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Müller @gemuellert
, 40 tweets, 5 min read Read on Twitter
Teile meiner kleinstädtisch geprägten Familie sind erstmals auf dem Weg nach Berlin. Euphorische SMS, dass man den richtigen Zug genommen hat. Falscher Zugteil, aber richtiger Zug. Immerhin.
Muss sie am Bahnsteig abholen. Direkt. Weil: Berlin, da weiß man nie. Gut, wo sie recht haben...
Und ja, ich habe "DAS" Taxi vorbestellt. Nicht, dass da plötzlich noch eine Gruppe ankommt und alle weg sind. Sie sprechen aus Erfahrung. In unserem Städtle gibt es ungefähr drei Taxen. Also grundsätzlich. Wenn alle Fahrer Zeit haben.
Muss mich intensiv um sie kümmern. Die haben den Schock ihres Lebens schon hinter sich. Weil: "In Crailsheim war's arg knapp". Ja, von Gleis 4 auf Gleis 3.
Erinnert mich daran, als die bayrische Verwandtschaft meiner Frau da war und man in den adidas-Store einkaufen ging. Nach zwei Fragen die Größe betreffend wechselte der Verkäufer ins Englische, hoffend, dass das die soeben gehörte Sprache sei. Antwort: "Na, schmarrn, i'm German!"
Da ging es ihm allerdings besser als dem bei H&M, der heute noch rätselt, was "A Schmieserl!" ist.
Aber zurück ins hier und jetzt. Am meisten Spaß werde ich mit meinem Onkel haben, der nicht dem Bild entspricht, das Ihr jetzt vermutlich habt. Er ist gebürtiger Chilene und spricht seit Urzeiten schwäbanol. Ich muss mit ihm unbedingt Einkaufen gehen. In Berlin-Mitte.
Leider lebt mein Vater nicht mehr. Der bei seinem letzten Berlinbesuch eine TV-Moderatorin, die sich im Restaurant ein wenig arg rücksichtslos breit gemacht hatte mit "Bisch nemma ganz bacha?" in ihre Schranken verwies.
Wenn ich jetzt wegen Euch zu spät ans Gleis komme, kann ich mir das zehn Jahre lang anhören. So lange hält sich kein Tweet.
Natürlich rief der gebuchte Taxifahrer eine Minute vor Ankunft der Verwandtschaft an und machte klar, dass natürlich keine Koffer mehr in sein Auto passen. Klar. Natürlich.
Wusstet Ihr, dass es noch Koffer ohne Räder gibt? Deshalb sollte ich direkt zum Gleis kommen. Tja. Verwandtschaft.
Diskutieren gerade über die Frage, ob man die leere schwäbische Wasserflasche auch in Berlin abgeben kann, oder ob die dereinst wieder mit die Heimreise antritt. Bringe weitere mögliche Varianten ins Spiel. Die Blicke sind die 25Cent in jedem Fall wert.
„Flat White?“ - „Noi, n Kaffee“. Damit wäre das Frühstück zusammengefasst.
Tagesordnung mit Google Maps. Die Hinweise „des isch gar ed so weit“ mit einem gekonnten Zoom ins richtige Verhältnis gesetzt. Ja, nur 30 Minuten. Aber mit dem Auto, nicht zu Fuß.
Da das Auto nicht für alle reicht, müssen Fahrkarten her. Sind gerade dabei, alle WelcomeCard-Varianten durchzurechnen. Und wenn ich sage rechnen, dann meine ich auch rechnen. Da wär no a Zehnerle zom spara. ❤️
Eisessen. Mutter will Schololade. „Vharhola 70%? Oder mit Café Noir?“

„Noi. Scho - ko - la de!“

😂
Latschen Berlin zu Fuß ab. Haben zwar alle ein drei-Tages-Ticket. Aber das wird „aufgschbart“. Vielleicht für schlechtere Zeiten? Ich frag erstmal nicht weiter nach.
„Den gibts bei uns au!“

Stehen vor einem Laden mit „Summer-Sale“-Schild im Fenster.

