THREAD: Weil diese Wahlrechtsreform "viel" ist, nochmal ein paar Sätze/Tweets dazu. 1) Wir haben ein Verhältniswahlsystem, dh eine Partei bekommt prozentual so viele Sitze, wie ihr gemäß Zweitstimme zustehen.
2) Ausnahme: Parteien, die nicht 5% der Zweitstimmen bekommen, nehmen an der Sitzverteilung nicht teil. 3) "Gegenausnahme" früher - tolles Wort - über die sog. "Grundmandatsklausel": Eine Partei tut das doch, wenn sie in mind. drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen holt.
4) "Personalisiertes" Verhältniswahlrecht. Unser Verhältniswahlsystem ist personalisiert. Es gibt 299 Wahlkreise u bei der Frage, wer für die Parteien im Bundestag sitzt, genießen Kandidat:innen der Parteien, die in Wahlkreisen auf Platz 1 liegen, Vorrang.
5) Überhangmandate: Dieser Vorrang geht im alten Wahlrecht soweit, dass Wahlkreisbeste in jedem Fall in den Bundestag einziehen, selbst wenn das dazu führt, dass eine Partei MEHR Abgeordnete hat, als ihr eigentlich zustehen.
6) Da wir in einem Bundesstaat leben (u zB die CSU nur in Bayern antritt), greift diese Regel auf der Ebene von Bundesländern. Bedeutet: Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr dort gemäß Zweitstimmenanteil zustehen, entstehen dort Überhangmandate.
7) Ausgleichsmandate: Weil Überhangmandate das Prinzip des Verhältniswahlsystems verletzen, wurden Ausgleichsmandate eingeführt (auch wg neg STimmgewicht, aber lassen wir das). Heißt: Wenn Überhangmandate entstehen, ...
... bekommen andere Parteien Ausgleichsmandate, so dass am Ende gilt: Anteil Sitze im Parlament entspricht trotz Überhangmandaten bei manchen Parteien - dem Zweitstimmenanteil für alle Parteien (Ausnahme: 5%/GM-Klausel). "XXL-Bundestag" kann die Folge sein.
8) Zielkonflikte: Verschiedene per se sinnvolle Ziele stehen im Raum u potenziell in Konflikt zueinander. Repräsentanz von Wahlkreisen über Wahlkreisbeste bei Erststimmen, Verhältnis Sitze zu Zweitstimmen, fixe Größe des Bundestags. Man kann nicht alles haben.
9) Ampel-Wahlrecht/Zweitstimmendeckung: Hier setzt das Wahlrecht, das Ampel verabschiedet hat, andere Prioritäten: Während bisher galt: Wahlkreissieger sind garantiert im Parlament (ggf. mit Folge: XXL-Bundestag), schafft das neue Wahlrecht diese Garantie ab.
Es kommen nur noch so viele Wahlkreisbeste in den Bundestag, wie einer Partei gemäß Zweitstimmenanteil (in Bundesländern) zustehen. Sog. Prinzip der "Zweitstimmendeckung". Dagegen hatte v.a. CSU geklagt, aber das ist verfassungskonform, sagt BVerfG.
10) Ampel-Wahlrecht/Grundmandatsklausel: Weil damit die Wahlkreise in ihrer Bedeutung abgeschwächt werden, hatte die Ampel auf der Zielgeraden der Reform noch an anderen Stellen Wahlkreise relativiert/getilgt. So wurde leider der Plan, die Stimmen in Wahlkreis- u Parteistimme...
umzubenennen (statt Erst- u Zweitstimme), rückgängig gemacht. Wichtiger: Auch die Grundmandatsklausel, die den Einzug in den BT trotz Verfehlen der 5% Zweistimmen ermöglicht, wenn 3 Wahlkreise gewonnen werden, wurde gestrichen.
Über den Weg war aber die Linke 2021 in den Bundestag gekommen (4,9% Zweistimmen, aber 3 Wahlkreise) Außerdem war diese GM-Klausel für die CSU eine Rückversicherung für den Einzug in den BT. CSU 2021 5,2% Zweitstimmen , wenn man ihr Bayern-Ergebnis auf Bund umrechnet - knapp!
Dagegen haben daher CSU/bayrische Staatsregierung u Linke geklagt. Urteil sagt: 5% Klausel ist verfassungskonform (um Zersplitterung zu vermeiden), auch Abschaffung der GM-Klausel kann man machen, aber komplette Abschaffung ist zu hartes Mittel, gerade mit Blick auf CDU u CSU.
Daher wird die Klage der Linken zurückgewiesen, Klage von Bayern/CSU/Union aber recht gegeben hier. Man müsse anerkennen, dass CSU u CDU nicht in Konkurrenz stehen, gemeinsame Ziele haben Fraktionsgemeinschaft bilden im BT. Daher muss man ihren Stimmenanteil zusammen betrachten.
Bis das gesetzlich abgebildet ist (oder auch anderer Weg gefunden wird dafür, zB Absenkung Sperrklausel insgesamt o.ä.), gilt die alte Grundmandatsklausel mit den drei gewonnenen Wahlkreisen wieder.
Wenn BTag nichts anderes mehr beschließt (was möglich wäre), gilt für nächste BTW also:
- BT garantiert 630 Abgeordnete
- kein Überhang, kein Ausgleich mehr
- dafür aber Prinzip der Zweitstimmendeckung - keine Garantie mehr, dass alle Wahlkreisbeste in den BT einziehen.
