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Mar 4 1 tweets 3 min read Read on X
Über dem Plan, noch den alten Bundestag über eine Lockerung der Schuldenbremse bzw. über neue "Sondervermögen" u.a. für die Bundeswehr abstimmen zu lassen, hatte ich mich ja Anfang letzter Woche im Interview mit Max Tichy geäußert. Da hatte ich gesagt, daß das natürlich ein großer Mißbrauch des Geschäftsordnungsrechts ist, gegen den Geist der Verfassung verstößt und mithin illegitim ist, da es eben nicht um besondere Eilbedürftigkeit der Maßnahmen geht (wie schon einmal 1998 zwischen Kohl und Schröder), sondern es soll hier gewissermaßen ein letztes "Veto" des abgewählten gegen den neuen Bundestag eingelegt werden, dessen Zusammensetzung den Plänen von Union und SPD ungünstig erscheint.

Dennoch habe ich das Ganze nicht schneidig als "verfassungswidrig" bezeichnen wollen – denn gerade von Verfassungs wegen verhält es sich ja so, daß der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen amtiert und der nächste Bundestag bis zu seiner Konstituierung rechtlich eigentlich gar nicht existiert. Das haben, soweit ich es überblicke, eigentlich auch alle anderen Staatsrechtslehrer so gesehen.

Nun hörte ich gestern (03.03.25) im DLF erstmals von den Dimensionen der geplanten "Sondervermögen", also nicht-jährlichen Sonderschulden, das gab Anlaß zum gestrigen Tweet. Eben war in der ZDF-heute-Sendung (04.03.25, 19 h) dann zu hören, Union und SPD hätten sich nun geeinigt.

Die enormen Dimensionen der geplanten Last-Minute-Gewaltverschuldung durch einen – eigentlich, wenn auch nicht formell – doch bereits untergegangenen Bundestag wirft auch ein neues Licht auf die Frage der Verfassungsgemäßheit dieses Vorgehens.

Der Bundestag berät und entscheidet eigenverantwortlich und (hoffentlich) verfassungsgemäß über die in seiner Legislaturperiode aufzustellenden Staatshaushalte. Dies ist sogar sein historisches "Königsrecht", die verfassungsgeschichtlich erste alleinige Zuständigkeit der Parlamente, als selbst die Gesetzgebung noch größtenteils bei der Exekutive lag und dem Fürsten eine über- oder außerrechtliche Stellung zugeschrieben wurde.

Der (nächste) Bundestag kann aber seine haushaltspolitische Entscheidungsbefugnis und Verantwortung nicht mehr wahrnehmen, wenn schlicht kein Geld mehr da ist – weil nämlich das letzte Parlament, strenggenommen nicht kurz vor Toresschluß, sondern materiell-rechtlich oder jedenfalls legitimitätstechnisch eigentlich bereits nach Toresschluß alles verfrühstückt hat, also Verpflichtungen eingegangen ist, von denen künfige Bundestage nicht mehr herunterkommen und die dann zu bedienen sind.

Mit dieser Frage – Aushöhlung der Haushaltskompetenz künftiger Bundestage nicht durch einfache Überschuldung (der ja die "Schuldenbremse" entgegenstehen würde), sondern durch Eingehung sonstiger Verplichtungen oder eben "Sondervermögen" – mußte sich das BVerfG bereits in seiner Entscheidung über den ESM-Mechanismus beschäftigen. Der Vertrag über den ESM-Mechanismus ist schwerverständlich und kaum überzeugend auszulegen. Manche meinen, er enthalte letztlich unbeschränkte Nachschußpflichten für die Mitgliedstaaten zugunsten des ESM-Mechanismus; das BVerfG machte sich diese Rechtsauffassung jedoch nicht zu eigen und fand, es könnten sich Nachschußpflichten in beträchtlicher Höhe realisieren, die jedoch nicht unbeschtänkt und am Ende zwar hoch, aber noch überschaubar seien. Also noch nicht verfassungswidrig. (D.h. nicht, daß der EuGH dies künftig nicht auch anders sehen und unbegrenzte Nachschußpflichten befürworten könnte; und nach Eigendefinition hat der EuGH im Unionsrecht die Hosen an, nicht das BVerfG).

Vorher – und das ist hier das Interessante – hatte das BVerfG aber festgestellt, daß natürlich ein derzeit formell nun einmal amtierender Bundestag nicht durch die Eingehung übermäßiger haushaltsrelevanter Verpflichtungen die haushaltspolitische Handlungsfreiheit künftiger Bundestage leerlaufen lassen kann.

Beste Rechtsschutzform wäre die Normenkontrollklage. Dafür braucht man 158 Bundestagsabgeordnete, also 25% von 630. Die AfD-Fraktion hat allein derzeit bereits 152 Abgeordnete, es kämen 64 von der Linkspartei hinzu. Und möglicherweise sogar Dissidenten von Union und SPD, die das faule Spiel nicht mitmachen wollen.

Gegen diese Normenkontrollklage könnten die jetzigen Verschwörer dann wohl nichts machen.
#Sondervermögen

youtube.com/watch?v=rJ89KD…

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