seitenwaelzer Profile picture
Das Online-Magazin für Studierende. Studium, Reportagen, Kultur, Lifestyle. Schaut vorbei!

Apr 6, 2021, 40 tweets

Strategien der Wissenschaftsleugnung und strategischen Desinformation verstehen, erkennen und bekämpfen:

#PLURV ging auf Twitter viral als Folge der Erwähnung durch @c_drosten im Podcast von @NDRinfo. Oft wurde dabei diese Grafik gezeigt, aber ohne Erklärung.
Ein Thread:

Wir haben uns daher mal hingesetzt und die Grafik aufgeschlüsselt. Die Infos stammen u.a. von @klimafakten, aus dem Coronavirus-Update-Podcast und von @skepticscience – die übrigens auch die Icons gestaltet haben.
Holt euch ein Getränk und setzt euch gemütlich hin. Los gehts mit

Wir starten mit [P], den Pseudo-Expert:innen. Das bedeutet: Eine unqualifizierte Person oder Institution wird als Quelle glaubwürdiger Informationen präsentiert, hat oft aber nicht die nötige Fachkenntnis. z.B. Wissenschaftler:innen aus benachbarten (oder weit entfernen) Feldern

Dazu gehört auch die Strategie der Masse: Mit vielen scheinbaren Expert:innen wird argumentiert, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens gibt.

Ähnlich die aufgeblähte Minderheit.
Mehrheits- und Minderheitsmeinung werden gleichbereichtigt gegenübergestellt. Diese scheinbar neutrale Form führt aber zu einer sog. "false balance", die den wahren Stand verzerrt.
zB "Klar sagen das 98%, aber Prof. Schmidt sagt das Gegenteil."

Die fingierte Debatte funktioniert so, dass Wissenschaft und Pseudowissenschaft gegenübergestellt werden, obwohl letztere nicht faktenbasiert ist.
Etwa: "Coronaleugner:innen sollten genauso zu Wort kommen, wie Wissenschaftler:innen."

Damit kommen wir zum nächsten Buchstaben: Dem L, dem logischen Trugschluss. Das sind Argumente, die kenem logischen Schema folgen, bei denen also nicht aus den Prämissen auf das behauptete Ergebnis geschlossen werden kann.

Der Klassiker ist dabei die Ad-Hominem-Argumentation. Also der Angriff auf die Person oder Gruppe oder eine ihrer Eigenschaften, anstatt auf ihr Argument. Zum Beispiel:
"Klimaforscher:innen sind doch eh alle befangen."

Auch eine verfälschte Darstellung kann logische Fehlschlüssen zugrunde liegen. Dabei wird eine Situation oder Poistion sachlich falsch dargestellt. Das kennen wir am ehesten unter "Fake News" oder genauer gesagt Desinformation (es gibt auch die unabsichtliche Misinformation).

Das Strohmann-Argument: Verfälschung oder Übertreibung der Position eines Gegners, um sie leichter anzugreifen. Dabei verzerrt man die Aussage oft ins Extreme, um sich selbst als vernünftig darzustellen.
"Klimaforschende haben in den 1970er Jahren eine Eiszeit vorhergesagt."

Ein weiterer logischer Trugschluss besteht in der Verwendung von mehrdeutigen Ausdrücken, etwa "Dauerwelle" oder "Leben mit Corona", die wissenschaftliche oder journalistische Aussagen verzerren und in ein falsches Licht stellen.

Auch Journalist:innen versuchen natürlich Dinge einfacher und verständlicher zu machen. Gefährlich wird aber die übermäßige Vereinfachung, die das Verständnis verzerrt und zu falschen Schlussfolgerungen führt. Etwa: "An Corona sterben ja eh nur die Alten."

Und dann gibt es noch die Fehlschlüsse, zwei Optionen als alleinige Lösungen darzustellen oder eine einzige Ursache für ein Problem anzuführen, wie etwa: "Das Klima hat sich immer nur natürlich verändert, das muss auch jetzt so sein."

Die falsche Analogie kursiert oft.
Aber: Wenn sich Dinge in einem Punkt ähneln müssen sie nicht auch in anderer Hinsicht gleich sein. Beispiel ist die Aussage: "Corona ist wie eine Grippe." Das ist auf vielen Ebenen – vom Virus bis zum Verlauf der Epidemie/Krankheit – falsch.

Manch einer lenkt andere auch auf eine falsche Fährte:
Das bedeutet, die Aufmerksamkeit auf einen irrelevanten Punkt der Diskussion zu leiten, um vom ursprünglichen Argument abzulenken.

Zur falschen Fährte gehört auch das Kugelfisch-Argument, also die Fokussierung auf einen Aspekt der Forschung, etwa eine Stichprobengröße o.ä., um ihn aufzublähen. Das soll von eigentlichen Ergebnissen ablenken.

Abschließend gibt es bei den Logikfehlern noch den "Dammbruch". Dabei wird argumentiert, dass der Vorschlag, jetzt eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen, letztendlich zu gravierenden Maßnahmen führen wird, etwa: "Kontaktbeschränkung, als nächstes wird man eingesperrt".

Weiter geht es mit den unferfüllbaren Erwartungen, die gestellt werden, bevor man die Wissenschaft akzeptiert. z.B.: "Die Corona-Tests funktionieren eh nicht, die zeigen ja auch manchmal falsch-positive Ergebnisse", ohne die verschwindend geringen Prozentzahlen zu berücksichtigen

Dazu gehört auch das Verschieben der Torpfosten. Dabei wird das Ziel einer Argumentation immer weiter verrückt. Etwa zu behaupten, es gebe Corona nicht, da es kein isoliertes Virus gebe. Werden dazu Daten veröffentlicht, wird gesagt, das seien ja nur Bilder usw.

