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Müller @gemuellert
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Morgen beginnt der Gegenbesuch. Extra einen leeren Koffer dabei. Die Kinder vermuten, der sei für die Weihnachtsgeschenke. Tatsächlich ist er natürlich für Leberkäs, Landjäger und „Wurschddosa“. Und für leere Wasserflaschen, „die dr Neddo ned nimmt“. Natürlich.
Am Rande: Interessanterweise ist der Weg von Berlin nach Schwaben ja doppelt so lang, wie vom Schwäbischen nach Berlin. Wenn wir „direkt nach dem Frühstück“ losfahren, sind wir um 22:00 da. Wenn meine Schwaben „glei nachm Frühstügg“ losfahren, stehen sie zum Kaffee auf der Matte.
Dabei fällt mir ein, wie mein Vater immer notgedrungene Einladungen formulierte: „Kommet dr am beschda glei nachm Frühstügg, dann seid dr bis zom Middagessa wiedr dahoim.“ <3
Apropos: Erinnert mich bitte daran, das leere Honigglas mitzunehmen. Das hatte mir ein imkender Schwipponkel mütterlicherseits vor Jahren (voll) zum Geburtstag geschenkt mit den Worten „Des Glas brauch i abr wiedr!“ „Glückwunsch“ musste er ja nicht sagen, hatte ja schon den Honig
Sind noch nicht los. „Nach dem Frühstück“ ist in Berlin eben keine Zeitangabe sondern eine grobe, biorhythmisch bedingte Zustandsanzeige.
Gehe in der Zeit mit den Kindern die Grundlagen durch.

„Gugg!“ = Schau!
„A gugg“ = Eine Tüte
„Gugg nach dr Gugg!“ = Suche die Tüte!
„Gugg ed so bled!“ = „Alter, Problem?“
Mist. Wir haben drei.
Zwei können wir zuordnen. Was zunächst wie ein strategischer Vorteil aussieht, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als schwäbisches Dilemma. Wir schulden noch irgendeinem Verwandten „sei Honig-Glaas“. Haben vergessen, wem. Er sicher nicht...
Würden wir jetzt aber jeden fragen, „grigssch du no a Honig-Glaas von mir?“ dann bräuchten wir vermutlich 50 Gläser mehr. Feilen noch an der Taktik.
On the Road. Der Kleinste ist guter Dinge.

„Su Oma fahren. Su Meinachtsmann!!“

„Ja, wir fahren zur Oma. Und da kommt das Christkind.“

„Ne Sristkind, Meinachtsmaaan!!!“

Erste kulturelle Konflikte kündigen sich an.
Wir. Haben. Keinen. Weihnachtsbaum.

Schlaft gut.
„Alloi für dia Brezga hat sich dia Fahrt scho glont, gell?“ Oma vergewissert sich, ob bei den Enkeln die Überlegenheit der schwäbischen Backkunst ausreichend anerkannt wird.

„Wir haben in Berlin auch Brezeln“ setzt Tochter an. -Stille-

„Aber nicht so gute“ -Erleichterung-
Dafür bestätigt Oma, was auch hier schon kursierte: Nur „des Honig-Glaas mit dem Plaschdig-Deggel isch vom Imker.“

Damit wäre das Verhältnis Honig-Gläser zu Familienimker wieder 1:2. Damn.
Jetzt: schwäbische Taufe. „Mir gangget ind Schenke. Da färsch über Stedda nach Hausa nach Ingga. Ond dann rechts.“

Gebe das mal so ins Navi ein.
PS: Gruß an die Spiegel-Doku: So sieht’s hier aus. ❤️
„Ond, wo kommet Ihr jetzt her?“
„Wir wohnen jetzt jetzt Berlin“
„Oh. Abr sonschd gatts scho gut, odr?“

🤨😅
„Da isch no a bissle Kucha ibrig. Ko ich eich a Stückle eipagga?“

Nun denken Nicht-Schwaben ja immer, „-le“ sei eine Verkleinerungsform. Tatsächlich: Kontext matters. „A Stückle Kucha eipgga“ nach einer schwäbischen Feier bedeutet:
Während wir hier mit drei Tonnen Kuchen sitzen, fällt mir ein: Wer hat eigentlich den Rest vom Kalbsbraten und die Spätzle eingepackt? 🤨 Jetzt bin ich so alt und fall‘ immer noch auf den Stückle-Kucha-Trick rein... 😔😅
Was allerdings der Vorteil von Kuchen ist: Bei den Kuchenplatten stehen wir nicht vor dem gleichen Problem wie bei den Honig-Gläsern. Schwäbische Kuchenplatten sind allesamt gut beschriftet. Unterseite, mit einem „Bepper“, in Schönschrift, „Nachname“.
Um nochmal zum gestrigen Cliffhanger zurück zu kommen - dem fehlenden Weihnachtsbaum: Mutter meint, „der dahanna nadelt wenigschtens edda.“ 🤷‍♂️

Nun gut. Dürfte zumindest irgendwie näher an der Bibel dran sein, als nordische Fichte.
Die @TanteChili hat es gecheckt. Der sieht bloß so aus, damit ihn keiner lobt und wir unseren Schnaps selber trinken können 😅

Ihr kennt diese Tradition?

