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Science Journalist Graduate Geologist (Climate) @welt Foto: Matthias Giordano

Apr 22, 2022, 25 tweets

Heute ist #EarthDay2022, es ist der 52. "Earth Day". An keinem Ereignis lassen sich Grundprobleme der Umwelt- und Klimadebatten besser darstellen. Deshalb hier ein paar Schlaglichter ⤵️

Am ersten „Earth Day“, dem 22.4.1970 (Symbolfoto war „Earth Rise“⤴️), protestierten in den USA in Hunderten Städten 20 Millionen Menschen, es war die Geburt der globalen Graswurzelbewegungen für Umweltschutz. Sie war dringend notwendig.

Smog in Großstädten, Ölkatastrophen, Müllberge in der Natur, Artensterben, Waljagd, Gifte auf Feldern und Wiesen – gravierende Umweltprobleme waren schon lange nicht mehr zu verleugnen. Die Graswurzelbewegungen hatten bald Erfolg.

In Verbindung mit antikapitalistischen Sozialbewegungen entfaltete die Umweltbewegung in den USA und in Europa gesellschaftlichen Druck, der in Richtlinien für Reinhaltung von Luft und Wasser mündete, in systematischer Müllräumung und Recycling, in Tierschutzbestimmungen, u.a.

Bald klarten Gewässer und Luft auf, Grenzwerte verhinderten Verunreinigungen in Nahrungsmitteln, Kreislaufwirtschaft linderte das Müllproblem, Tiere und Landschaften wurden unter Schutz gestellt, zusätzliche Spundwände verhinderten manche Ölleckage bei Schiffen etc.

Ein Teil der Umweltbewegung kippte ins Betuliche und Esoterische. Ein anderer Teil machte das Umweltthema politisch nutzbar, indem der bevorstehende ökologische Untergang in Aussicht gestellt und von gesellschaftlichen Systemänderungen abhängig gemacht wurde.

Europäische Staaten wiederum nutzten die großen Umweltsorgen, um ihren nach dem Zweiten Weltkrieg schwindenden Einfluss zu kontern. Sie verankerten die UN-Umweltkonferenzen, die letztlich besonders Entwicklungsländern zugutekamen.

Und Gegner des westlichen Lebensstils kaperten die Umweltforschung, mit Hilfe sympathisierender Wissenschaftler. Ein paar Warnungen aus der Zeit des ersten „Earth Day“ 1970 im Folgenden:

Der Biologe Paul Ehrlich schrieb in seinem Bestseller „Die Bevölkerungsbombe“: „Der Kampf um die Ernährung der gesamten Menschheit ist vorbei. Hunderte Millionen Menschen werden verhungern. Nichts kann einen erheblichen Anstieg der weltweiten Sterblichkeitsrate verhindern".

Ein Regierungsbericht der USA von 1974 beglaubigte seine Schreckensvision, er erörterte Maßnahmen zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums in armen Ländern, um „die amerikanische Wirtschaft zu schützen“.

Anlässlich des ersten „Earth Days“ 1970 hatte Ehrlich erklärt, dass zwischen 1980 und 1989 etwa 4 Milliarden Menschen, darunter 65 Millionen Amerikaner, im „Großen Sterben“ umkommen würden.

Der Harvard-Biologe George Wald schätzte Anfang der Siebzigerjahre, dass „die Zivilisation in 15 oder 30 Jahren enden wird, wenn nicht sofort Maßnahmen gegen die Probleme ergriffen werden, mit denen die Menschheit konfrontiert ist.“

Der Biologe Barry Commoner von der Washington University mahnte am ersten „Earth Day“ 1970: „Wir befinden uns in einer Umweltkrise, die das Überleben dieser Nation und der Welt als geeigneten Ort menschlicher Besiedlung bedroht.“

Im Bestseller „Die Grenzen des Wachstums“ sahen Wissenschaftler um Dennis Meadows das Ende der wichtigsten Rohstoffe und den Kollaps der Weltwirtschaft bevorstehen.

Dieser Mahnung konnte die „Bevölkerungsbombe“-Fraktion Positives abgewinnen: Teure Rohstoffe würden katastrophales Wachstum der Menschheit bremsen, hofften Paul Ehrlich und Co (deshalb auch ihre Gegenwehr gegen Kernkraft, die Prosperität der Menschheit begünstigen würde).

Nichts von den Untergangsvisionen ist auch nur annähernd eingetreten, aber Warnungen vor Umweltapokalypsen blieben angesagt. Sie garantieren Aufmerksamkeit und haben keine Downside: Widerlegte Apokalyptiker bleiben gefragte Redner.
lemonde.fr/en/opinion/art…

Der Trend ging anders: Zwar wuchs die Weltbevölkerung auf fast 8 Milliarden, aber Hungersnöte wurden seltener. Pro Person stehen ein Drittel mehr Kalorien zur Verfügung als vor 60 Jahren; ärmste Länder verfügen über so viel Kalorien pro Person wie die reichsten Staaten damals.

Nie hungerten weniger Menschen als im vergangenen Jahrzehnt. Noch immer entkommen täglich rund Hunderttausend Menschen extremer Armut. Die Lebenserwartung hat sich in hundert Jahren verdoppelt. Ressourcen sind nicht zur Neige gegangen, trotz der vielen Menschen.

Kurz gesagt geht es dabei darum, dass Knappheit Ressourcen teurer macht, was Kreativität lohnenswert werden lässt, was für neue Ressourcen und für Preisanreize sorgt. Ressourcenverbrauch hat sich bereits von der Wirtschaftsleistung abgekoppelt.

Die „Lösungen“ der Apokalyptiker hingegen – Beschränkung von Bevölkerung, Wachstum und Rohstoffen – erwiesen sich als menschenfeindlich, ja als verbrecherisch (was in deutschen Klassenzimmern und Redaktionsräumen nicht immer angekommen ist).

Global sind auch die Fortschritte im Naturschutz über die vergangenen Jahrzehnte beträchtlich – die „Earth Day“-Bewegungen haben wesentlich dazu beigetragen. Wobei es weiterhin gravierende Umweltprobleme gibt, besonders in den Ozeanen und mit Monokulturen.

Es stellte sich heraus, dass Umweltprobleme erheblich besser in wohlhabenden Ländern gelöst werden können. Arm hingegen bedeutet meist kaputte Umwelt (das ist ebenfalls ein sehr spannendes Thema).

Ähnliches gilt auch für den Klimawandel: Fossile Energien halfen Milliarden Menschen aus der Armut, machten Länder wohlhabend. Wohlstand ermöglicht es nun, neue Energieträger zu entwickeln. In reichen Ländern haben sich CO2-Emissionen vom Wirtschaftswachstum bereits abgekoppelt.

Der „Earth Day“ hat sich gewandelt. Bereits am Earth Day 1990 schrieb die „New York Times“: „Unternehmen haben ihre Argumente fallen gelassen, Umweltverschmutzung gegen Arbeitsplätze zu stellen, wittern Wettbewerbsvorteile, bemühen sich, zu demonstrieren, wie ‚grün‘ sie sind.“

Die Graswurzelbewegungen vom ersten „Earth Day“ 1970 haben also auch erreicht, dass von ihnen bekämpften Großkonzerne von ihnen gemocht werden wollen. Happy Earth Day!

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