Die veräppeln mich. 🤨
„Oma, kann ich das haben?“

„Freilich. Hab bloß koi Geld dabei, abr dr Papa zahld.“

Als Sandwich-Generation in einer schwäbischen Familie haste keine Chance.
Kaufen im Übrigen tatsächlich nur Flaschen, bei denen wir uns sicher sind, dass man die „beim Neddo dahaoim“ auch abgeben kann. Pfand, you know. Siehe oben.
Btw: Damit kein Irrtum aufkommt: Meine Verwandtschaft sind keine hilflosen Landeier. Die hinterfragen nur die Sinnhaftigkeit von Sachen, die wir als vermeintliche Kosmopoliten als normal betrachten. Ich lerne vermutlich wieder mehr als sie.
Blasen an den Füßen. Aber den Beginn des 3-Tages-Tickets um einen weiteren Tag hinausgezögert. Das war’s wert. (Dass das Ticket erst ab Entwertung gilt, musste ich iÜ schriftlich nachweisen. Man weiß ja nie, ist ja schließlich Berlin.)
Alles schläft, der morgige Ausflug ist generalstabsmäßig geplant. Hoffentlich vergess ich nicht „die Tiggets im Druckr“. War schwer genug, die online kaufen zu dürfen. Triumphalen Blicke, als ich natürlich mein BVG-Passwort vergessen hatte. Lassen wir das für heute. Guts Nächtle!
Alles geklappt, „Tiggets“ dabei. Hatte die Tante natürlich schon selber aus dem Drucker geholt. Soviel Vertrauen in „den Berliner“.
„Der hat gar ed draufguggt!“ Tante erkennt eklatantes Aufmerksamkeitsdefizit beim Busfahrer. Wenn der Bus nicht so voll wäre, würde sie direkt nochmal umdrehen und ihm die Tiggets unter die Nase halten. Recht hat sie. Immerhin extra ausm Drugger geholt.
Die Banderole der Wasserflasche wurde vorschriftswidrig entfernt (Kinder...). So nimmt die „dr Neddo nemme“. Banderole gesichert, versuchen die heute Abend, wieder ranzukleben.
„CSI Ostalb“
„Warum rennsch du, der Busfahrer hat doch gseha, dass mir kommert?“

„Eben.“

(Busfahrer. Ein eigenes Kapitel im Berliner How-To)
„Des mit dem Bus vorhin war aber knapp! Faschd wie in Crailsheim!“ Crailsheim (siehe oben) steht fortan für „in letzter Sekunde“. Im neuen Mission Impossible gibt es zum Beispiel so einen „Crailsheim-Moment“ (Roter Draht, mehr sag ich nicht).
„Da brauchsch doch ed extschdra Kuchagabla. Mir hend doch Kaffeelöffel.“

Das ist der Grund, warum es in jeder schwäbischen Familie ein WMF-Set gibt, das jahrzehntelang unbenutzt sein Dasein fristet. In einer schönen Box im Schrank. Das „gude Beschdeck“. 🙄
Pankow, wir haben ein Problem. Die Welcome-Card ist nur ein Voucher. Heißt: Um an die Vergünstigungen & die Fahrkarten zu kommen, müssen sie erst mal zum Touri-Center fahren. „Da brauch I jetzt a Fahrkart fürd Fahrkart? Steig mir in’d Tasch.“

Der Großstädter wird ganz klein.
Die Großstadt schlägt zurück. Verwandtschaft mit Spirituosen aus aller Welt abgefüllt („Isch ed mei Fall. Schenk nommel oin oi!“) und zum „Wer bin ich!“ spielen verleitet. Ich bin dann erstmal raus. 😘
Die Schwaben haben Freigang, Irgendwann erzähle ich Euch mal in Ruhe, wie das andersrum läuft, wenn man nämlich als langjähriger Berliner wieder zurück kommt auf die schwäbische Alb. Und dort erwartet, als Hauptstädter erkannt zu werden.
Wie der Klassenkamerad, mit dem ich mich nach nem Jahrzehnt wieder in der Stammkneipe verabredet hatte. Ich mit berlincooler Kopfbedeckung. Man muss ja sehen, wo ich herkomm. Er schaut mich minutenlang nur an. Seine Begrüßung nach 10 Jahren: „Jetz du halt mal die bläda Kapp ra‘!“
Richtig ist, dass man mit der All-inclusive-WelcomeCard auch eine Spreefahrt machen kann. Falsch ist hingegen, dass man einfach irgendein Schiff besteigen kann. 😂 #ausgründa
Und zum Scheitern verurteilt ist es, zu versuchen, Schwaben Geld für eine Schifffahrt abzunehmen, wenn sie eine All-inclusive-WelcomeCard haben. (Auch wenn dabei eine andere Reederei „inclusive“ ist). „Fuchzig Prozent von ‚I hab scho zahlt‘ isch au Null.“
(Sie haben natürlich das Schiff dann gewechselt, nachdem der Herr nicht auf 0% runter wollte.)
Treffen uns jetzt beim Italiener. Also beim anderen Italiener, dem Griechen. ❤️😅
„Du hast da eine Wespe in deiner Limo!“

„Ha, dann drink i halt außa rum.“

(Aus der Reihe: Liebr dr Maga verrenkt, als m Wirt ebbes gschenkt)
„Mir ganget heut‘ zu dene verruggte Blaua mit de Glatza“

„AfD???“

„Noi, Bluemen-Group.“

😅
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