„Wunderschöner Baum. Ganz ganz schee. I nehm an Williams.“
In der Stadt, letzte Weihnachtsgeschenke kaufen. Wo Einhornpullover noch „voll fetzig“ sind und Kuscheltiere entweder „vom Steiff oder a Glumpp.“ Ansonsten: Mein Onkel hatte Recht, der „Sale“ ist ein Meister aus Schwaben. (Wie bereits an der Wortendung unschwer erkennbar.)
Beim örtlichen WMF auf der Suche nach einem Edelstahlseifenspender übel abgeblitzt.

„Gibt’s ed.“
„Haben Sie nicht oder gibt es nicht?“
„Hammer ned, also gibts es ed.“

Entschuldigung. Keine weiteren Fragen.
Schöne Beschehrung.

Sind jetzt bei der Szene, in der plötzlich das alte Fotoalbum von mir auf dem Tisch landet und die Kinder was zum Lachen haben (ja, damals war man noch „nagget“ auf Badewannenbildern).

Plündere währenddessen die Sammlung Selbstgebranntes von „dr Alb ra“.
„Gell, da warer no siaß und schlank, dr Papa?“

Sind jetzt beim schwäbischen Präteritum.

...

Oh, eine frische Flasche Williams Christ! Klingt schon so Weihnachtlich. Habe die Ehre.
Der Morgen nach Heilig Abend. Oder, wie wir ihn nennen, der „Hasch Du die Rechnung no?“-Tag.
Also known as „Da wägsch no nei“ und „Des ko mer scho wiedr bebba“-Day.
„Opa, magsch no a Wasser?“
„Was sagsch?“
„Ob du noch ein Wasser willst?“
„Hm?“

Oma: „Der hört schlecht.“

Ich, flüsternd: „A Pilsle?“

Opa: „Jetzetle hammers.“ 😂
Der Mann ist 88. Der hat sein Wasserglas bloß für den Fall, dass Oma scharf rüberschaut. Die ist 89.
„Du wärsch halt recht, wennd so wärsch, wied sei sotsch.“ Oma hat wieder einen raus. ❤️
Meine Großeltern waren ja einmal in späteren Jahren zusammen in Hamburg - und gingen dann natürlich auch stilecht essen. Oma bestellte mehrfach und mit steigend deutlicher Aussprache „an saurer Sprudel“. Leider erfolglos.
Opa, der glaubte, des Hochdeutschen mächtig zu sein, versuchte, ihre Bestellung zu retten: „Mei Frau meint an Überkinger!“ 😅
Ihr erinnert Euch an den chilenischen schwäbanol Onkel aus Folge 1? Heute ist lateiamerikanisch-schwäbische Weihnachtsfeier. Der gemeinsame Nenner scheint irgendwas mit Kartoffeln zu sein.

„Feliz navidad, gell?“
„Warum ho i jetzt zwoi leere Honig-Gläser in dr Tasch?“ Die Schwägerin. He, He. Viel Spaß damit.
Ich meine im Übrigen, gehört zu haben, „die kei i halt furt“ und vermute nun, die Nummer mit den heiligen Honig-Gläsern ist eine reine Fake-Aktion, mit der man Fortgezogene triezt.

Furtkeien ist in Übrigen eine sehr schönes Wort.
Im Sinne von: „Die greschte Krombiera sind lätschig, die kosch glei furtkeia.“ („Die Bratkartoffeln sind weich geworden, entsorge Sie bitte umgehend. Pursche.“)
Gerade, als ich dachte, das hier läuft glatt voll durch, zeigt sich ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum: „A Kuchaplatt ohne Namensbepper.“
„I han denggt, da schdod nix drauf, dia g‘herd sichr die Berliner.“

Abseits dessen, dass wir als Inbegriff fehlender Generalstabsplanung gelten: Tut sie nicht. Und jetzt herrscht hier die große Irritation.

(Grinst in sich rein.)
Das läuft jetzt so, dass erstmal diejenigen gedanklich aussortiert werden, denen man so eine Nachlässigkeit nicht zutraut. Also alle Urschwaben.

Wohingegen jetzt die „Neigschmeckte“ - häufig Angeheiratete aus angrenzenden Stammesgebieten - ins Zentrum des Interesses rücken.
Essa in Weiler. Es folgen schwäbische Weisheiten.
😏
Time to say Goodbye. Die Kuchenplatte entpuppte sich als Eigentum einer Urschwäbin („Des nutz i als Deggel, dr Noma statt aufm Boda!“), die Honiggläser wurden in die Obhut der Verwandtschaft entlassen und die Dosawurscht ist sicher verstaut.
Und ehe ich es vergesse: „Mir kommmet dann alle zsamma im Mai nach Berlin zur Kommunion von dr Kloina!“

Klingt nach einer weiteren Staffel Prision Break. 😅

Gehabt Euch wohl! *dreht Zündschlüssel*
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