Ostdeutsche Seele zwischen Trauma und Selbstbetrug
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Die heutige Bundesrepublik wurde 1990 gegründet und beherbergte eine Diktatur bis 1989. Es ist eine sehr junge Demokratie, keine 40 Jahre alt.
Die innerdeutsche Grenze bestand ähnlich lange wie der jüngst gemeinsam zurückgelegte Weg.
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Die Trennung in zwei deutsche Staaten war Folge des von Deutschland angezettelten und brutalen 2. Weltkrieges, welcher weltweit viele Millionen Tote forderte, ganze Landstriche zerstörte und die Weltordnung nachhaltig prägte. 2/
Das von den Alliierten besetzte Gebiet teilte Deutschland bald in zwei Staaten, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Im Westen griff ab 1948 der Marshall-Plan der USA, der Europa seine Wirtschaftskraft zurückgeben sollte.
Die Bundesrepublik zahlte übrigens etwas über zwei Drittel seines Anteils später zurück.
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Im von den Sowjets besetzten Osten jedoch herrsche die Rote Armee mit äusserster Brutalität: Plünderungen, die in der Folge zum massenhaften Hunger und Erfrierungen sowie Ausbluten auch der letzten industriellen Ressourcen führten; Erschiessungen;
Brandschatzung, Vertreibung und Deportationen nicht nur von männlichen Wehrmachtsangehörigen, sondern wahllos auch von Zivilisten, Frauen und sogar Kindern in sibirische Arbeitslager und Folter. 5/
Ein besonders schmerzhaftes Kapitel: Die Rote Armee ist verantwortlich für millionenfache Vergewaltigung von deutschen Frauen und Mädchen, in deren Folge etwa 10-12% der Opfer verstarb. Es gab eine Aussetzung der Strafe wegen Abtreibung (Par. 218) in dieser Zeit, um Frauen nicht zum Austragen der durch die Vergewaltigung entstandenen Kinder zu zwingen.
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Selbstverständlich war das Sprechen über diese Verbrechen oder gar Anzeigen der Straftäter unmöglich - Befreier sind niemals Täter!
Aber warum verarbeiteten die anderen Völker des späteren Ostblocks diese Verbrechen anders als die Opfer in Ostdeutschland? 7/
Der Unterschied: Die Deutschen waren das Tätervolk, die Kriegsverbrechen der Sowjets empfanden sie als gerechte Strafe und nicht als Unrecht. Die Übergriffe der Soldaten standen formell zwar unter Strafe, wurden aber nur selten verfolgt. Erst 1947 begann man langsam damit, die sowjetischen Soldaten räumlich von der deutschen Zivilgesellschaft zu trennen, was bis zum vollständigen Abzug der Soldaten so blieb.
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Aus den Verboten, das Erlebte auszusprechen und dem selbstauferlegten Sprechverbot aus Scham entstand ein „doppeltes Schweigen“. Das Fehlen jeder kollektiven Verarbeitung solcher Katastrophen führt zu sog. transgenerationalen Traumata, also seelischen Schäden, die an die nächsten Generationen „vererbt“ werden können.
Die Weitergabe erfolgt unbewusst und ungewollt, z.B. durch ungewöhnliche Verhaltensweisen gegenüber den Kindern in bestimmten Situationen, eigene Angstreaktionen oder auch Vermeidungsstrategien.
Das Fatale: Die Folgegeneration kann die Ursache ihrer Traumatisierung nicht nachvollziehen bzw. nur dann, wenn es gelingt, die Eltern zu konfrontieren - und sie geben sie weiter.
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Die letzte Kriegsgeneration in Ostdeutschland konnte das Trauma des Krieges ebensowenig verarbeiten wie das Trauma der ersten Besatzungsjahre. Als 1953 ein erstes Aufbegehren gegen die Macht der Sowjetunion und deren Vasallen in der Regierung der frisch gegründeten DDR blutig niedergeschlagen wurde, wirkte das als starker Reminder an das Schweige-Gebot und das Verbot jedes In-Frage-Stellens.
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Nach diesem weiteren traumatischen Ereignis wurde in der DDR einer der schlimmsten Geheimdienste der Welt aufgebaut - nach innen. Die StaSi war 1950 gegründet worden, erhielt nun aber weitreichende Befugnisse und Mittel, um die eigene Bevölkerung überwachen zu können.
