Thread by @Peter_Jelinek

In 15 Minuten keilt Markus Söder 26x gegen die Grünen und etliche Male gegen Robert Habeck aus. Seine Rede auf dem CSU-Parteitag ist ein Mischung aus Neid, plumpen Populismus und Falschdarstellungen - aber eben brilliant vorgetragen.

Die Rede selbst ging natürlich deutlich länger, aber ordnen wir gemeinsam die 15 Minuten ein, in denen er die ganze Situation der Bundesrepublik - und natürlich in Bayern - den Grünen zuordnen, die damit die Ampel zur schlechtesten Regierung überhaupt machen.

Ein längerer Thread 🧵, der Markus Söder sicherlich nicht gefallen wird.

Die 15-Redeanteil selbst gibt es hier in voller Länge.

Die Bundesrepublik ist in einer Rezession. Die Unterschiede dazu sind vielfältig, aber während Bremen laut Markus Söder ja gar keine hat und eh nicht davon betroffen ist, leidet Bayern umso mehr.

Nur als Einordnung: In Bremerhaven lebten dort Anfang der 70er-Jahre noch 145.000 Menschen, zu Beginn der 2000er nicht einmal mehr 120.000. Ohne pulsierende Werften und die Fischerei hatte die Stadt ihr Geschäftsmodell verloren, die mit südkoreanische oder chinesische Werften (billigen Arbeitskräften) nicht mithalten konnten.

Dann ein Anfang der Wende: Ende 2013 gab es 4000 Jobs im Bremerhaven im Bereich der Offshore-Windkraft (Fundamente etc.); Bremerhaven wurde Sitz des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES). Die Stadt erfand sich neu.

Und dann? Gab es keine Planungssicherheit in der Energiewende. Immer wieder hat die Bundesregierung (damals schwarz-gelb, aber generell 16 Jahre dauerhaft die Union an der Spitze) die Spielregeln geändert und die Ausbauziele für Offshore-Wind herabgesetzt, Strompreisbremse eingeführt etc. Der Boom endete, bevor er richtig losgehen konnte.

Das ist deswegen spannend, weil Söder in seiner Rede die Kürzung bei den E-Autos Habeck anhängt. Dazu gleich mehr.

Gehen wir kurz auf den Niedergang der Wirtschaft ein und versuchen das große Bild zu betrachten. Dabei hilft diese Grafik.

Die größte Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg und die Inflation ist nach 2 Jahren durch sinkende Energiepreise massiv gesunken. Sie liegt jetzt unter der Zielmarke der EZB.

Diese Inflation wird vor allem getragen durch eine fossile Basis. Der Wegfall durch das billige Gas hat ein Loch in die Energieversorgung und dadurch Industrieproduktion (Stahl oder Chemie, also energieintensiven Bereichen) gerissen, deren Schließung bis heute nachwirkt.

Man könnte jetzt ketzerisch Söder fragen, wie er um die 2010er Jahre herum gar noch zurücktreten wollte, wenn es keinen Atomausstieg geben würde, obwohl er wusste, dass die Alternative für die Atomkraft das billige Gas Putins war - und dadurch eine massive Abhängigkeit schuf.

Söder wirft Habeck und den Grünen derweil vor: "Ausstieg aus der Kernenergie zu dem Zeitpunkt schwerer Fehler und dabei, wie sich zeigt, nicht etwa nach guten Argumenten und Gutachten belegt. Rein ideologisch eine reine ideologische Entscheidung."

Damit zeigt er nicht nur seine Unkenntnis in der gesamten damaligen Situation (fehlende Brennelemente etc., was die Gutachten allesamt aufzeigen), sondern: Seine Unfähigkeit den europäischen Strommarkt (Gas am teuerste, zog Preise) zu verstehen und gleichzeitig mitzunehmen, dass die Heizkosten nicht durch 2 Atommeiler gesunken wären, weil die dafür keine Rolle spielten.

D.h. die Inflation für Bürger*innen wäre wohl gleich stark gewesen und die Stromkosten selbst - und das lässt er gern mal außen vor - sind rückwirkend jetzt deutlich günstiger als vor Corona.

Generell lässt er einfach weg: Für die Energiewende wäre es immer wichtig gewesen, neben Erneuerbarenkapazitäten (wo er im Vorfeld der 15min. Bayern natürlich in höchsten Tönen lobt) auch die notwendigen Leitungen zu bauen.

Doch Söder zog mit Seehofer gleich und sperrte sich 2014/15 etc. gegen notwendige Oberlandstromleitungen nach Bayern (günstiger Windstrom aus dem Norden nach Bayern). Das hat natürlich massive Auswirkungen auf die bayrische Industrie.

Unternehmen brauchen:
- günstigen und grünen Strom; allein schon ihrer Klimabilanzen wegen;
- den bekommen sie in Bayern aber nicht genügend und zuverlässig;
- ein Grund ist übrigens auch, dass Söder sich gegen Strompreiszonen wehrt, die in Schweden etc. völlig normal sind (im Norden wäre der Strom dann mal deutlich günstiger; großer Wirtschaftsvorteil)

Lassen wir mal Söders Gehässigkeit und typischen Feindbilder für ihn und CSUler (Ricard Lang, Claudia Roth etc.; auf die nebenbei eingeht) weg, merkt man: Er baut eine Geschichte auf, die da ist: Die Grünen hauen gegen Bayern, nur weil sie es können - und Habeck ist auch noch Berlins Lieblingsonkel, weil der bei der Presse so gut ankommt.

