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Sep 24 10 tweets 3 min read Read on X
Es gehört zu den bittersten Erkenntnissen meines Studiums, dass es in den int. Beziehungen immer wieder Situationen gibt, in denen es - zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt - keine politische Lösung gibt. Kleiner 🧵zum Friedensbegriff 👇 /1
Ich kam mal in den Genuss, den großen Johan Galtung in einer Veranstaltung mit anschließenden Q&A zu hören. Wer ihn nicht kennt: Galtung gilt als einer der Gründungsväter der Friedens- und Konfliktforschung. /2
de.wikipedia.org/wiki/Johan_Gal…
Galtung hielt eine extrem spannende Vorlesung zu seiner Gewalt- und Friedenstheorie - wirklich: groundbreaking stuff. Seine Arbeiten trugen ganz wesentlich dazu bei, Frieden als mehr zu verstehen als die Abwesenheit von (militärischer) Gewalt. /3
de.wikipedia.org/wiki/Positiver…
Die Veranstaltung fand damals im zeitlichen Kontext des beginnenden Bürgerkrieges in Syrien statt. Ich fragte ihn, wie wir Friedenslösungen in Situationen finden können, in denen zentrale Konfliktakteure nicht willens oder in der Lage sind, aufrichtig zu verhandeln. /4
Eigentlich hatte ich damals in erster Linie den IS als Akteur im Sinn, der sich einfach vollkommen der westlichen Verhandlungslogik entzieht. Die Frage hat aber (aus Gründen) heute natürlich an Aktualität kaum eingebüßt. Was mich damals irritierte: /5
Galtung hatte eigentlich keine so wirkliche Antwort darauf. Er antwortete recht loopy, dass eine politische Lösung IMMER möglich sei, WENN denn alle Beteiligten daran arbeiten würden. Aber das war ja eben gerade nicht meine Frage. /6
Ich habe dann lange darüber rumgegrübelt bis mir dämmerte, dass es schlichtweg keine Antwort auf die Frage gibt. Wenn beteiligte Akteure nicht aufrichtig verhandeln wollen/können ist der politische Weg blockiert, as simple as that. /7
Wie der großartige Gerd Krell - den ich auch noch in Vorlesungen erleben durfte - einst formulierte: es gibt Grenzsituationen "in denen der Verzicht auf die Androhung oder den Einsatz von Gegengewalt nicht nur die Hinnahme, sondern sogar einen /8
fr.de/politik/friede…
weiteren Anstieg der Gewalt bedeuten kann." Zu diesen Situationen zählt er "1. ein aggressives, expansionistisches Gewaltregime, 2. chronischer Staatsterror mit einer Tendenz zum Völkermord, 3. militarisiertes Chaos."
Ganz ehrlich, ich möchte das immer wieder zitieren, /9
wenn ich mich von Friedensbewegten als Kriegstreiberin beschimpfen lassen muss. Wenn wir nicht sehen, dass bestimmte Wege blockiert sind und weiter an unseren starren Friedensideen festhalten, riskieren wir am Ende wirklich den Frieden und unsere regelbasierte Ordnung 🫳🎤 /10

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Aug 30
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Jul 10
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theins.ru/en/society/253…
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Apr 16
Ich habe meine Doktorarbeit über Friedenskongresse geschrieben. Eines der interessantesten Take-aways war für mich: diese diplomatische Praxis war eigentlich bereits aus der Mode gekommen, denn die Existenz friedenssichernder Strukturen machte sie überflüssig. Kleiner 🧵dazu /1
Mit institutionalisierten Formen der Friedenssicherung - in our times: Völkerrecht und Strukturen kollektiver Sicherheit (UN, EU..) - entstanden Regeln & Foren der Konfliktaustragung, die diese typisch (früh-)neuzeitliche politische Praxis altbacken &letztlich unnötig machten. /2
Friedenskongresse feierten aber auch historisch immer wieder gerne ein Comeback. Und zwar immer dann, wenn internationale Ordnungen (oder ihre Vorläufer) scheiterten. So z.B. der Wiener Kongress oder die Pariser Friedenskonferenz. /3
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Mar 5
Ich erinnere mich gut an das Jahr 2014. Damals war ich WiMi an einem Lehrstuhl für 🇩🇪 und 🇪🇺Außenbeziehungen. Nach der Krim-Annexion hatten wir uns die russische Sicherheitsstrategie für die nächstmögliche Kolloqiumssitzung vorgenommen. In a nutshell: wir waren entsetzt... 🧵/1
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