Ende der 80er Jahre bezahlte die StaSi an 91.000 Mitarbeiter Gehalt, aber weitere 0,6 bis 1.2% der Bevölkerung waren Informelle Mitarbeiter, d.h.
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sie übermittelten Daten und Berichte von Freunden, Bekannten, Verwandten, Mitarbeitern, Kollegen, Mitschülern, Ehepartnern an die StaSi. Die meisten von ihnen aus Überzeugung, nicht gegen Geld.
Infolgedessen entstand im Land ein Klima der Unsicherheit, des Misstrauens, der Angst vor Denunziation. Und es gab
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Selbstzensur. Worte, Thesen, Ansichten, die staatlich unerwünscht oder gar verboten waren, kamen nicht mehr vor bzw. wurden auch gedanklich umgeschrieben.
Begriffe, die aus dem westdeutschen oder amerikanischen Sprachraum kamen, ersetzte man, manche durch Übertragungen aus dem Russischen.
Auf diese Weise veränderte sich die Sprache erheblich, was wiederum Denken und Weltbild der Bürger veränderte und das Verhältnis zur eigenen Sprache entfremdete.
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Die sowjetische Besatzung wandelte sich nach der Gründung der DDR 1949 und mit fast zeitgleicher Einsetzung verschärfter Gesetze gegen Verbrechen an der deutschen Bevölkerung hin zu einer alltäglichen Präsenz von Symbolen und Begriffen bzw. schleichenden Russifizierung. 15/
Neben der DDR-Flagge war meist auch die sowjetische zu sehen; alle Kinder mussten Russisch als erste Fremdsprache lernen; russische Kultur und Musik war selbstverständlicher Teil in Medien, Aufführungen, Schule und Beruf. Dabei wurden nicht die sehr unterschiedlichen Ethnien im Vielvölkerstaat Sowjetunion betont, sondern stets die russische.
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Das Narrativ: Es gibt zwei deutsche Staaten. Der westliche ist der faschistische und imperialistische Staat, geprägt von der USA, die ihre Waffen auf uns richten und die Sowjetunion mit Vernichtung bedrohen, weil sie erkannt haben, dass wir im Ostblock eine bessere Antwort auf die grossen Fragen der Menschheit haben: den Sozialismus.
Die NATO unter Führung der USA war der Feind. Deutschland als Begriff meinte stets: die anderen (nicht wir).
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Bereits ab dem Kindergarten wurde diese Weltanschauung geprägt. Die trennende Mauer durfte z.B. nur „antifaschistischer Schutzwall“ genannt werden: Bollwerk gegen die Faschisten im anderen Deutschland, damit in der DDR keine Aufarbeitung der Nazi-Ära stattfinden musste. Die Menschen wurden statt dessen vom „grossen Bruder“ Sowjetunion in gönnerhafter Geste zum „Neuen Menschen“ oder „Menschen neuen Typus“ umgestaltet - eine Doktrin, die auch der Nationalsozialismus vertrat!
Der vergewaltigte, ausgeplünderte, deportierte, verhasste, gedemütigte, gefolterte und damit zurecht bestrafte deutsche Täter hatte die gnädige Erlaubnis erhalten, sich zum kleinen Bruder der grossartigsten Rasse der Welt umformen zu lassen: Russen. 19/
Wenn wir nun die nicht aufgearbeiteten Kriegserfahrungen selbst, die zugefügten Traumata der Besatzungszeit, die starken Belastungen durch Repressalien, Sprechverbote, Zensur und Selbstzensur, unausgesetzter Desinformation und russischer Propaganda, Hetze, soziale Verwerfungen durch Denunziation und Bespitzelung,
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Geschichtsverdrehungen und Bildungseinschränkungen sowie Normalisierung der Lüge und des Gefühls der Auslieferung als transgenerationale, sich überlagernde und verstärkende Traumata verstehen, die durch Russifizierung der Gesellschaft einen Ausweg ins vermeintlich Positive mit Chance auf Selbstentschuldigung erhielten,
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dann wird die Nähe ostdeutscher Bürger zu Russland womöglich klarer.