- 5%-Sperrklausel
- Gegenausnahme 3x erster Platz in Wahlkreisen führt auch zum Einzug in Bundestag gemäß Zweitstimmenanteil
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
In der Debatte um die Zweitstimmendeckung u "verwaiste" Wahlkreise gehen immer zwei Sachen durcheinander - Perspektive Parlament vs. Perspektive Wahlkreis. 1) Parlament - These ist, Machtstrukturen dort werden sich ändern, weil weniger unabhängige WK-MdBs, die unabhängiger sind
mehr Macht für Fraktions- u Parteiführungen, weil dort über Listenplätze etc entschieden wird. Das ist falsch, der Anteil direkt gewählter MdBs im Bundestag wird prozentual steigen, weil die ganzen Ausgleichsmandate (die alle über Liste kommen) wegfallen.
2) Bürger:innen (u auch anderen Institutionen/Organisationen) in "verwaisten Wahlkreisen" werden Ansprechpersonen fehlen. Das stimmt grundsätzlich. Letztlich aber eine empirische Frage. Wie viele Wahlkreise werden das sein überhaupt? Kann man angsichts Dynamik kaum vorhersagen.
Ich wollte mal wieder 2-3 Sätze zu den neuesten Umfragen schreiben, die Ende vergangener Woche erschienen sind. Da sind mE ein paar Take Aways drin.
1) Die AfD geht deutlich zurück. Im ARD DTrend -3, im ZDF Politbarometer auch. In der politischen Stimmung dort sogar -5.
2) Stimmung = ungewichtete Rohdaten, also sehr nah dran an dem, was die Menschen sagen. Von 18 auf 13, das ist schon ein massiver Einbruch für die AfD.
3) Woran liegts? Schwer zu sagen... Die Demos? Tragen sicherlich dazu bei. Aber natürlich auch BSW, die in der ARD bei 5, ZDF sogar bei 6 Prozent gesehen werden. Monokausal mal wieder zu einfach hier.
Morgen will der Berliner Senat eine Absenkung des Wahlalters für @AGH_Berlin beschließen. Mit @a_leininger und @OBSFrankfurt haben wir dazu eine Studie gemacht u sagen: Gut so! Denn die jetzige Situation mit Wahlalter 16 bei BVV u Wahlalter 18 bei AGH schafft nur Verwirrung.
Junge Menschen, gerade aus politikfernen Schichten, wissen häufig gar nicht, ob/wo sie wahlberechtigt sind...
(Ganze Studie hier:
) otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user…
Ob wir das gut oder schlecht finden, ist die eine Sache. Gerade in einer Demokratie ist es wichtig, wie Bürger:innen zu den Spielregeln des Systems stehen. Zur Wiederholungswahl im Feb 23 haben wir rund 8500 repräsentativ ausgewählte Berliner:innen gefragt...
Samstag Abend, Zeit für Thread zum jüngsten Politbarometer. Aufhänger im ZDF ( ) war das hier:
- und das ist schon mal in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert: 1) ZDF hat ZDF Politbarometer exklusiv! 2) Die Deutschen nehmen die Ampel als zerstritten wahr (wow!) zdf.de/nachrichten/po…
16% finden Verhältnis der Ampel-Parteien zueinander "gut" (was sind das bitte für Leute???), 74% schlecht. Interessant aber: 40% finden die Arbeit der Ampel gut. 54% schlecht.
Das ist schon spannender. Wer sind die Leute, die die Ampel als zerstritten wahrnehmen, aber ihr trotzdem gute Arbeit bescheinigen. Erfahren wir leider nicht.
Da auch ich schauen muss, wo ich bleibe, und diese AfD-Umfrage so gut klicken, habe ich noch eins für Euch... Das hier sind alle FGW-Politbarometer seit Oktober letzten Jahres, oben Projektion, unten Stimmung, jeweils mit Trendlinie. Was sehen wir?
Ein minimaler Anstieg in 8 Monaten (und deutlichen Schwankungen nach oben u unten in diesen 8 Monaten). Achtung, jetzt nehmen wir mal die letzten Werte weg... Ergebnis: Absolut flache Trendlinien. Absolut KEIN Anstieg der AfD, weder in Stimmung noch in Projektion.
Bei Infratest dimap sieht das so aus. 8 Monate, zwei Punkte Anstieg.
Wenn wir die Methodik mal für einen Moment akzeptieren (was 1) wg Rückerinnerung generell u 2) speziell bei AfD wg soz. (Un-)Erwünschheit schwierig ist), dann reden wir hier über ZUWANDERER zur AfD (was per se ganz lustig klingt in einem Satz)... aber lassen wir das mal:
2021 hatte die AfD 10,3%, aktuell steht sie bei Forsa bei 17%. Die Grafik bezieht sich also auf 6,7 Prozentpunkte. Das meiste davon ist absolut diffus (Nichtwähler, sonstige Parteien). Dann kommt als Partei die Union, dann kommen die SPD u FDP gleich auf, aber relativ gesehen ...
ein riesiger Unterschied. Von den Grünen praktisch nix. Anders formuliert u etwas vereinfacht, aber nur mal so:
Von den 17%
- über 10%-P stabil AfD
- 2%-P von Nichtwählern
- 1,6%-P von Union
- 1%-P von FDP
- 1%-P von SPD
- 0,2%-P von Grün
Von Hufeisen hier bei Forsa keine Spur.