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Journalist | former Moscow correspondent | https://t.co/d1CXbOr7iA | past: @SZ @DIEZEIT | trained: @Nannenschule @viadrina |

Dec 31, 2022, 17 tweets

#Neujahr vor 10 Jahren. Die Gala im russischen Staatssender Rossij moderiert Wolodymyr Selenskyj – begeistert beklatscht von Wladimir Solowjow.
Die beiden sind nicht die einzigen im Saal, die heute auf unterschiedlichen Seiten der Front stehen.
🧵 zu Krieg und Showbusiness
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Als Komiker war Selenskyj enorm beliebt beim russischen Publikum. Fraglos hat er gut verdient an den Geldern, die der Kreml in die Unterhaltungsindustrie pumpt, um das Volk bei Laune zu halten. Später in der Sendung nimmt er seine Rolle als „Gastarbeiter“ auf die Schippe.
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Zur Trennung kam es erst nach der Krim-Annexion 2014. Moskau warf Selenskyj vor, den Maidan und später die ukrainische Armee im Kampf gegen die vom Kreml gelenkten „Separatisten“ finanziell unterstützt zu haben.
Zwischen diesen Bildern liegen keine zehn Jahre.
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Solowjow ermahnt in seiner Anmoderation die Gäste seiner politischen Talksendungen: Sie sollten sich im neuen Jahr daran erinnern, dass sie (als Abgeordnete) „Diener des Volkes“ seien, nicht dessen Herren. Und nicht nur an das eigene Wohl denken.
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Dass Selenskyj drei Jahre später mit der Serie „Diener des Volkes“ die Grundlage für seine politische Karriere legen wird, ahnt da noch keiner.
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Ebensowenig ist bekannt, was eine Recherche von Alexej Nawalny 2017 ans Licht bringt: Solowjow besitzt unter anderem eine Villa am Comer See.
Seit 2022 steht er als Kriegstreiber auf den Sanktionslisten der EU, der USA und weiterer Staaten. Die Villa wurde konfisziert.
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Gemeinsam mit Selenskyj führt Maxim Galkin durch die Show. Der Comedian ist Traumschwiegersohn der Zuschauerinnen, die ihre besten Jahre in der Sowjetunion hatten. So wie Galkins Ehefrau, die Pop- und Schlagerkönigin Alla Pugatschowa. Sie ist 27 Jahre älter als er.
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Galkins Spezialität waren harmlose Parodien stets im Rahmen dessen, was der Kreml als Kritik erlaubt.
Allerdings: Nach dem 24. Februar dieses Jahres hat Galkin als einer der ersten klar Stellung gegen den Krieg bezogen. Dafür wurde er zum „ausländischen Agenten“ gestempelt.
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Er und Pugatschowa leben inzwischen in Israel. Galkin tourt durchs Baltikum, Israel, USA und wird dort von der Diaspora unter anderem für seine Parodien auf Propagandisten wie Solowjow gefeiert.
Hier habe ich mal was über das Paar geschrieben:
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zeit.de/kultur/musik/2…

Die Gegenrichtung hat Oleg Gasmanow eingeschlagen. Der Schlagerstar gab Konzerte in Donezk und war als Top Act für Annexionsfeiern in Isjum und Cherson angekündigt. Beide Städte wurden allerdings vorher befreit. Gasmanow steht auf der Sanktionsliste der EU.
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Weiter im Programm: Ani Lorak, verdiente Künstlerin und Volkskünstlerin der Ukraine, geboren im Gebiet Tscherniwzi in der Westukraine. Lorak schweigt bis heute zum Krieg und gibt weiter Konzerte in Russland. Kyjiw hat sie deshalb auf eine Sanktionsliste gesetzt.
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Gaga-Pop vom Feinsten: Oleksii Potapenko und Nastia Kamenskykh als Duo „Potap i Nastia“.
Nach dem 24.2. hat Potapenko die Russen aufgerufen, sich gegen den Krieg zu positionieren. Beide sammeln heute Spenden für ukrainische Hilfsorganisationen und für die Armee.
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Der Sänger und Showmaster Nikolaj Baskow trägt die Ehrentitel „Volkskünstler der Russischen Föderation“ und „Volkskünstler der Ukraine“. Voll auf Linie des Kremls, auf der US-Sanktionsliste (ebenso wie sein enger Freund Filip Kirkorow, der Ex-Mann von Pugatschowa)
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Konnte man 2012/13 noch im russischen Staatsfernsehen auftreten, ohne sich zum Komplizen des Regimes zu machen? Das Jahr war geprägt von gefälschten Wahlen und dem Ämtertausch Medwedew-Putin, Massendemonstrationen, -Festnahmen und Prozessen gegen Oppositionelle.
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Es gab aber auch positive Entwicklungen: Wiederum die Proteste. Oder die Gründung und der Erfolg des liberalen Fernsehsenders Doschd, der ein Gegengewicht zur staatlichen Propaganda sein sollte.
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Die komplette Gala vom Neujahrstag 2013 gibt es hier zu sehen (etwa 1 Stunde):

16 und Ende 🧵

Zum Vergleich die Party dieses Jahr 🥳

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