Aber auch der Selbstbetrug, sich als Volk der Revolutionäre zu verklären - denn 80% der Ostdeutschen sind diesen inneren Weg nie gegangen. Sie waren Mitläufer und sind es geblieben - Mitläufer der DDR.
Und da deshalb bis heute kaum ein Unterschied gemacht wird zwischen Sowjetunion, Russland, der Russischen Föderation und den Staaten, die sich befreien konnten, erklärt sich vielleicht auch,
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warum die Hilfsbereitschaft gegenüber fliehenden Ukrainern im ersten Moment in Sachsen und Thüringen überragend war, jedoch nach dem ersten Schock umschlug in Ablehnung, sobald im engen Kontakt verstanden wurde, dass diese Ukrainer sich nie mehr der Umerziehung der russischen Herrenrasse und der Rückkehr ins Reich hingeben wollen und dass sie sich als etwas gänzlich anderes sehen denn als in Russland aufgegangene Söhne.
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Im Namen Russlands straft der deutsche Osten die Ukraine mit Hass, weil 40 Jahre sowjetische Herrschaft nicht einfach verschwinden können.
Statt die Verbundenheit der 89er Revolution mit dem Euromaidan zu fühlen, zieht es das alte Tätervolk in den Schoss des verzeihenden Mutter Russland. Nationalsozialismus und Stalinismus - wiedervereint.
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Wenn wir unsere Diktaturen nicht aufarbeiten, werden wir keine deutsche Einheit herstellen können.
Deutschland - wie es heute ist - wurde 1990 gegründet. Bis 1989 lebte 1/4 unserer Menschen unter einer brutalen Diktatur. Die Deutschen im Westen haben ihre Diktaturerfahrung nach 80 Jahren noch immer nicht vollständig verarbeitet, aber sie sind dem Osten einen Schritt voraus.
Lasst uns in Klausur gehen.
Gemeinsam!
Wir sind jetzt EIN VOLK!
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Die Armee der Ukraine hat genau wie die ganze ukrainische Gesellschaft das sowjetische Erbe zu tragen.
Bis heute.
ABER: Sie WOLLEN das nicht mehr! Schon seit vielen Jahren. Besonders deutlich wurde das ab 2014, weil die Ukraine AUS DEM VOLK HERAUS begann, sich zu verändern und nach echter Demokratie ohne Korruption und ohne Oligarchen zu streben:
Revolution der Würde.
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Damit kamen sie zu uns, dem freien Westen, und baten immer wieder um Unterstützung.
Wir haben das nicht begriffen, weil in Deutschland dieser Prozess „von unten“ nie wirklich stattgefunden hat.
Oder?! 2/
Das Ende der etwas mehr als ein Jahrzehnt andauernden Nazi-Diktatur war eine Niederlage und wurde auch so verstanden, zugefügt von aussen. Der Nazionalsozialismus ist NICHT durch eine Bewegung des Volkes, also von innen, zerstört worden. 3/
👉 Vor einigen Tagen bezichtigte mich im Tagesspiegel Wolfgang Thierse "stalinistischer Attitüden". Hier ist meine Antwort - ebenfalls im Tagesspiegel:
"Herr Kowalczuk, Sie haben eine Petition zum Rücktritt von Frank-Walter Steinmeier verfasst. Hat das Bundespräsidialamt schon darauf reagiert?
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Ich habe keine Antwort auf meinen Offenen Brief erwartet. Ich hatte darin die Rede des Schriftstellers Marko Martin am 9. November im Schloss Bellevue über die Freiheitsrevolution 1989 gewürdigt. Er hatte die Rolle Polens hervorgehoben und darauf verwiesen, dass die bundesdeutsche Politik bei der Unterstützung der Freiheitsbewegung der Solidarnosc 1981/83 ebenso versagte wie bei der Unterstützung der Ukraine seit 2014.
Und er hat den Bundespräsidenten wegen seiner Russlandpolitik scharf kritisiert.
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Dass ausgerechnet in Deutschland eine nicht unerhebliche Anzahl von Politikern von der Ukraine Gebietsabtretungen fordert, also de facto eine Teilung des Landes und der ukrainischen Bevölkerung, ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten!