Wir kommen nun zur Rosinenpickerei, also der selektive Auswahl von Daten, die eine Position zu bestätigen scheinen, während widersprechende Daten ignoriert werden.

Die einfachste Form davon ist die Anekdote, gerne auch im Stil von "Ich habe gehört, dass...". Dabei werden persönliche Erfahrungen anstelle von soliden Argumenten oder Beweisen angeführt, etwa "ich kenne niemanden, der an Corona erkrankt ist".

Ruht man sich auf einem einzigen Argument aus, spricht man von einer Faultier-Induktion. Das bedeutet, dass weitere relevante Beweise ignoriert werden, sobald eine Schlussfolgerung passt.

Selektives Zitieren wird auch gelegentlich im unseriösen Journalismus praktiziert; also einer Person ihre Aussagen aus dem Zusammenhang zu reißen, um ihre Position falsch darzustellen oder zu verzerren. "WISSENSCHAFTLER FINDEN MITTEL GEGEN KREBS[zellvermehrung bei Goldhamstern]."

Am meisten im Gespräch der öffentlichkeit sind seit einem Jahr aber die Verschwörungsmythen. Hier vermuten Menschen etwa die Produktion von Falschinformationen oder das Verbergen der Wahrheit durch Organisationen/Personen/Staat/System.

Das lässt sich etwa an einer gewissen Widersprüchlichkeit erkennen, also dass Menschen
Dinge glauben, die sich gegenseitig ausschließen. Etwa: "Das Virus kommt locker durch eine Alltagsmaske; Alltagsmasken verhindern das Atmen, weil nicht genug Sauerstoff durchgeht."

Manche Menschen stellen auch jede offizielle Darstellung oder Medienberichterstattung direkt unter Generalverdacht.
Diese werden direkt angezweifelt und alles abgelehnt, was nicht zur eigenen Meinung passt.

Zudem werden allen Personen oder Organisationen schlechte Absichten unterstellt, z.B.: "Virolog:innen stellen die Lage schlimmer dar, weil sie nur Geld mit Schnelltests verdienen wollen."

Eine andere Taktik ist "Etwas stimmt nicht": Dabei wird darauf beharrt, dass die offizielle Darstellung auf einer Täuschung beruht. z.B.: "Die Wissenschaftler:innen schließen sich nur der Mehrheit an, weil sie keine Abweichler sein wollen."

Oft stellen sich Personen, die Verschwörungsmythen anhängen auch in einer Opferrolle organisierter Verfolgung wahr. Es fallen Vergleiche zu totalitären Staatsstrukturen und Aussagen wie "Man will uns unsere Freiheit wegnehmen."

Meistens immunisieren sich die Personen in ihrem Verschwörungsmythos gegen alle Beweise, indem sie diese so uminterpretieren, dass sie dem Mythos entspringen: Etwa: "Alle Untersuchungen gegen meine Meinung sind doch selbst nur Teil der Verschwörung."

"Nichts passiert zufällig" – Als letzter Punkt werden Zufälligkeiten so uminterpretiert, dass sie als Teil der großen Verschwörung gesehen werden.

Aber was bedeutet all das und was kann man gegen die Verbreitung von Desinformation und Wissenschaftsleugnung tun?

1. Infos hinterfragen
- Von wem kommt die Info?
- Ist die Person qualifiziert?
- Ist die Info besonders reißerisch dargestellt?
- Welche Absicht könnte dahinter stecken?

(Quelle: bpb - Spezial zum Thema "Fake News")

2. Quellen checken
- Steht die Info auch in der Originalquelle?
- Bestätigen seriöse Quellen die Fakten?
- Woher kommt ein Bild? In welchem Kontext ist es entstanden?
Hier helfen auch Blicke auf Fakten-Check-Seiten wie von @correctiv_fakt oder dem ARD-Faktenfinder

3. Nicht alles weiterleiten
- Könnte die Nachricht anderen schaden?
- Sprich mit Bekannten, wenn sie Falschnachrichten teilen.
- Wenn du weißt, dass etwas falsch ist, dann verbreite die falsche Info nicht, auch nicht mit dem Hinweis, dass sie nicht stimmt, denn wir merken uns oft

den Ursprung einer Information nicht so gut, wie die Info selbst. Daraus wird schnell ein "Irgendwo habe ich mal gehört/gelesen." Und: Je öfter wir eine Information wiederholt sehen, desto besser setzt sie sich im Gehirn fest. Das gilt vor allem für Überschriften ohne Kontext.

Vielen Dank fürs Lesen!
Wer sich weiter informieren möchte, findet hier ein paar Artikel und wiss. Fachbücher, die sich mit Fake News, Des- und Misinformation beschäftigen:
Tandoc, E. C./Lim, Z. W./Ling, R. (2018): Defining “Fake News”. In: Digital Journalism 6 (2), S. 137-153.

Die vollständige Liste findet ihr auch in der Bildbeschreibung.

Literatur zu Falschinformation und Wissenschaft, False Balance und Wissenschaftsleugnung.

Literatur zur Bekämpfung und Korrektur von Falschinformationen (und der Schwierigkeit davon).

Auch empfehlenswert ist dieser Artikel von @PositiveMaren: fachjournalist.de/warum-fake-new…

Literatur zu strategischer Desinformation und der Rolle von Alternativmedien sowie Netzwerken von Anhänger:innen von Verschwörungsmythen.

Share this Scrolly Tale with your friends.

A Scrolly Tale is a new way to read Twitter threads with a more visually immersive experience.
Discover more beautiful Scrolly Tales like this.

Keep scrolling