunden lang Richter, Staatsanwältin und seinen eigenen Pflichtverteidiger auf das Wüsteste durchbeleidigte.
Noch krasser aber: seine Anhänger:innen in den Publikumsbänken zu sehen, deren hasserfüllte, menschlich komplett enthemmte Beiträge ich seit Jahren lesen. Sie sofort zu erkennen. Und wirklich geschockt zu sein von ihrer oberflächlichen scheißnormalen Biederheit.
Und auch richtig schlimm: Wie viele Menschen durch die Droh-Anrufe von Schwurbler und Gefolgschaft, in denen er Hinrichtungen ankündigte, so traumatisiert sind, dass sie immer noch darunter leiden. Vieles in deren Welt klingt so absurd, dass auch ich schon darüber gelacht habe.
Aber diese Leute und die Konsequenzen ihrer Taten sind derart auf Zerstörung aus. Und vielleicht erkennt man das am drastischsten bei den so genannten kleinen Fischen.
(Vielleicht schreibe ich noch was ausführlicheres irgendwo, muss mich jetzt erstmal sortieren)
(Da sitzen einfach mittelalte Frauen, die sich in den Pausen literally über Erdbeerkuchenrezepte unterhalten, und dann seelenruhig 44 Seiten Anklageschrift anhören, in denen ihr Guru eine Exekution nach der anderen herbeifantasiert.)
Weil ich gefragt wurde, ob ich mit den Schwurbelanhängern gesprochen habe: Nein. Wo soll ein Gespräch mit jemandem anfangen, der wie sein Sektenführer hofft, dass alles juristische (und journalistische) Personal möglichst bald von “den Militärs” exekutiert wird?
Ein Mann, den ich von Fotos zweifelsfrei als vertretungsweisen Mit-Kanalbetreiber erkannte, fragte mich, für welches Medium ich schreibe. Da in diesem Kanal stets von “zionistischer Teufelspresse” die Rede ist, sagte ich: Satan Aktuell.
Woraufhin er plötzlich behauptete, er habe mit der ganzen Sache und diesen Leuten ja nichts zu tun. Für soziologische Gruppen- und Machtdynamik-Studien sind sie echt Gold.
Ich war heute mal wieder im Gericht bei der Fortsetzung des Schwurblerprozesses. Jede/r braucht ein Hobby!
Die Verhandlung war leider recht kurz, weil zwei Zeugen abgesagt hatten, aber dafür bekam ich direkte Ansprache vom Angeklagten. Er hat verlässliche Infos, dass in zwei Tagen „das Militär kommt“, und die Verhandlung dient nur dazu, dass die Soldaten sehen….
… welche Presseleute sie erschießen müssen, weil die so verkommen sind, untätig dabei zuzuschauen, wie er in Handschellen vorgeführt wird, obwohl er ja komplett unschuldig ist.
Finde ich frech, denn ich war gar nicht untätig. Ich habe die ca 20 erratischen Follower aus seinem Telegram-Kanal belauscht, die wieder treulich von sonstwoher angereist waren und die der Richter nur noch als „Fanclub“ bezeichnet.
„Der Mensch lernt nur durch Schmerzen“, sagte zb eine Frau, was ulkig klang, weil sie dabei ein rosa Minikleid mit feistem Calvin-Klein-Logo trug.
Dann sagte sie noch, wenn sie - die Richter, Staatsanwältinnen etc - wüssten, wer er - der Angeklagte - in Wahrheit sei, würden sie „kriechen vor ihm“. Sie meint trotz der Wortwahl vermutlich nicht: ein Echsenfürst, sondern, mein Tipp: der liebe Heiland.
Aufruhr fuhr in den Fanclub, als einer der Aufpasser-Polizisten versehentlich das Saallicht ausknipste. „Das stand in der Gematria!“, rief der Eventuell-Jesus. Die Gematria ist ein Zahlenorakel-Spielzeug, durch das Gott direkt mit ihm und seinen Fans spricht, man kennt‘s.
Naja, jedenfalls endet die satanische Herrschaft jetzt, oder halt demnächst, wollte ich euch nur ausrichten.
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Seit gestern Abend werde ich auf diversen Social-Media-Seiten als Quasi-Nazi und "AfD-Nutte" beschimpft, weil ich für @SPIEGELONLINE eine TV-Kritik über eine Influencer-Award-Verleihung geschrieben habe. Und eine dort auftretende Komikerin nicht komisch fand.
Der Vorgang ist inzwischen nicht mehr nur kurios, sondern angesprochen unangenehm, und vielleicht ja interessant, was den sich immer schneller und beängstigenderen Wahnsinn von Social Media angeht (als bräuchte es dafür noch Beispiele, ich weiß). Also einmal von vorn:
Am Donnerstag sendet ProSieben eine Aufzeichnung des About-you-Awards, eines von einem Onlineshop ausgelobten Preises für Influencer. Comedian @enissaamani hielt als Jurymitglied und Laudatorin eine bemerkenswert ichbezogene Rede, über die ich das hier schrieb.