Gustav Meibauer Profile picture
Asst Prof in International Relations @Radboud_Uni; IR theory, foreign policy, communication, security, intervention; no-fly zones & buffer zones; he/him

Apr 19, 2022, 26 tweets

Verzögerung, Hinundher, andere sind schneller. Keine Waffen, bisschen Waffen, doch Panzer?

Warum eiert die deutsche Regierung sich durch ihre Ukraine-Politik?

Ein 🧵 über deutsche Außenpolitik, auf 🇩🇪 (@ProfPaulPoast-Style, sorta). Sorry, non-German followers ☹ /1

Durcheiern ist übrigens definitiv der hochwissenschaftliche Begriff. War ja auch grad Ostern, also doppelt apropos.

Gibt aber außer dummen Wortwitzen auch bisschen außenpolitische Theorie. /2

Zunächst mal: eiert die deutsche Regierung? Vermutlich, ja.

Die (fast) erste Reaktion auf eine systemische Änderung, also auf Russlands für viele überraschender Angriff auf die Ukraine, las sich dramatisch.

#Zeitenwende! /3

Wasser auf die ewig mahlenden Mühlen der (neo)realistischen Theorie – siehste wohl.

Systemische, externe Faktoren (Bedrohung!) veranlassen Staaten, ihre Außenpolitik anzupassen. Deutschland reagiert, und Deutschland agiert.

Waltz approves. /4

Jetzt aber, und das haben Bedenkenträger direkt gesagt, sieht es eher danach aus, als wäre die #Zeitenwende doch nicht so zeitnah und so sehr gewendet, wie es schien.

Mal gucken was @Bundeskanzler gleich dazu zu sagen hat. 👀

Also doch nicht systemisch getrieben alles? /5

Hier setzt die außenpolitische Analyse im engeren Sinne (als wissenschaftliches Feld) an. /6 academic.oup.com/fpa/article/do…

Müssen wir uns wohl angucken, was Deutschland so besonders macht, dass es noch eiert, wo andere schon klotzen: time.com/6166595/whats-…

/7

Also, welche Erklärungen fürs Geeier gibt es?

(disclaimer: below is not conclusive – welcome to the social sciences/Twitter) /8

Der aktuelle heißeste Kandidat für eine Erklärung scheint in Akteuren (und Parteien) zu liegen - Individuen (Steinmeier! Gabriel!) und ihre Connections.

Können die nicht, oder, schluck, wollen die nicht? Zwischen Führungsschwäche und Führungsverweigerung. /9

Die SPD, zerrissen zwischen langgedienten Russlandfreunden, Wirtschaftsbesorgten, linken Positionen und realpolitischer Regierungsführung. Und mit Koalitionspartnern ringend.

Um das zu klären, braucht es Zeit – das führt zu Kleinschrittigkeit und seltsamen Kompromissen. /10

Gäb‘s weniger Geeier und Gewurschtel, wenn die SPD nicht die Regierung stellte? Klar, hypothetische Frage.

Aber: Die CDU-geführten Regierungen der letzten Jahre (Zehnte? Hunderte? War ECHT lange) haben sich auch nicht grade durch außenpolitischen Handlungseifer hervorgetan. /11

Also doch was anderes? Vielleicht liegt der Grund des deutschen Geeiers in institutionellen Zwängen.
Preußische Bürokratiementalität, Passierschein A38, erstmal prüfen, soschnellgehtdasabernichtjungerMann. /12

Manches gewünscht; schnelle Politik ist nicht immer gute Politik. Aber hier setzen zB Vorschläge an, einen „nationalen Sicherheitsrat“ aufzubauen, der Wege verkürzt und Anstrengungen bündelt (siehe @sarahbrockmeier & @TobiasBunde): ipg-journal.de/rubriken/ausse… /13

Vielleicht aber geht es auch um grundlegende Fragen deutscher außenpolitischer „Kultur“.

Deutschland handelt nicht schnell und schlagkräftig weil…naja…ein lahmes, etwas behäbiges Deutschland ist historisch betrachtet wirklich nicht immer das schlechteste. /14

Ideen und Ideologien des Pazifismus, der Zurückhaltung, des wirtschaftlichen Fokus sind gesellschaftlich & politisch tief verankert. Durchaus zurecht. Sie stehen im Wettstreit miteinander – im Großen (gesellschaftliche Debatte etc.) und Kleinen (in Entscheidungsträgerrunden). /15

Das auszubaldowern und in Politik umzusetzen; Ideen gar zu ändern, neue Möglichkeiten zu schaffen und politisch wahrnehmbar zu machen; ist oft ein langer Transformationsprozess.

Fragt da nur mal @frankstengel (and buy his book): /16

Schließlich geht es auch um Wähler*innen. Nicht mal nur so moralisch (hehres Repräsentantentum), sondern durchaus egoistisch.

Machterhalt nur durch Wiederwahl. /17

Was Wähler*innen wollen weiß niemand so genau. Umfragen, Fokusgruppen & Berichterstattung fließen ein in Runden, die im Kanzleramt brüten.

Was lässt sich verkaufen? Wo gewinnen wir/verlieren die anderen? Interessiert das überhaupt irgendjemanden?
spiegel.de/politik/deutsc… /18

Hier gibt es mehrere Phänomene, durchaus abhängig vom Personal. Werden „die Wähler*innen“ unterschätzt? Oder nur bestimmte gehört? Haben Lobbygruppen das Ohr der Entscheidungsträger*innen? Weht das Jäckchen nach dem Wind? Auch das führt zu Hin-und-her. /19

Hier kann man versuchen durch gezielte, auch laute Botschaften, etwa wie @MelnykAndrij, die Kakophonie zu überschallen.

Oder die öffentliche Debatte zu informieren & verbessern – so wie viele Expert*innen aus Uni, Thinktanks, Militär, Stiftungen, Journalismus… das machen. /20

Ja, was ist‘s denn nun?

Lauwarmer take: Kuddelmuddel und Durchgewurschtel ist in 🇩🇪Außenpolitik der Normalfall. Viele der ideellen, institutionellen, und politischen Gegebenheiten führen darauf zu. Es ist also schwer zu sagen, woran es liegt. Vermutlich alles ein bisschen. /21

Das heißt, wenn Außenpolitik neu ausgerichtet werden, wenn 🇩🇪 gar Führung (ieh, das F-Wort) übernehmen soll – dann ist das ein Kraftakt.

Zynisch: vllt. ist da ein systemischer Schock, der festgefahrene Akteure/Institutionen/Ideen über den Haufen wirft, sogar notwendig. Uff. /22

Aber dann muss auch was passieren. Wenn der 🇺🇦-Krieg als Anstoß dienen kann, muss das Momentum auch genutzt werden, damit Deutschland jetzt effektiv agiert. Wenn Änderungen nötig sind, dann ist jetzt der Zeitpunkt, sie formulieren, sie einzufordern, dranzubleiben.

/23

Sonst schläft das hier alles wieder ein. 😖👇 /end

PS: Told you so. 👆👇

Relevanter take hierzu:

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