Als wäre es nicht so, dass wir jetzt - 35 Jahre nach dem Ende einer nur 4 Jahrzehnte andauernden Teilung - nicht immer noch mit den Folgen zu kämpfen hätten. Als eines der reichsten Länder der Welt.
Genau diese Teilung und der (kalte) Krieg an der Trennungslinie hatte Leid, Besatzung und Opfer zur Folge - im Osten. Und es waren etliche dieser zynischen Politiker, die den Prozess der Wiedervereinigung betrieben oder zumindest beobachtet haben und genau wissen sollten, was Teilung eines Landes bedeutete - für den Osten.
Die Konsequenz einer Teilung in der Ukraine wäre durchaus vergleichbar mit unserer deutschen Situation in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts: Im Westen Unterstützung, Aufschwung, Freiheit und Demokratie; im Osten Ausbluten, Verfolgung, Denunziation, Demütigung, Folter, Mord und Russifizierung.
Mein kurzes und sehr unvollständiges, noch undurchdachtes Fazit aus dem am 12.10.24 zuende gegangenen @ZukunftsforumDD in Leipzig:
„Ohne Desinformation und Diskursverschiebung in den Medien, ohne hybride Angriffe Russlands gegen die Ukraine und den Westen wäre der Krieg Russlands gegen die Ukraine ab 2014 unmöglich gewesen!“
@a_magazova
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Was Medien in Westeuropa heute erleben, geschah in ukrainischen Medien bereits seit den 90er Jahren. Falschmeldungen, lancierte Propaganda, russische Narrative und fehlgelenkte Diskurse fluteten die Presse, bereiteten den Nährboden für das, was kommen sollte. 2/
In Deutschland verstärkte sich dies seit der Pandemie. Aber auch schon vorher wurde die freie Presse angegriffen und verhöhnt: Das Wort „Lügenpresse“ verbreitete sich rasant im Zuge der (später preisgekrönten) investigativen Recherchen, die Tobias Wolf @PresseclubDD 2015/16 über Pegida und deren Führungskräfte veröffentlichte - was zu direkten Bedrohungen gegen ihn und seine Kollegen führte.
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1987 bin ich als junge Studentin in eine bereits bestehende studentische Widerstandsgruppe aufgenommen worden. Ein Kommilitone hatte mich mitgenommen, nachdem wir nächtelang diskutiert und er meine Echtheit überprüft hatte.
Es waren zu der Zeit nicht mehr als 10 Leute, die sich da wöchentlich in Kellerräumen der Uni trafen und diskutierten. Aber wir wurden stetig mehr.
Es ging um Fragen wie verlogene Medien, verlogene Professoren, verlogene Gesellschaft; wir formulierten Forderungen wie freie Lehre, Öffnen der Giftschränke (hiessen die Archive mit westlicher Fachliteratur),
freie Meinung und kritische Auseinandersetzung mit eigentlich allem. Eine der wichtigsten Forderungen war: freie Wahlen.
Und um zu demonstrieren, dass die anstehenden Wahlen unfrei waren, für uns selbst, wichtiger aber als Beweis vor jenen, die sie veranstalteten, heckten wir
⁉️Was geschieht mit 35€ pro Tag und ukrainischem KriegsFlüchtling, liebes @drksachsen ⁉️
Drama um FlüchtlingsUnterkunft in @burkhardtsdorf / Meinersdorf geht weiter:
Inzwischen sind alle vorher dort untergebrachten Familien in Wohnungen untergebracht, einige jedoch nur vorübergehend.
Neue ukrainische KriegsFlüchtlinge sind eingetroffen, die Bedingungen ihrer Unterbringung haben sich NICHT verbessert, sieht man davon ab, dass jetzt einige DoppelstockBetten statt FeldBetten aufgestellt wurden.
Es sind etliche Menschen im RentenAlter in der TurnHalle, keine Familien mit Kindern.
Foto: Freie Presse
Weiterhin besteht keine Möglichkeit, einer IntimSphäre.
Keine Kochmöglichkeit.
Kein Kühlschrank.
Es gibt nur ein einziges Waschbecken zur KörperPflege, Abwaschen von Geschirr, MorgenToilette… für mehr als 30 Personen, KriegsFlüchtlingen!
Die Ukrainer kommen offenbar überwiegend aus der ErstAufnahme in Meerane.