Man merkt hier: Er ist entweder neidisch oder einfach tief getroffen, dass Habeck sympathisch erscheint. Sogleich diffamiert er ihn als Märchenonkel, Salonlöwen etc., was angesichts von Söders regelmäßigen Bierfestzelt-Bildern natürlich nie bei ihm zutreffen würde...

Die Entscheidung für Intel in Magdeburg, für die Batteriefabrik in SH oder Niedersachsen: Immer würde Habeck und damit die Grünen gegen Bayern entscheiden. Auch beim Hochwasser kamen sie alle, aber niemand wollte Bayern helfen, obwohl Bayern ja dem Ahrtal geholfen hat.

Bayern, so seine Argumentation, wird sich selbst überlassen. Das Geld wird lieber "ausländischen Firmen" (Intel) gegeben, anstatt es in die Landwirtschaft (?) oder bayrische Gastronomie zu pumpen.

Das ist fast schon ein bisschen witzig, weil...

Was haben wir aus der Coronapandemie gelernt? BMWs, aber auch VWs Werke standen teilweise still. Nicht nur, weil Corona tödlich ist und wir erst noch lernen mussten, wie wir damit umgehen, sondern auch, weil die Chips aus Taiwan nicht mehr ankamen.

Und wie schon bei Putins Gas merkten wir: Der Industriestandort Deutschland/Europa ist abhängig - und zwar massiv. Man kann darüber diskutieren, ob 10 Mrd. aus dem KTF sinnvoll für Intel sind, aber man darf doch bitte nicht infrage stellen, dass wir in Europa eine Chipindustrie brauchen.

Denken wir ein paar Jahre weiter und fragen uns, was ein Konflikt Chinas mit Taiwan bedeuten würde... Die Antwort kann sich jede*r selbst ausmalen.

Das führt natürlich zum "Verbrenner-Verbot", was es nebenbei bemerkt nicht gibt. Witzig ist: Mittlerweile redet Söder nicht mehr vom Wasserstoffauto. Er hat wohl verstanden, dass dieser Zug abgefahren ist (bzw. auch nicht, denn die Wasserstoffzüge fallen gerade reihenweise aus - surprise...).

Einerseits lässt Söder komplett weg: Die Schuldenbremse zwingt das Land seit Jahren (schon vor der Ampel) wichtige Investitionen in Infrastrukturen ausfallen zu lassen. Das merken wir an massenhaft kaputten Brücken, völlig kaputte Bahn (3x CSU-Verkehrsminister) etc., aber auch an einer löchrigen Ladeinfrastruktur, die man schon seit Jahren hätte planen können.

Denn einerseits fordert Söder: Verbrenner-Aus-Gesetz abschaffen und gleichzeitig Förderung der E-Mobilität. Man fragt sich, was das eine mit dem anderen zu tun hat, aber man kann zwischen den Zeilen rauslesen: E-Auto hat gewonnen.

Nun wirft er Habeck vor, China den Markt zu überlassen, weil die E-Autoförderung eingestellt worden ist. Dass das aufgrund des Sparzwangs kam, erwähnt er natürlich nicht. Das die Zulassungen hierzulande aber einerseits wieder zunehmen - und noch viel wichtiger - dass der Markt in China (und dort machen DE Autobauer nunmal ihre Gewinne) sich seit Jahren radikal wandelt, auch nicht.

Das Problem ist ja nicht einmal die Zulassungsrate hierzulande von BEV, sondern das die größten Automärkte der Welt (China und USA) sich stark verändern und die Autobauer nicht darauf vorbereitet sind - ob jetzt bei Digital oder BEV.

Das Verbrenner-Aus 2035 wird daran nichts ändern und wer auch immer 2035 noch Verbrenner verkaufen will, kann heute im Grunde schon die Werke schließen. Vielleicht sollte Söder mal dem Opel-Chef zuhören, anstatt wie in seiner Rede zu behaupten, die Grünen seien gegen das Auto - wie immer halt.

Natürlich geht Söders Argumentationen so immer weiter. Das Heizungsgesetz ist schlimm (nur durch Habeck steigen jetzt Ölheizungsverkäufe; Söders Behauptung, eine Wärmepumpe koste 300.000 Euro, kann natürlich nicht damit zusammenhängen), die Wahlreform wäre natürlich extra so gestaltet, dass Bayern/CSU verliert usw. usf.

All das führt in seinen Augen zur logischen Folge: Mit den Grünen geht es nicht und wird es nie gehen. Wenn es Schwarz-grün geben wird, werden "wir" den Osten verlieren, Teile in Bayern usw. usf.

Man merkt Söder an, dass er rhetorisch in eine Einbahnstraße fährt, weil er schrittweise seit Jahren nach rechts abgebogen ist. Konsequent (und nicht in dem Teil der Rede oben): Er fordert natürlich kein AfD-Verbot, weil man sie schwächen kann, wenn man es besser macht. In der Logik heißt das: Weiter nach rechts gehen.

Dass CSU-Generalsekretär Dobrindt 2011 noch ein Verbot der Linkspartei prüfen lassen wollte, weil der zu großen Nähe zum Kommunismus? Scheint egal zu sein.